„Reeperbahn Festival“ 2018: Biggy Pops tierische Top Ten

Jetzt kommt die Zeit, in der die Tiere wieder hinein wollen. Heute früh bin ich bereits von einer kompakten Spinne, einem langbeinigen Exemplar sowie diversen Marienkäfern begrüßt worden. Partytime!

Es wird kälter. Die Tiere sind unruhig. Sie dürfen wieder in die Clubs, ohne dass dieser Einkehrtrieb vom Rausgehzwang unterdrückt wird. Dach und Druck statt Himmel und Heiterkeit.

Passend zu diesem aufkommenden Indoor-Feeling hat die große Hamburger Club-Sause, dasReeperbahn Festival“, nun seinen Timetable für die tollen Tage vom 19. bis 22. September veröffentlicht. Und weil ich heute ohnehin schon über Tiere nachdachte und da ich ja nun irgendwie mal anfangen möchte mit dem Durchhören der vielen angekündigten Festival-Acts, ziehe ich einfach die nun folgende Kategorie an den Haaren beziehungsweise am Fell herbei.

Hier ist sie also:
Biggy Pops Top Ten der tierischen Teilnehmer des „Reeperbahn Festivals“.

Jaguwar: Mi 29.9., 23.20 Uhr, Nochtspeicher

Das Raubtier mit der arty Schreibweise. Ich habe diese Berliner Band Anfang des Jahres bereits in meiner Radiosendung Das Draht auf Byte FM gespielt. Damals war soeben ihr Debütalbum „Ringthing“ beim Hamburger Label Tapete Records erschienen. Ich mag den hall-verliebten, halb ausgetüfftelten, halb hingebretterten Sound des Trios. Der Gesang von Oyèmi Noize lässt mich kurz an Juliana Hatfield denken. Ein Tier, in dessen Adern Wave und Noise und Rock und Pop pulsiert. Und das sich beim Gitarrenspiel gerne auf die Pfoten guckt. Das klingt dunkel und zugleich von der Sonne geküsst.

Goat Girl: Mi 19.9., 0 Uhr, Häkken & Do 20.9., 21.30 Uhr, Knust

Yeah, yeah, yeah! Vier Ladies aus London, die sich dem bockigen Ziegentum im allerbesten Sinne verschrieben haben: Die Hufe gewetzt und das Fell struppig spielt Goat Girl einen coolen, lasziven und angenehm spröden Mix aus Indierock, Sixtiesbeat, Jingle-Jangle-Pop und Postpunk. Als Roller-Derby-Fangirl liebe ich Kampfnamen. Und mit Clottie Cream, Rosy Bones, Naima Jelly and L.E.D. sind bei dieser Band vier Premium-Pseudonyme am Start. Besonders amüsant finde ich das Video zu „The Man“, in dem Goat Girl die Beatles-Hysterie geschlechterumgedreht nachspielen: Auf der Bühne rocken die Ziegen, flennend am Zaun davor hängen die Typen. Mäh, mäh! Ich bin gespannt, wie das beim „Reeperbahn Festival“ so zugehen wird.

DeWolff: Do 20.9., 17 Uhr, Molotow Backyard & Fr 21.9., 22.30 Uhr, Knust

Aahuuuu! Meister Isegrim heult gerne laut. Doch als ich DeWolff das erste Mal 2017 beim Festival „Sommer in Altona“ im Zirkuszelt sah, spielte die Band aus den Niederlanden wegen Lärmschutzauflagen das wohl leiseste Konzert ihrer Geschichte. Ich freue mich daher schon sehr darauf, das Trio mit ihrem psychedelischen Südstaatenrock im wortwörtlichen Sinne aufgedreht zu erleben. Ich verspreche mir nicht weniger davon als ein Biest, das gerne im Dreck wühlt und sich im Sound verbeißt.

Lion: Do, 20.9., 21 Uhr, St. Pauli Kirche

Mitunter sind Klischees ja auch was Feines. Wer sich im Popkontext eine Person mit dem Künstlernamen Lion vorstellt, könnte flugs bei Beth Lowen landen – blondbraune Mähne, lauernder Blick und kraftvoller Auftritt. Das Wichtigste jedoch: Diese Löwin besitzt eine Stimme, die nicht sanft schnurrt, sondern wild und rau aus den tiefsten Tiefen emporsteigt. Die Australierin, die es nach England verschlagen hat, ist eine unberechenbare Musikerin, die sich mal scheinbar dösend dem Singer-Songwriter-Sound hingibt, um dann blitzschnell mit der Pranke des Rock ’n‘ Roll zuzuschlagen. Wer sich auf Safari in die St. Pauli Kirche wagt, dürfte dort also eher Aufschrei als Andacht finden.

The Dogs: Do 20.9., 23 Uhr, Karatekeller im Molotow

Und wo wir schon bei Stereotypen sind: Bei einer Band, die The Dogs heißt, stelle ich mir ein paar räudige Typen mit dicken Koteletten und verschwitzten T-Shirts vor, die sich irgendwo zwischen Britpop und Punk bewegen, viel Bier trinken und noch mehr davon verschütten. Nun ja, knapp vorbei ist auch daneben. Die norwegischen Hunde, von denen an dieser Stelle die Rede sein soll, sind äußerst adrette Erscheinungen mit schwarzen Hemden und schnieke zurückgekämmten Haaren. Wenn ich mir ihre Songs zwischen Garagen- und Punkrock so anhöre, beschleicht mich allerdings der Verdacht, dass es live durchaus wüst zugehen könnte bei diesem Rudel. Die Frage ist nur: Sechs kläffende Köter im Karatekeller des Molotow – wo soll da noch das Publikum hin?

Walrus: Fr 21.9., 14 Uhr, Kukuun

Wenn sich Walrösser an Land hieven, machen sie einen recht schwerfälligen Eindruck. Im Wasser hingegen gleiten sie elegant dahin, sie überraschen mit entspannten Drehungen und Wendungen. Ganz so verhält es sich mit der Rockband namens Walrus. Schlurfige Typen, deren Songs so psychedelisch dahin driften und mit Wucht um die Kurve kommen, als schwämme das Robbentier durch ein Korallenriff. Alles so schön bunt hier. Und so angenehm verschwommen. Diese wunderbaren Weirdo-Walrosse stammen übrigens aus Halifax und spielen im Kukuun, dem Haus der Kanadier, die beim „Reeperbahn Festival“ traditionell einen großen Aufschlag hinlegen. Da dürfte gewiss einiges an Stimmung überschwappen. Und jetzt alle: „I Am The Walrus“!

Cat Clyde: Fr 21.9., 20.50 Uhr, Schulmuseum

Diese Katze hat den Blues. Und Soul. Und sie besitzt den weiten traurigen Blick, der tief ins Herz des Country hineinzuschauen versteht. In dem Poesiealbum namens Facebook gibt sie an, dass sie alte Westernfilme liebt. Und wir malen uns aus, wie sie dunkel schnurrend diese düsteren Geschichten anschaut, um sie in ihrer Seele abzulagern und später in ihre eigenen schönen Storys zu verwandeln. Dann spielt sie auf ihrer Gitarre Melodien von betörender Schlichtheit, während ihre Stimme zeitlos und facettenreich ertönt. Ein Gesang, der sich in unserer Inneres schleicht, um dort – ganz Katze – zu machen, was er will.

Milkywhale: Sa 22.9., 19.30 Uhr, Häkken

Menschen sollten viel mehr alleine in ihren Wohnungen und Häusern umher tanzen. Unbeobachtet. Albern. Ausgelassen. Sehr schön demonstriert das die junge Isländerin namens Melkorka Sigríður Magnúsdóttir in ihrem Video zu „Birds Of Paradise“, wo sie zu einem feinen, sich euphorisch steigernden Electro-Pop auf Socken durch die Räume tobt. An ihrer Seite jedoch kein milchiger Wal, wie der Name ihres Duos vermuten ließe, sondern ein träge dreinschauender Windhund. Wieso nicht? Je mehr Tiere, desto besser. Die betörenden wie beschwingten Sounds stammen von ihrem Kompagnon Árni Rúnar Hlöðversson, seines Zeichens zudem Mitglied der Band FM Belfast. Spätestens seit dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ wissen wir ja, dass sich eine Rakete in einen Wal verwandeln kann. Vielleicht wird es bei diesem Konzert umgekehrt der Fall sein.

Mammal Hands: Sa 22.9., 23.10 Uhr, Resonanzraum

Mammal Hands – Säugetierhände. Willkommen in der Oberkategorie des Tierlichen. Und was fabrizieren sie, die Hände? Jazz. Schwelgerische, atmende, organische, sich in Schlaufen wiederholende und stets leicht variierende, sachte wachsende Musik. Quasi Evolution zum Zuhören. Saxofon, Schlagzeug und Piano sowie Keyboard bilden ein dreiköpfiges wunderschönes Übertier, das beim „Reeperbahn Festival“ im Resonanzraum des Feldstraßenbunkers in seinem entsprechenden Habitat zu betrachten ist.

Black Foxxes: Sa 22.9., 23.15 Uhr, Kaiserkeller

Sind Füchse, die sich mit zwei x schreiben, doppelt so schlau und gerissen wie andere? Mag sein. Vielleicht sind sie auch einfach nur wütender und melancholischer. Das britische Trio Black Foxxes nennt seinen Sound selbst Romantic Gloom. Und da erinnern wir uns doch flugs an all die Fabeln, die den Fuchs an und für sich umgarnen. Und an die Nachrichten, die Reineke immer häufiger bei den großen Städten sehen. Wird da das Tier menschlicher oder der Mensch tierischer? Die Black Foxxes jedenfalls sprechen und schreien mit ihrem brachialen Indierock unsere innersten Instinkte an. Fuchs, du hast den Grunge gestohlen. Gut so.

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