Es gibt diese Momente auf einem Konzert, da geschieht etwas mit einem. Da verändert sich das Energie-Level. Vom Beobachten zum Machenmüssen. Vom Draufschauen zum Drinsein. Vom Kopfnicken zum Jumparound. Das passiert mal direkt am Anfang eines Konzerts, bei den ersten Tönen. Mitunter braucht es aber eine Weile, bis der Bass den Alltag aus dem Körper gepumpt hat und das Blut im Fluss der Musik pulsieren kann.
Das erste von zwei ausverkauften Konzerten der Hiphopper Beginner auf dem Hamburger Großmarkt (zweimal 11.000 Leute) startet sympathisch. Ein kleiner Schnack an der Fahrradgarderobe und am Eingang eine Spende für die Seenotrettung. Auf dem Gelände selbst schaue ich mir zu den letzten Reimen von Afrob aus dem Vorprogramm die Banner an, die die Bühne flankieren – eine Art Hamburg-Ode im Keith-Haring-Style. Weiß auf Schwarz tummeln sich da Füchse und Udo, Stadtwappen und Michel, das Logo von Sprayer Oz und dem Plattenladen Groove City, aber auch die ein oder andere Nachricht: „Sternbrücke bleibt!“ und „Viva la Bernie“ zum Beispiel.
Besser role model als Topmodel
Streetart-Shoutouts für eine faire Stadtkultur. Und feine Hinweise darauf, dass da eine Band zwar massiv erfolgreich ist mit zwei Nummer-eins-Alben und Platin und Bling, aber ihren Fame dann doch lieber ohne dumpfe Image-Huberei für gute Zwecke zu nutzen weiß. Ein Fuchs muss tun, was ein Fuchs tun muss. Und das bedeutet eben, sich nicht wie Teflon durch die eigene Stadt, durch unsere Welt zu bewegen. Besser role model als Topmodel.
Dementsprechend positiv eingegroovt positioniere ich mich oben in einem Doppeldeckerbus, von wo aus sich Areal und Bühne überblicken lassen. Das Schiffshupen-Intro von „Ahnma“ schiebt sich ultimativ über die Fläche. DJ Mad thront mit seinem Gerät auf einer funkelnden Pyramide. Eizi Eiz und Denyo werfen sich an die Rampe, springen fit, rappen scharf. Historie. Hamburgliebe. Humor. Der Part von Gzuz kommt vom Band. Beziehungsweise vom Publikum. Das ist textsicher bis zur letzten Silbe. Arme in der Luft. Ein vibrierendes Kraftfeld.
Mein Bus-Untersatz wankt bereits amtlich. „Bambule, yes yo“. Wir sprechsingen jedes Wort mit bei „Hammerhart“. Und ich freue mich über den optimistischen „Gustav Gans“ mit seinem tapsigen Charme. Mit tanzenden Plüschtieren bekommt man mich ja immer.
Beginner und Advanced Chemistry und Samy Deluxe
Aber es gibt diesen einen Moment, in dem es mich definitiv nach vorne zieht: Die Beginner erzählen von ihrem 2016er-Album „Advanced Chemistry“ und von der Band, nach der sie die Platte benannt haben. Von der Vorbildfunktion. Von der Bedeutung. Und dann kommen sie tatsächlich auf die Bühne, die Heidelberger Helden von damals. Und heute. „Fremd im eigenen Land“. Der Meilensteinsong für Deutschrap mit Bewusstsein. Gänsehaut galore.
Damals, Anfang der 90er-Jahre, ist mir Rapper Toni L. mit seiner schlapphütigen Zeigefinger-Art im Musikfernsehen eher auf die Nerven gegangen. Seinen Kompagnon Torch fand ich irgendwie reeller. Aber jetzt will ich das unbedingt hart feiern. Dass Advanced Chemistry Beats und Flow mit Anstand und Aussage populär gemacht haben. Dass die Beginner diese Idee fortführen. Dass sich Gestern und Heute verbinden. Dass wir achtsam und aktiv bleiben müssen. Gegen Abschottung. Für Miteinander.
Es treibt mich vor die Bühne, wo ich alte Bekannte treffe und neue kennenlerne. Wo Licht und Nebel und Wumms und Worte in den Himmel flackern. Wo es anfängt zu regnen und die Leute einfach weiter tanzen. Wo es wüst ist und zugleich unglaublich entspannt. Die Haare werden nass. Die Turnschuhe verlassen den Boden. Rudeltiere ringsherum. Samy Deluxe erscheint, rappt rapide und „zerstört alles“, wie Eizi Eiz amüsiert anerkennt. Weiter geht es auf Feuerrädern durch die Nacht. „Es war einmal“. „Liebeslied“. „Danke“. Danke? Wir haben zu danken.
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