Albrecht Schrader vorm Knust: ultraleichtes Unbehagen

„Die Zukunft liegt verborgen / sie zieht mich in ihren Bann / weil ich mich an das Morgen / noch nicht erinnern kann“. Diese Zeilen singt Albrecht Schrader zum soften Pianospiel am Ende seines Albums „Diese eine Stelle“. Und wie vortrefflich passen diese Verse auch zu seinem Konzert auf dem Lattenplatz vor dem Hamburger Musikclub Knust. Ein Abend, um den Sommer zu verabschieden. Wenn die Sonnenwärme des Tages noch unter der Haut liegt. Wir kommen im Hellen. In T-Shirts, Hemdsärmeln und Kleidern. Und wir gehen im Dunkeln. Umhüllt von Strickjacken, Mänteln und Halstüchern. 

Albrecht Schrader liefert an diesem Mittwoch den grandiosen Soundtrack zum Transit der Jahreszeiten. Ein Übergang, der in diesem Corona-Jahr 2020 umso bedeutender erscheint. Was wird der Winter bringen? Wohin steuert das Musikleben? Noch fühlt sich die Zusammenkunft der Gäste vor dem Knust an wie ein Nachtreffen zum Reeperbahn Festival. Und wie ein Nachhall der Sommerreihe Knust Acoustics. 

Das rote Leuchten

Schnell versichern wir uns, sich mit dicken Jacken bis in den Winter hinein vor den zahlreichen, teils neu entstandenen Open-Air-Bühnen der Stadt zu treffen. Denn trotz der widrigen Pandemie-Umstände ist das Angebot in Hamburg erstaunlich groß. Allein in dieser Woche verzeichnet die App des Clubkombinats Hamburg 45 Shows. Und bis in den November hinein wächst das Programm täglich. Im Geiste tragen wir bereits Thermolatzhosen und Schneeanzüge im Design unserer Lieblingsbands. 

Albrecht Schrader, Musiker, Band, Knust, Lattenplatz, Koralle Blau, Konzert, open-airDie Zukunft, sie zieht uns in ihren Bann. Denn es soll, es muss ja weitergehen mit Konzerten, mit Popkultur. Weil wir uns nicht nur erinnern möchten. Sondern weil wir inspiriert werden wollen. Jetzt. Und morgen. Weil es den Horizont und die Seele erweitert. Etwa, wenn alles so schön rot leuchtet wie an diesem womöglich letzten Sommerabend. Rot leuchten die wetterfesten Schirme über Tischen und Bänken vorm Knust. Rot leuchtet das frisch gepresste Vinyl des Albums von Albrecht Schrader. Und rot leuchtet auch der Künstler selbst. Rote Hose, rotes Polohemd. Sozusagen der Signature-Look zu „Auf dem Golfplatz“, dem feinen Hit seiner Platte. 

„Ihr seid die Eliten / ich kenn euch allzu sehr“

„Der Ort, wo meine Jugend glüht, ist nicht, wo Hamburg brennt / Tränen fließen unverblümt in mein Polohemd.“ Albrecht Schrader führt uns vom räudigen St. Pauli geradewegs auf den kurzgeschorenen Rasen des Jenischparks. Also auf das Terrain des wohlsituierten Hamburger Westens, in dem er aufgewachsen ist. Wo unter dem gepflegten Äußeren Scham und Traurigkeit schlummern. In ultraleicht flirrenden Popchansons schimmert ein Unbehagen durch. Über die eigene Herkunft, über soziale Ungerechtigkeit.

„Ihr seid die Eliten / ich kenn euch allzu sehr / ich kann oft nicht gut schlafen / weil ich zu euch gehör’“, heißt es in „Wir sind die Eliten“. Eine Art introspektive Systemkritik. Anti-Establishment ohne krakeelende Gitarren. Das Driftende entfaltet einen sanften Druck. Nennen wir es Yacht Rock. Oder Elbvororte-Pop.

Albrecht Schrader, zwischen Rhein und Elbe

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Albrecht Schrader (Gitarre) und Marcel Römer (Schlagzeug), fotografiert von Nils Sløtæn

Nach Jahren in Köln, wo Albrecht Schrader für Jan Böhmermanns Sendung „Neo Magazin Royale“ das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld leitete, hat es ihn nun zurückgezogen in die alte Heimat. Die Lieder seines aktuellen zweiten Albums pendeln zwischen Rhein und Elbe, zwischen Milieustudien und Liebesreflektionen. Und dann ist da ein Song wie „Marijke Amado“, ursprünglich intoniert mit den Düsseldorf Düsterboys. In dieser chorischen Aufzählung von Fernsehpersönlichkeiten schwingt sehr viel verbummelte Zeit vor dem Fernsehen mit. Bunter Schein. Tristesse galore.  

Große Begeisterung ruft beim Publikum zudem hervor, wie Sänger, Pianist und Gitarrist Albrecht Schrader seine Band samt Instrumentarium vorstellt. Namentlich Katharina Dommisch (Bass, Gesang), Katharina Müller (Keyboards, Gesang) und Marcel Römer (Schlagzeug). So in etwa stelle ich mir eine Autoschau vor, wo zahlreiche Features der Geräte mit glänzenden Worten hervorgehoben werden. Würden Sie diesem Mann ein Instrument abkaufen. Ja, jedes. 

Bis es kalt wird, bleiben wir nach dem Konzert noch vor dem Knust sitzen. Dann radeln wir nachhause. Und nehmen das rote Leuchten mit.

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