„Hamburg Vinyl“ — eine popkulturelle Zeitreise mit Albumcovern

Journalisten sollen ja bitte möglichst kritisch auf die Geschehnisse der Welt blicken. Der Beruf bringt es aber dankenswerter Weise auch mit sich, das Gute und Inspirierende in seiner Vielfalt darstellen zu können. Und genau das haben ZEIT-Autor Christoph Dallach und Fotograf Bernd Jonkmanns nun getan. Ihr Buch „Hamburg Vinyl — 33 Hamburg-Cover und ihre Geschichte“ ist nicht weniger als eine feine Hommage an die hiesige Popkultur. An all die Szenen von Pö bis Pudel. An all die musikalischen und optischen Ideen durch die Jahrzehnte hinweg. Sei es Freddy Quinn, wie er für „Heimweh nach St. Pauli“ 1963 klassisch am Hafen posiert. Oder sei es der Dead Eagle Club, der für seine „Kiez“-EP 2016 das massive Antlitz des Feldstraßenbunkers nutzt.

Ich habe Christoph vor einigen Jahren kennengelernt, als wir beide auf dem Reeperbahn Festival zu Gast waren bei den Kollegen von NDR Info in der Sendung „Backstage“. Seitdem ist Christoph mir als leidenschaftlicher Plattensammler bekannt, der sich von Vinylläden magisch angezogen fühlt und die Geschäfte auch ohne Kaufabsicht nicht selten mit einer prall gefüllten Tasche verlässt. 

Spurensuche im Quadrat

Bernd bin ich das erste Mal im vergangenen Jahr bei einem gemeinsamen Termin im Nochtspeicher begegnet. Für das Magazin der Handelskammer berichteten wir damals über  die Club- und Kioskkultur auf St. Pauli. Im Gespräch stellten wir fest, dass wir beide ursprünglich aus Wesel am Niederrhein stammen. Und wer an Orten aufgewachsen ist, die keine Großstädte sind, weiß: Das verbindet. Bernd ist mindestens so fasziniert von Plattenläden wie Christoph, hat er doch diesen liebevoll geführten Spezialistenshops im Jahr 2015 mit dem Band „Recordstores“ ein tolles Denkmal gesetzt. 

Passender Weise ist „Hamburg Vinyl“, das aktuelle Buch von Christoph und Bernd, quadratisch aufgemacht. Immerhin geht es ja um legendäre, lokalverliebte wie einfallsreiche Albumcover. Auch wenn eine Langspielplatte nicht ganz in die Maße dieses knapp 100 Seiten starken Werks hineinpasst. Sehr gut gefällt mir, wie sich die beiden sowohl textlich als auch visuell auf Spurensuche begeben haben. Die jeweilige Story der 33 Platten wird  von Christoph nicht nur informativ und anekdotisch geschildert. Bernd hat die Cover auch jeweils an ihrem Ursprungsort inszeniert und fotografiert. 

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So dokumentiert „Hamburg Vinyl“ zugleich den Wandel der Stadt. Etwa bei der Platte „Onkel Pös Carnegie Hall — Live im Onkel Pö“ der Hamburg Allstars ’75. Auf der Albumhülle ist die geschichtsträchtige Hamburger Musikkneipe zu sehen. Zwar befindet sich neben dem Haus am Lehmweg nach wie vor eine Litfaßsäule, wie der direkte Vergleich zeigt. Doch die Räumlichkeiten werden längst anderweitig genutzt und beherbergen heute das Lokal einer Trattoria-Kette.

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Liverbirds an der Alster, Cher und Sonny vorm Hotel Atlantic

Toll finde ich zum Beispiel die Geschichte der Liverbirds, die mit vielen O-Tönen von Mary McGlory (heute Dostal) erzählt wird. „Girls don’t play guitar“, soll John Lennon gesagt haben, als ihm einst „Englands allererste weibliche Rockband“ vorgestellt wurde. Die vier Frauen kamen Anfang der 60er-Jahre nach Hamburg, um — wie die Beatles — im Star-Club zu spielen. Und mit der Alster im Hintergrund entstand auch das Cover zu ihrer 7-Inch-Single „Loop De Loop“ von 1966. 

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Da ich Cher gerade erst in einer beeindruckenden Show in der Barclaycard Arena gesehen habe, freue ich mich besonders über ein Cover, dass sie in jungen Jahren zeigt. Gemeinsam mit ihrem damaligen Mann Sonny steht die Sängerin vor dem Hotel Atlantic. Chers Blick schweift in die Ferne. Sonny betrachtet eine Kamera, die er soeben in der Innenstadt gekauft hatte, wie sich Günter Zint erinnert.

Der Fotograf hatte das Paar damals in Hamburg begleitet. Sein Bild ziert nun eine LP des Deutschen Schallplattenclubs aus dem Jahr 1967. Mit dem roten Hosenanzug, den Cher auf dem Cover trägt, durfte sie damals nicht in die Bar des Hotel Atlantic. Die Plattenfirma, so erzählt Günter Zint, habe dann einfach einen extra Raum angemietet, in dem alle gekleidet sein durften, wie sie wollten. Was für andere Zeiten das doch waren. 

„Hamburg Vinyl“: Mit Tom Waits‘ „Rain Dogs“ ins Lehmitz

Die Auswahl der Cover in „Hamburg Vinyl“ reicht von Udo Lindenbergs „Reeperbahn“ (1977) über Palais Schaumburg in Hagenbecks Tierpark (1981) bis zu Jan Delays „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ (2009), fotografiert an der Sternbrücke. Ein ikonischer Ort der Hamburger Clubkultur, verewigt im Albumartwork. 

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Eines der einprägsamsten Cover ist sicherlich das Bild des Fotografen Anders Petersen, mit dem Tom Waits’ Platte „Rain Dogs“ gestaltet wurde. Eine Ode an die Gestrandeten der Großstädte, so wie der Schwede Petersen sie von 1967 bis 1971 in der Kiezkneipe Lehmitz fotografierte. Auf dem Album schmiegt sich da ein junger Mann namens René schlafend oder betrunken an eine ältere Dame namens Lily, die den Erschöpften hysterisch lachend an sich drückt. Ohnehin ist St. Pauli erwartungsgemäß Ballungsgebiet für Albumcoverdesign, wie eine Karte vorne im Buch zeigt.  

Musik aus Hamburg auf allen Kanälen

Ganz so ungefördert, wie es im Vorwort zu „Hamburg Vinyl“ klingt, ist die hiesige Popkultur dank Labelförderung, Musikstadtfonds und Live Concert Account zum Glück übrigens nicht. Aber, da gebe ich den Verfassern recht: Es darf — gerade im Vergleich zu Hochkultur — gerne substanziell mehr Geld geben für all die schöne, schräge Musik aus und in der Hansestadt. Ob sie nun auf Vinyl erscheint, mit eindrucksvoller Optik, oder auf anderen Kanälen.     

„Hamburg Vinyl – 33 Hamburg-Cover und ihre Geschichte“ ist im Junius Verlag erschienen und kostet 24,99 Euro. 

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