Die Höchste Eisenbahn im Musikpavillon & Bilanz der Corona-Saison

Durch die frische Hamburger Nachtluft fliegen rote Luftballons. Real und in Worten. Die wunderbar schlonzige und hochgradig charmante Popgruppe Die Höchste Eisenbahn spielt ein Konzert im Musikpavillon von Planten un Blomen. Projektionen tanzen über die Fassade der retrofuturistischen Bühne und streifen auch die alten Kastanien, die das Publikum umrahmen. Eine Parkphilharmonie. Für Popkultur. Und für magische Momente. Für Merkwürdigkeiten, Reflexion, Melancholie und Humor an Musik. Ein Freiraum, nach dem sich viele sehnen. Erst recht in dieser Corona-Zeit. Doch um diese Magie überhaupt spüren zu können, ist derzeit besonders eines gefragt: Planung. Ich habe mich vor dem Auftritt von Die Höchste Eisenbahn mit Veranstalter Jan Köpke von der Hamburger PR- und Booking-Agentur Popup Records unterhalten. Gemeinsam mit dem Musikunternehmen OHA! Music hat seine Agentur den Musikpavillon im Herzen Hamburgs für Popkonzerte erschlossen und die Open-Air-Reihe „Draussen im Grünen“ initiiert.

Musikerin Anna Depenbusch beschließt das Programm 2020 am 4. Oktober. Wie ist diese erste Saison auf der Bühne in Planten un Blomen unter Pandemie-Bedingungen gelaufen?

Ohne Förderung ein wesentlich dünneres Brett

Draussen im Grünen, Musikpavillon, Planten un Blomen, Popup Records, OHA!„Wir sind total froh, diese tolle Location während der Corona-Zeit bespielen zu können“, erzählt Jan, während das Security-Personal die ersten Gäste — natürlich mit Masken — an einen der 400 Sitzplätze geleitet. Fast 30 Shows haben Popup Records und OHA! Music seit August realisiert. Von Hip-Hop über Kindermusik bis zu Indierock. Etwa ein Drittel der Kosten wurden aus der Open-Air-Förderung der Stadt Hamburg finanziert. Ein Fördertopf, der insgesamt 1,5 Millionen Euro umfasst und die Kulturproduktion unter freiem Himmel in Corona-Zeiten ankurbeln soll. Zahlreiche Veranstalter und Clubs haben daraufhin ihr Outdoor-Programm hochgefahren, etwa das Molotow in seinem Hinterhof oder das Schroedingers im Schanzenpark. 

Jan betont: „Ohne diese Förderung wäre unser Projekt ein wesentlich dünneres Brett geworden. So konnten wir nun mehr Konzerte organisieren, den Bands bessere Deals anbieten und uns auch einen größeren Personalstab leisten.“ 15 Menschen arbeiten bei „Draussen im Grünen“ am Einlass, in der Gastro sowie in der Durchführung. Teile des Teams stammen aus anderen Hamburger Clubs, die noch geschlossen sind. Ein schöner Zusammenhalt, der sich auch in der Atmosphäre auf dem Gelände widerspiegelt. Alles wirkt gut durchdacht und zugleich entspannt. 

Frischer Wind in Planten un Blomen

Ohne Hygiene-Auflagen würden 700 Gäste auf dem Areal Platz finden. Rein rechnerisch sind die jetzigen Konzertabende mit reduzierter Kapazität also nichts, was ungeahnten Reichtum in Krisenzeiten beschert. „Wir kommen hin“, sagt Jan auf die Frage, ob sich „Draussen im Grünen“ denn finanziell lohne. Er hofft allerdings, dass Popup Records und OHA! Music den Musikpavillon langfristiger bespielen dürfen. Also womöglich auch, wenn ein Impfstoff gefunden ist und wieder mehr Menschen im Publikum erlaubt sind. Das hätte auch einen positiven Effekt auf die Nutzung des Parks. „Durch unsere Shows kommen noch einmal ganz andere Leute nach Planten un Blomen. Es weht ein frischerer Wind“, erzählt Jan. 

Artwork, Draussen im Grünen, Designerin, Kati Krüger
Das Artwork zu „Draussen im Grünen“ hat Designerin Kati Krüger gestaltet

Der Leiter des Bezirksamts Mitte, Falko Droßmann, steht „Draussen im Grünen“ offenbar positiv gegenüber: „Laue Sommerabende im Park und tolle Konzerte – das passt zusammen“, erklärte er zum Auftakt der Reihe.

In den vergangenen Jahren waren eher leisetretendere Veranstaltungen im Musikpavillon gestattet. Zum Beispiel die Jazz Open und das Wortpicknick, eine Kombination aus Lesung und Singer-Songwriter-Auftritten. Jan hat eine Vermutung, warum in der jüngeren Vergangenheit diese vermeintlich gepflegteren Formate gewünscht waren. Und die führt in eine staunenswerte Episode der Hamburger Popgeschichte.

Hamburger Popgeschichte: Eskalation im Musikpavillon

„Ende der 80er-Jahre haben die Bollock Brothers im Musikpavillon gespielt. Ich war dort als Teenager. Nach vier Liedern hatte sich die Band zerstritten und ist einfach abgehauen. Es dauerte nicht lange, bis all die anwesenden Punks ausgerastet sind“, erzählt Jan. Und er schildert die unterschiedlichen Eskalationsstufen: Erst die Bühne stürmen. Dann die Instrumente klauen. Und schließlich das restliche Inventar anzünden. Fun Fact: Die Hamburger Band Tocotronic hat dieses musikhistorische Ereignis in ihrem Video zu „Aber hier leben nein danke“ nachgespielt. Wusste ich auch noch nicht. Spannend.

Jan Köpke, Popup Records
Jan Köpke, fotografiert von Andreas Hornoff

„Wirklich irre, dass ich jetzt selbst hier Veranstalter bin“, sagt Jan. Und dann erzählt er noch von sechsstelligen Beträgen, die seiner Firma am Anfang der Corona-Zeit weggebrochen sind. „Die Kurzarbeit war da ein wirklicher Segen.“ Interessant ist, wie sich die Musikbranche aufgrund der Pandemie derzeit umgestaltet. Popup Records zum Beispiel ist nicht nur eine PR- und Booking-Agentur, die in den vergangenen Jahren unter anderem den „Sommer in Altona“ organisiert hat, sondern darüberhinaus ja auch ein Label. 

„Viele Künstlerinnen und Künstler wollen derzeit Singles veröffentlichen, um mit ihrer Musik im Gespräch zu bleiben“, sagt Jan. Sprich: Konservierte Musik wird als Visitenkarten und Einnahmequelle wieder wichtiger, wenn die Chancen geringer sind, sich live zu präsentieren. Umso größer sei die Dankbarkeit der Bands, wenn sie dann doch mal wieder vor Publikum spielen können. Und für magische Momente sorgen. So wie Die Höchste Eisenbahn bei der ersten von zwei ausverkauften Shows bei „Draussen im Grünen“.

Die Höchste Eisenbahn und die „fehlenden Tanzlustigkeiten“

„Hallooo“, sagt Gitarrist, Sänger und Keyboarder Moritz Krämer, der die Silben gerne schluffig dehnt und insgesamt gerne einen sympathischen „Gerade aufgestanden“-Eindruck macht. Wirkt natürlich nur so. Denn in Wahrheit wird da blitzgescheit aufgespielt. Es ist aber diese Mischung aus wirklich eingängigen Popmelodien und dieser gewissen Schlendrian-Attitüde, die mich an der Band immer wieder begeistert.

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Moritz Krämer (l.) und Felix Weigt, fotografiert von Sebastian Madej (so auch das Titelbild)

„Ich hoffe, Ihr habt alle eine dicke Jacke oder eine Decke dabei“, sagt Moritz Krämer dann noch. Winter is coming. Und obwohl es tagsüber sonnig und mild war, sinken die Temperaturen mit Einbruch der Dunkelheit rapide. Passend zur Kälte, die in die Knochen zu kriechen droht, kommt der Song „Pullover“. Gefolgt von Ausführungen der Band zum Thema „fehlende Tanzlustigkeiten“. 

Trockenhumorige Monologe und 99 Luftballons

Warmtanzen wäre tatsächlich schön. Lustig ist es dennoch. Zum Beispiel, wenn Krämer einen trockenhumorigen Quarantänemonolog hält, bei dem nicht ganz klar ist, an wen er sich richtet. Eine fast verflossene Liebe? Sein Unterbewusstsein? Oder an Kompagnon Francesco Wilking (der ebenfalls zwischen Mikro, Gitarre und Keyboard wechselt)? Moritz Krämer spricht seine Abhandlungen über Sprachnachrichten, C&A-Hosen sowie seinen Neid auf Musiker Frank Spilker jedenfalls so grandios verzweifelt ins Off, dass sich das Publikum irgendwo zwischen Mitleid und Amüsement bewegt.

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Francesco Wilking, fotografiert von Sebastian Madej

Der gesamte Abend ist ein höchst unterhaltsames Driften. Untermalt durch die wirklich tollen Lichtprojektionen auf die weißen Wände des Musikpavillons. Und wie war Die Höchste Eisenbahn noch gleich in dieses Medley geraten, das mit Nenas „99 Luftballons“ endet?

Abwechslungsreich fügen sich die Songs ineinander. Die beatlesken Harmonien in „Job“. Das zartbittere Sehnen in „Raus aufs Land“. Und das Blumfeld-Intermezzo in „Woher denn“. Wir sind draußen. Draußen auf Kaution. Draußen im Grünen. Was für ein Glück.

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Herzlichen Dank an Sebastian Madej für die Konzertfotos.

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Moritz Krämer, Max Schröder, Francesco Wilking und Felix Weigt (v.l.) sind Die Höchste Eisenbahn, fotografiert von Sebastian Madej