Mein popkulturelles Wochenende war nicht gerade ereignisarm mit dem Konzert der Beginner am Freitag sowie dem Festival „Burger Invasion“ im Molotow am Samstag. Um das Triple-B voll zu machen, folgt nun am Sonntag der ausverkaufte Auftritt von B wie Blumfeld als Abschluss des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel.
Ich habe bereits auf meiner Jukebox-Seite darüber geschrieben, wie wichtig und wegbegleitend diese Hamburger Band für mich war und ist. Und als ich mich in der großen Halle K6 umschaue, weiß ich, dass ich mit dieser biographischen Verbundenheit nicht alleine bin. Zahlreiche Fans 40 plus versammeln sich da mit diesem gewissen erwartungsvollen Blick. Die Band, 1990 gegründet, hat in Originalbesetzung zur „Love Riots Revue“ geladen.
Wird das live hinhauen nach all Jahren mit der Liebe und der Revolution, mit dem Rock und dem Pop? Wird diese Haltung, wird die Poesie Mark und Bein erschüttern oder bloß verstaubte Behauptung bleiben?
Hat das alles noch etwas zu bedeuten?
Als Jochen Distelmeyer – Sänger, Gitarrist, Ikone – die Bühne betritt, drängt sich dieses abgedroschene Goethe-Zitat in den Kopf: „Von Zeit zu Zeit seh‘ ich den Alten gern“. Weißes Sommerjackett, fedrig wehendes Haar – kann er tragen, klar. Als er dann mit seinen Kompagnons von einst – Bassist Eike Bohlken und Schlagzeuger André Rattay – zu spielen beginnt, unterstützt von Daniel Florey an Piano und Gitarre, überkommt mich kurz die Angst: Oh Gott, wird das jetzt so ein Gemucke von alten Männern? Hat das alles noch etwas zu bedeuten? Die Musik? Die eigene Geschichte?
Das Set von Blumfeld beginnt mit einer Solonummer von Distelmeyer aus dem Jahr 2009: „Einfach so“. Interessanter Move. Schön wütend zudem. Und dann, mit dem Anfang des zweiten Liedes, hat mich die Band wieder völlig gepackt. Es liegt etwas in den Akkorden, das mich abholt. Scharf und sehnsuchtsvoll. Eine alte Nummer von 1992. „Von der Unmöglichkeit Nein zu sagen ohne sich umzubringen“. Harter guter Stoff. Und für das Drama und die Dramaturgie, damit wir alle auch so richtig heftig wechselbaden in den Gefühlen, folgt aus dem selben Jahr der Song „Viel zu früh und immer wieder Liebeslieder“. Die Stimme weniger schneidend. Zarter. Ein Kissen. Ein weiches Fallen.
Weiter geht es mit Mystery und Hysteria und History
Ich bin müde vom Wochenende und froh um meinen Sitzplatz. Ich kann mich fokussieren und der Sound ist gut, wird sogar immer besser, nachdem die Fans in den Stehreihen weit vorne vehement lauteren Gesang einfordern und Jochyboy immer wieder seine Gitarren stimmt („die h-Seite“). Gut ist er drauf, dieser Typ.
„Alles chicko, alles chillaxed, schönen Urlaub gehabt?“, fragt er süffisant. Und ich überlege kurz, ob er sich diese Aneinanderreihung von Zisch-Lauten vorab zurechtgelegt hat oder ob das Lautmalerische einfach in ihm wohnt wie in anderen Menschen die Mathematik oder die Gabe zum Kochen.
Weiter geht es mit Mystery und Hysteria und History. Ab dem Stück „Weil es Liebe ist“ holt Distelmeyer den Gitarristen und Produzenten Tobias Levin auf die Bühne. Das freut mich sehr. Denn die heimlichen Stars gehören doch ab und an ins Rampenlicht. Musikbergwerker, ohne die die ganze Kunst keinen Brennstoff hätte.
Blumfeld lieferte immer schon Trost für die Überreizten
In insgesamt fünf Akten kommt die Band in diesen zwei Stunden auf die Bühne. Und ja, logisch, es gibt die klar gesetzten Höhepunkte: Distelmeyer im sexy dance alleine bei „Tausend Tränen Tief“. Die krachende Sozialisationshymne „Verstärker“ – tausendmal betanzt, tausendmal berührt. Und „Diktatur der Angepassten“ als nach wie vor hoch aktuelle Analyse zur Zeit. Doch mich zerlegt es in der Mitte des Konzerts.
„Letzte Nacht meinte meine Mutter / sie sei so müde und erledigt / und ich dachte, mir geht’s ähnlich / an den Haufen von Geschichte“, proklamiert Distelmeyer zu Beginn von „Pro Familia“. Ich kann die Lyrics im Kopf mitsingen. Und das Mantra zeigt Wirkung. Es macht spürbar, wie das Erschöpfte häufig nur ganz knapp unter der Oberfläche liegt.
Blumfeld lieferte immer schon Trost für die Überreizten und Entfremdeten, die Müden und Irritierten. Und ich muss an jene denken, die selbst solche Musik nicht retten kann. Deren Haut zu dünn ist zwischen Innen und Außen. Und das Außen zu viel und das Innen zu dunkel. Und ich fühle diese Verpflichtung, ein möglichst wahrhaftiges Leben zu leben. Und als säße die Band in meinem Kopf, spielt sie im Anschluss „Wir sind frei“. Die ultimative Aufforderung, „eine kleine Utopie“ zu wagen. Durchzuatmen. Loszugehen. Jochyboy, Du alter Tearjerker. Okey dokey. Schon verstanden.