„Sommer in Altona“: Country in der City

Ich bin immer wieder schwer beeindruckt von Menschen, die in einer Wiese nicht bloß eine Wiese sehen, sondern einen Ort, an dem Leute zusammenkommen, Musik hören, sich begegnen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Eine Wiese darf auch gerne eine Wiese bleiben und nicht jeder Platz in der Stadt muss stets einen Zweck, eine Funktion, einen Nutzen haben. Aber im Fall von „Sommer in Altona“ gefällt mir die temporäre Bespielung des Parks am Nobistor äußerst gut.

Einen Monat lang zeigt uns die Hamburger Platten-, PR- und Bookingfirma Popup Records mit ihrer (von der Stadt unterstützten) Konzertreihe, was im öffentlichen Raum möglich ist zwischen den Polen „kommerzielles Großevent“ und „Umsonst-und-Draußen“. Ein hoch sympathisches Pop-Festival direkt vor der Haustüre nämlich, für das niemand Easy-Jet-Open-Air-Hopping quer durch Europa betreiben muss. Und das auf Kooperationen in verschiedene Richtungen setzt.

PR Newman spielt Songs von dringlicher Beiläufigkeit

An diesem Abend präsentiert das Hamburger Label Devil Duck Records vier Bands aus seinem wachsenden Portfolio. Zwei Künstler spielen bei freiem Eintritt im lauschigen Biergarten, zwei Bands treten später im – ausverkauften – Zirkuszelt auf. Ein schöner Kompromiss.

Am Eingang werde ich aufgefordert, für die Alimaus zu spenden, die nahe Tagesstätte für Obdachlose. Denn der „Sommer in Altona“ möchte kein in der Nachbarschaft gelandetes Raumschiff sein, das ohne Kontakt zur Umwelt sein Spektakel aussendet. Kommunikation ist der Schlüssel.

Wie hingewürfelt stehen Biergarnituren und Liegestühle unter alten Bäumen, flankiert von Getränkestand, Käsegrill und Dixi-Klos. Die Sonne scheint milde durch die Blätter über uns, als PR Newman Songs von dringlicher Beiläufigkeit in den Abendhimmel schickt. Ein junger schmaler Typ aus Texas mit Stimme, Gitarre, Mundharmonika und Dylan’eskem Charme. Das PR in seinem Namen steht übrigens für Punkrock. Ein hübscher Beweis dafür, dass Punk nicht zwingend etwas mit Krawall und Lautstärke zu tun haben muss, sondern womöglich vielmehr mit einer gewissen ruppigen, gewitzten bis querdenkenden Attitüde. Und mit einem Gesang, der die Zuhörer fein aufzuwühlen versteht.

Jon Kenzies Laut-Leise-Spiel sorgt für tolle Dynamik

Im Anschluss stellt Devil-Duck-Chef Jörg Tresp den Briten Jon Kenzie vor, den er beim Straßenmusizieren entdeckt hat. Zur akustischen Gitarre singt Kenzie schwelgerische Songs voller Blues, Soul, Folk. Sein Gesang besitzt einen satten warmen Klang, den er wie mit einem inneren Verstärker noch einmal hoch regeln kann, was on the road ohne Mikrofon gewiss von Vorteil ist. Beim „Sommer in Altona“ sorgt sein Laut-Leise-Spiel für eine tolle Dynamik.

Ein wenig scheinen die Lauschenden ringsherum auch den Sommer zu verabschieden. Die Wetteraussichten für die kommenden Tage ist nicht so dolle, der Herbst naht. Noch einmal ohne Jacke dasitzen. Luft auf der Haut. Alles abspeichern. Die Schwangere, die an einem Baum lehnt. Die bärtigen Bikertypen, die so freundlich gucken. Die tätowierten Beine, die aus Kniestrümpfen ragen. Die Gesichter, die die Elbstrandsonne gebräunt hat. Die Wespen, die Bierbecher entern. Die Frau mit Hut und Hund, die übers Grün flaniert. Das Paar, was einfach lächelnd dasitzt.

Drinnen im Zirkuszelt dann Energiewechsel. Mehr Feier als Abend. Mit Whiskey Shivers entern fünf Musiker die Bühne, denen die Spielfreude aus jeder Pore zu tropfen scheint. Die Texaner sind so etwas wie eine Multikulti-Redneck-Band, die einen absolut famosen Mix aus Bluegrass, Hillbilly und Countrymusik spielt. Frontmann Bobby Fitzgerald, seines Zeichens Sänger und Highspeed-Virtuose an der Fiddle, ist eine ärmellose, barfüßige Turbo-Erscheinung samt Vokuhila-Frisur, die er mit größter Selbstverständlichkeit trägt. Die Songs der Whiskey Shivers rasseln und rattern mit Hochgeschwindigkeit in die kleine Arena hinein. Dauergrinsen. Dance op de deel. Es riecht nach Schweiß und Spänen.

The Dead South besticht durch herrlich räudiges Charisma

Eine perfekte Einheizung für The Dead South, dem Hauptact des Abends, zu dem noch wesentlich mehr Leute ins Zirkuszelt strömen. Diverse Fans im Publikum tragen T-Shirts der Band oder haben sich direkt den Look der Combo angeeignet, deren männliche Mitglieder in weißen Hemden mit schwarzen Hosenträgern auftreten. Banjo-Spielerin Eliza Mary Doyle wiederum erinnert in schwarzem Kleid mit roter Blume im Haar an eine Saloon-Lady.

Die Kanadier fabrizieren einen ultra coolen, grandios dreckigen und zugleich äußerst mitreißenden Sound aus Folk, Bluesgrass und Rock ’n‘ Roll. Die Band besticht durch ihr herrlich räudiges Charisma – und die ein oder andere Tanzeinlage. Doch wie die verschiedenen Saiteninstrumente von Mandoline über Cello bis Gitarre fein ineinandergreifen, bringt die Seele noch einmal auf einem anderen Level zum Schwingen. Und die Saunatemperaturen unter der Zeltkuppel lassen den Geist zusätzlich angenehm irrlichtern. Ein musikalischer Desperado-Trip.

Wieder draußen dann: atmen, abkühlen. Und schließlich abreisen. Nach Hause. Mit dem Rad.

Im Winter werde ich an dieser Wiese vorbeifahren. Und an den Sommer denken. In Altona.

Weitere Konzerte für Countrymusiclovers gibt’s bei Yeehaw Hamburg

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