An meinem Job liebe ich es besonders, neue Menschen und neue Musik kennenzulernen. Und mich mit ersteren über letzteres auszutauschen. Gerne nerdig, beherzt, detailversessen. Und mit der Passion für catchy Melodien. Für einen herzerweiternden Song. Für Überraschendes und Merkwürdiges. Für eine Energie, die trägt. An diesem Samstag kommt sehr viel von diesen beglückenden Faktoren zusammen. Der mecklenburg-vorpommersche Musikverband PopKW hat mich als Jurorin zu seinem Landesrockfestival nach Rostock eingeladen.
Landesrockfestival, das klingt für manche Ohren erst einmal angestaubt. Aber Verbandschefin Selina Pavlitschek erzählt unserer Juryrunde beim Abendessen, dass dieser Wettbewerb eine lange Tradition hat. Und da sich der Titel nun einmal etabliert habe, solle er zur 27. Ausgabe nun auch nicht mehr geändert werden. Letztlich ist das Landesrockfestival aber offen für alle Pop-Genres. Und so erklingen in Rostock durchaus diverse Stile.
Der M.A.U. Club in Rostock
Das Landesrockfestival geht im Rostocker M.A.U. Club über die Bühne, eine malerisch am Hafen gelegene Spielstätte mit angenehm alternativer Patina. 1996 ist das M.A.U. in diese Location gezogen. Und der angeschlossene Verein hat es sich explizit zur Aufgabe gemacht, „in Rostock die jugend- und soziokulturelle Vielfalt mit einem klaren Livemusikbezug zu fördern“. Das finde ich extrem unterstützenswert. Lässt sich doch mit reinen DJ-Abend in der Regel der schnellere Euro machen, da die gesamte Konzertproduktion wegfällt.
Beim Landesrockfestival ist Livemusik in logistischer Reinkultur zu erleben. Sechs Bands stehen für jeweils 20-minütige Slots auf dem Programm. Während der flotten Umbaupausen ziehen wir Juroren uns in einen der Backstage-Räume zurück, um über das Gesehene und Gehörte zu diskutieren. Ich fühle mich sofort wohl an diesem Ort mit seinen vielen Aufklebern und Konzertplakaten von Tocotronic bis Vierkanttretlager. Und besonders glücklich bin ich mit meinen Mitjuroren.
Lisa Reuter betreibt mit Kingmanagement ihre eigene Firma, mit der sie unter anderem die Band Milliarden, Singersongwriter Max Prosa und den Hamburger Rapper Fayzen betreut. Daniel Kempf ist ebenfalls Künstlermanager, zudem Booker und Veranstalter. Er hat das Immergut Festival begründet und auch dafür gesorgt, dass tolle Bands wie Arcade Fire und Death Cab For Cutie erstmals nach Deutschland kamen.
Über Musik reden
Ich habe mich sehr gefreut, die beiden persönlich kennenzulernen. Welchen Zugang haben Menschen zu Musik? Wer achtet auf welche Aspekte? Und welche Worte lassen sich für ein Konzerterlebnis finden? Besonders gut gefällt mir, wie klug, klar, konstruktiv und vor allem leidenschaftlich Lisa und Daniel über die einzelnen Bands sprechen. Ohne Schnickschnack und Schönfärberei, aber mit reichlich Erfahrungswissen. Und mit viel Liebe zur Musik. An dieser Stelle also noch einmal einen herzlichen Dank an Selina von PopKW, dass sie uns so fein zusammengewürfelt hat.
Über den Sinn und Zweck von Musikwettbewerben lässt sich natürlich vortrefflich streiten. Ist das nun cool oder uncool oder wie man sich fühlt? Für mich überwiegen die Vorteile: Newcomer bekommen eine Chance, sich zu präsentieren. Das Publikum erhält einen stilistisch gemixten Abend, der sich ein wenig nach Wundertüte anfühlt. Und die Gewinner kriegen bestenfalls noch finanzielle Unterstützung, um ihre Laufbahn weiter anzuschieben. Beim Landesrockfestival ist das eine durchaus stattliche Summe: Für den ersten Platz gibt es 4000 Euro Preisgeld. An eine zweite Band gehen zudem 3000 Euro als Tourförderung.
Die Gewinner beim Landesrockfestival 2019: Animal’s Secret und SOAB
Zu erleben sind an diesem Abend im M.A.U.: akzentuierter Rock mit Funk- und Ska-Einflüssen von Jane And The Rain, souveräner wie energiegeladener Grunge von Range Of Movement, smarter Rap von Brigo und gospel-inspirierter Folkpop von Modicum Of Hope.
Auf dem zweiten Platz landen SOAP, die uns mit ihrer ultracharmanten Spielfreude sowie mit einem Sound zwischen Rock, Rap und Surfpunk überzeugen. Zudem besitzen ihre Lyrics eine beachtliche Bandbreite — von einer Spaßnummer übers Saufen bis hin zu einem emotionalen Song über Depression. SOAP hat bereits auf Festivals in Russland und China gespielt. Und ich bin gespannt, wohin sie mit ihrem Preisgeld noch reisen werden.
Unsere absolute Jury-Nummer-Eins ist Animal’s Secret. Vier naturcoole sowie freundliche Typen, die gerade ihr Abitur gemacht haben. Und die auf der Bühne sehr selbstverständlich einen irren Farb- und Mustermix tragen, den sich kein Hipster ausdenken kann. Vor allem beeindruckt uns aber der Sound: In einen Song baut dieses Quartett lässig so dermaßen viele Ideen, Hooks, Genres, Tempi- und Stimmwechsel ein, dass wir gebannt vor der Bühne stehen.
Wie etwa ist dieser eine Popsong so schnell in eine Noise-Orgie geraten? Das ist alles mitunter noch etwas überbordend und unaufgeräumt, aber äußerst interessant. Und es macht Spaß. Hinzu kommt das Gefühl, dass da noch viel mehr gehen kann mit dieser Band. Ein Eindruck, den die Menge offenbar teilt: Auch der Publikumspreis geht an Animal’s Secret. Großer Jubel bei der Preisverleihung, die Moderator Tobias Wolff gegen Mitternacht in knackigem Flow über die Bühne bringt.
Produktion in Bahrenfeld
Im Anschluss geben wir als Jury jeder Band noch Feedback zu ihrem Auftritt. Ich hoffe, dass unsere — natürlich jeweils subjektiven — Tipps und Ansichten alle motivieren, ihr ganz eigenes Ding weiterzuentwickeln. Von Animal’s Secret erfahren wir im Gespräch, dass sie mit Produzent Kristian Kühl in seinem Studio in Bahrenfeld bereits einige Songs aufgenommen haben. So gibt es sogar einen kleinen feinen Bezug gen Hamburg.
Es würde mich sehr freuen, die Band bald mit einer eigenen Show in einem Club irgendwo zwischen Elbe und Alster zu sehen. Damit Animal’s Secret kein Geheimtipp bleibt.