Vor einem Jahr habe ich als Biggy Pop diesen Blog über Popmusik in Hamburg begonnen. Nicht auf den Tag genau. Aber mit dem selben Gefühl. Denn wieder liegt — wie Anfang August 2018 — ein Festivalwochenende hinter mir. Und in dieser Stimmung aus Glück und Erschöpfung habe ich angefangen zu schreiben, meine Stimme auszuprobieren, mich freizutexten. Mal poetisch, mal analytisch. Aber immer mit dem Bewusstsein, dass Musik nicht schlicht ein Markt ist, sondern vor allem ein Motor. Zeit also für ein Resümee.
Besonders freut es mich, wenn ich mit dem Blog zu Diskussionen anregen kann, wie etwa mit meinem Fazit zum Reeperbahn Festival. Oder wenn Leserinnen und Leser neue Musik über meine Artikel entdecken, zum Beispiel Alben von Patrick Siegfried Zimmer oder Sarajane. Manche Blog-Formate wie „Biggy Pop — Take Five“ habe ich nicht so konsequent weitergeführt, wie ich es mir vorgenommen hatte. Das liegt vor allem daran, dass ich parallel zum Blog meine Selbstständigkeit als Journalistin, Moderatorin und Texterin aufgebaut habe.
Das Netzwerk hält, trägt, unterstützt
Immer und immer wieder habe ich die viel zitierte Komfortzone verlassen. Mitunter musste ich mich ob all der neuen Eindrücke einfach flach hinlegen und in die Luft gucken, um alles sacken zu lassen. Was ich aber vor allem erfahren durfte: Das Netzwerk hält, trägt, unterstützt — und öffnet sich.
Ich habe schon lange nicht mehr so viele Menschen kennengelernt und so intensiv über Zweifel, Fehler, Erfahrungen, Lernen, Lebenspläne, Mut, Motivation, Haltung, Wünsche, Weitermachen, Ideen und — ja — Visionen geredet wie in den vergangenen zwölf Monaten. Vor allem aber habe ich gelernt, dass das Anpacken, Machen und Tun die beste Möglichkeit ist, um mit Unsicherheiten umzugehen und eine positive Dynamik in Gang zu setzen. Ein Flow, der mich in ungeahnte Gefilde getragen hat. Als ich vor einem Jahr gestartet bin, wäre ich zum Beispiel nicht im Traum darauf gekommen, dass ich im Frühjahr in Brüssel sitze und junge Bands für den Blog interviewe.
Im Blog neugierig bleiben — laut, leise und mit Zwischentönen
Musik ist bei all diesen Entwicklungen ein steter Begleiter. Zum Beispiel die Alben, zu denen ich bevorzugt schreibe, allen voran „Carrie & Lowell“ von Sufjan Stevens. Songs, die mich fein fokussieren. Bei Konzerten wiederum, wenn der Sound jede Faser durchdringt, ist der Effekt unmittelbarer. Alles Verspannte scheint aus dem Körper gedrückt zu werden. Livemusik ist die Erlaubnis, alles fühlen zu dürfen. Mit anderen. Wie jetzt mit dem von mir hoch geschätzten Soulsänger Lee Fields und seiner Band The Expressions beim A Summer’s Tale-Festival. Er presst den Schmerz heraus und lässt Liebe regnen.
Ich bin zutiefst überzeugt: Musik verbindet. All die Leute, die beherzt in der Popbranche arbeiten. Und all die Fans, für die es der größte Luxus ist, im Staub vor einer Bühne zu stehen oder im Club zu schwitzen. Für mich ist das nicht bloß eine Romantisierung von Zuständen. Nicht bloß Eskapismus.
Popkultur kennt kein Alter. Das merke ich immer wieder, wenn ich in Hamburg für Oll Inklusiv unterwegs bin. Die gemeinnützige Initiative bringt Menschen 60 plus in die Clubs der Stadt, auf Konzerte und Festivals. Was nach außen hin schlichtweg wie eine lustige Seniorenparty aussieht, hat einen ernsteren Hintergrund: Einige dieser tollen ollen Leute können sich Veranstaltungstickets nicht leisten oder ihnen fehlt der Schwung, um alleine auszugehen. Die Musik jedoch schafft eine kollektive Energie, die anfängliche Ängste ins Gegenteil umkehrt.
Freitag besuchten wir mit einer Gruppe innerlich höchst junger Senioritas das Wacken Open Air. Und kaum auf dem Gelände angekommen, plauderten die Ladys mit den wildest aussehenden Typen, posierten mit coolen Metallerinnen für Selfies und nickten eifrig zu den vehementen Klängen von Eluveitie, Black Stone Cherry und Jared James Nichols. Eine Leichtigkeit und Narrenfreiheit, die ich äußerst erstrebenswert finde. So möchte ich alt werden (und auch diesen Blog schreiben): neugierig und offen, laut und leise — und mit allen Zwischentönen.