Zwei Jahre Biggy Pop Blog — Popkultur in Zeiten von Corona

Vor zwei Jahren habe ich als Biggy Pop diesen Blog begonnen — über Popkultur in Hamburg und darüber hinaus. „Livemusik ist die Erlaubnis, alles fühlen zu dürfen. Mit anderen“, schrieb ich 2019 in meiner einjährigen Geburtstagsbilanz. Jetzt stehe ich vor der Bäckerei in der Schlange, meine Maske griffbereit und mein Blick fällt auf die nahe Litfaßsäule mit dem Titel „Kultur in Hamburg“. Neben Veranstaltungsplakaten aus dem März und April hängen Corona-Hilfsappelle für die krisengeschüttelte Szene. Das Herz ist im Frühling gestolpert und im Hochsommer gelandet. Wie fühlt es sich also an, dieses Blog-Jubiläum? Und wohin geht die Reise?

Als Journalistin habe ich mich stark damit beschäftigt, wie sich die Krise auf das Popbusiness auswirkt, zum Beispiel in den Corona-Specials der Reihe Nachtclub Überpop auf NDR Info. Oder eben hier auf dem Blog, weshalb ich die entsprechenden Beiträge noch einmal als Corona-Chronik an diesen Post anhänge. Diese Auseinandersetzung hilft mir zum einen ganz persönlich, mental mit der Lage klarzukommen und diese Ausnahmesituation ansatzweise zu begreifen. Vor allem aber hoffe ich, dass ich dazu beitragen kann, auf ganz unterschiedlichen Ebenen eine Öffentlichkeit herzustellen für die Popkultur. 

Die verbindende und innovative Kraft der Musikszene

Wir müssen immer wieder reden über die Ängste und Hoffnungen der Musikerinnen, Musiker und DJs sowie all jener, die Clubs betreiben und in der Branche arbeiten. Ich möchte aber unbedingt auch von der innovativen und verbindenden Kraft erzählen, die die Musikszene gerade jetzt entfaltet. Wir werden noch länger mit dem Virus leben müssen. Und Geld wird weiterhin nötig sein. Aber damit Menschen nach wie vor spenden und damit vor allem die Politik bis ins Detail die psychische, soziale und auch wirtschaftliche Bedeutung der Popkultur erkennt, bedarf es: Kommunikation. 

Wie wir miteinander reden, hat sich in den vergangenen Monaten verändert. Aber jenseits von Verschwörungsideologen nicht unbedingt zum Schlechteren. Wir hören nicht nur der Wissenschaft ausführlicher zu, sondern auch einander. Das erlebe ich bereits im Privaten. Beim Pandemie-gerechten Ausgehen rede ich da stundenlang mit lieben Menschen, die ich aus dem Musikleben kenne. Und mit denen ich sonst oft nur einige Sätze gewechselt habe. Da dann das Konzert begann. Da es zum nächsten Laden weiterging. Oder da ein Song startete, zu dem ich unbedingt auf die Tanzfläche musste. Ich vermisse diese Dynamik. Das Live-Erleben. Den nächtlichen Sog. Die Chance, sich zu verlieren. Um sich anders zu finden. Aber mir gefällt auch diese neue Intensität. 

Den Musikerlebnisspeicher füllen

Welche anderen Seiten an uns lassen wir nun zu? Was lernen wir an anderen kennen? Mir kommt der neue Song samt Video der Hamburger Musikerin Antje Schomaker in den Sinn: „Verschwendete Zeit“. Im retro-modernen Sound und Look irgendwo zwischen The Weeknd und „Stranger Things“ singt sie da von Erneuerung. Die Haare abschneiden, das alte Ich hinter sich lassen und aufbrechen, auch wenn die Zukunft unsicher erscheint. 

Biggy Pop, Blog, Musik, Popkultur, Hamburg, Gitarre, GeburtstagViele Popfans, denen ich derzeit begegne, scheinen all die kleinen feinen Open-Air-Optionen dieses Corona-Sommers aufzusaugen. Akustisches auf Abstand. Leichtes Tanzen im Sitzen. Anflüge von Ausgehen. Den Musikerlebnisspeicher füllen, bevor der ungewisse Herbst anrückt. Bevor es desinfiziert und auf Distanz in den Clubs weitergehen soll. Oder eben nicht. Falls die zweite Welle kommt. Und wir dann wieder „supalonely“ zuhause tanzen. Vielfalt, Subkultur, Brodeln, Schwung, Inspiration und all die zweiten Heimaten in dieser Stadt — was wird daraus? Ich mache mir Sorgen. Und zugleich will, möchte und muss ich hoffen. Auf Solidarität. Auf die Popkultur.

Veröffentlichungen aus Hamburg — Lieder, die da sind

Optimistisch stimmt mich, wie viel Musik allein in Hamburg seit dem Shutdown herausgekommen ist beziehungsweise bald veröffentlicht wird. Catharina Boutari aka Puder pendelt auf ihrem Album „Tomorrowland mit Freunden“ in traumwandlerischer Intensität zwischen Pop und Jazz. Die Punksupergruppe Trixsi slackert sich auf ihrer Platte „Frau Gott“ mit Haltung durch die Widrigkeiten des künstlerischen Daseins. Und die Band Jenobi sendet mit „Hundred Times“ einen wunderbar poppig-verschachtelten Vorboten ihres Albums „Patterns“, das am 18. September bei Grand Hotel erscheinen wird.

Nur drei Beispiele. Lieder, die da sind. Die uns niemand mehr nehmen kann. Die in die Welt reisen, während wir — weitestgehend — zuhause bleiben. Während wir im benachbarten Bundesland an den See fahren, statt in ferne Länder zu fliegen.

Virtuelle popkulturelle Reisen

Nachdem ich 2018 und 2019 verstärkt meine Selbständigkeit als Musikjournalistin und Texterin angeschoben hatte, sollte 2020 das Jahr werden, in dem ich wieder mehr reise. Zwei Wochen im Mai in meiner Schatzstadt New York sollten den Auftakt machen. Zu gerne hätte ich weitere Städte bereist, um wie im März vergangenen Jahres in Brüssel in die Popszene einzutauchen und darüber zu bloggen. Stattdessen stille ich mein Fern- und Fremdweh nun wie viele online. Unter anderem fing ich an, mich mit koreanischer Popkultur zu beschäftigen — inspiriert von den Berichten über die politische Power der K-Pop-Fans.

Vor allem koreanische Dramaserien haben es mir derzeit angetan. Zum einen fasziniert mich, dass sich die Genres darin viel stärker vermischen als hierzulande. Sprich: K-Pop-Songs dienen als Soundtrack, berühmte Sängerinnen und Sänger spielen in den Serien mit, das Unterhaltungsbusiness als solches ist häufig Thema der Handlung und moderne Technologien werden selbstverständlicher in die Geschichte eingebunden. Vor allem aber spricht mich an, wie langsam und poetisch das Storytelling funktioniert. So ein wenig Eskapismus tut äußerst gut angesichts eines ausgefallenen Festivalsommers und insgesamt weniger Möglichkeiten, seine Energien in Live-Kultur zu kanalisieren. 

Natürlich freue ich mich aber sehr darauf, wieder verstärkt über reale Events zu schreiben. Wie diese sich bis zu meinem dritten Blog-Jubiläum gestalten werden, darauf bin ich sehr gespannt.

Biggy Pops Corona-Chronik:

Deichkind in Hamburg: viral real – 8. März 2020

Corona: Wie du die Musikszene jetzt unterstützen kannst – 13. März 2020

Hört die Signale: Lob an das Akustische in Zeiten von Corona – 21. März 2020

Frau Hedi multiplizieren: Zeigt Eure Erinnerungen und bastelt die Barkasse – 7. April 2020

Introducing The Kecks: „Who gives a shit what is between your legs?“ – 29. April 2020

Ich vermisse das gute wilde Leben: ein Zwischenstand – 23. Mai 2020

Musikszene Hamburg: die Sache mit dem Streaming – 12. Juni 2020

Krach+Getöse: viel Neues beim Hamburger Newcomer-Preis – 18. Juni 2020

Endlich mal wieder: Livemusik erleben, Menschen begegnen – 28. Juni 2020

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