Wir umarmen uns. Stehen dicht an dicht in der Menge. Bringen uns gegenseitig Getränke. Von einer echten Bar. Klassentreffengefühl. Das Konzert von Ove im Knust war eines der letzten, das ich vor Corona erlebt habe. Ende Februar 2020. Noch nahezu unbekümmert. Eine Erinnerung, die warm auflodert im Herzen. Und eine Flamme, die ich schnell wieder eindämme. Damit die Sehnsucht nicht zu heftig brennt. Doch ein Abschied war dieser Abend so oder so. Denn Ove und auch Deniz Jaspersen, einer seiner damaligen Gäste auf der Bühne, haben vor gut einem Jahr erst einmal „Tschüs“ gesagt zur Erwachsenenmusik. In den vergangenen Monaten haben sie dafür als Deniz & Ove unfassbar eingängigen, spielfreudigen und wahrhaftigen Pop für Kinder produziert. Und nicht nur für die. Als ich mir die Songs ihres neuen Albums anhöre, bekomme ich unmittelbar gute Laune. Also: Raus aus dem Coronablues, rein ins „Bällebad“.
An einem Vormittag mit viel Aprilwetter vor dem Fenster treffe ich mich mit Deniz und Ove zum Pandemie-gerechten Videocall. Und was ich vor allem aus diesem Gespräch mitnehme: Wie sich da zwei Künstler mit ihrem neuen Projekt regelrecht freigespielt haben von Routinen und Konventionen. Diese Energie finde ich überaus inspirierend. Die beiden erzählen, wie im Indie- und Singersongwriterkontext gerne mal über jeden Vers und jeden Akkord nachgegrübelt wird. „Bei der Kindermusik haben Deniz und ich einfach drauflosgeschrieben — ohne Filter“, erklärt Ove. Deniz erzählt, wie er seit Jahren mal wieder mit einer Idee nachts aufgewacht ist und einen Song einfach in einem Rutsch notiert hat. Ein Kribbeln, ein Flow. „Das hat eine riesengroße Freude in mir ausgelöst, dass Musikmachen wieder so intuitiv und verhältnismäßig leicht sein kann“, sagt Deniz. „Ich kann wieder Songs schreiben wie zu einer Zeit, bevor man so viel wusste.“
Pop für die Quatsch- und Trotzköpfe, Angsthasen und Superhelden in uns
Deniz & Ove sind beide bei weitem keine Neulinge in der Musikszene. Ove hatte im Jahr 2019 bei Tapete Records mit Band seinen dritten Longplayer „Abruzzo“ veröffentlicht. Geschichten zwischen Dachs und Digitalisierung, zwischen Folk und Yacht-Pop. Deniz wiederum hat mit seiner legendären Musikgruppe Herrenmagazin vier Indiepop-Alben herausgebracht, zuletzt bei Grand Hotel van Cleef. Danach war er auch solo zu erleben.
Mit ihrem Pop für Kinder sind sie nun nicht bei einer klassischen Plattenfirma beheimatet, sondern beim Oetinger Verlag. Eine eingeübte Verbindung. Denn Oetinger verlegt auch die hochgradig charmante Kinderpop-Reihe „Unter meinem Bett“, zu der Deniz & Ove ebenfalls bereits Songs beigesteuert haben. Das Kindergartenliebeslied „Lisa“ findet sich ebenso wie zwei weitere „Unter meinem Bett“-Nummern neu arrangiert auf dem Album „Bällebad“.
„Textlich sind wir am inspiriertesten, wenn wir schlecht gelaunt sind“, hatte mir Deniz 2013 noch in einem — allerdings überaus amüsanten — Interview für das Abendblatt erzählt. Damals ging es um das Herrenmagazin-Album „Das Ergebnis wäre Stille“. Von Pessimismus oder Trübsal ist auf „Bällebad“ ganz und gar nichts zu spüren. Im Gegenteil. „Wir haben einfach das innere Kind sprechen lassen“, sagt Ove. Und tatsächlich bekomme ich besonders bei den mittlerweile drei Videos von Deniz & Ove das Gefühl, dass die zwei vor allem für sich selbst musizieren. Also weniger für eine streng kalkulierte Zielgruppe im mittlerweile heiß umkämpften Markt für Kindermusik. Sondern vielmehr für die lütten Quatsch- und Trotzköpfe, Angsthasen und Superhelden, die in ihnen wohnen. Pop für Kinder? Pop für uns!
Zwei grundsympathische Typen, die lustig anzuschauen sind
Zum Titelsong „Bällebad“ turnen die beiden mit elastischen Beinen in einer Sporthalle umher und springen mit bunten Bällen auf einem Trampolin um die Wette. Im Clip zu „Krümelkind“ wirbeln Deniz & Ove in einer Küche umher, drehen Erdnussflips durch den Fleischwolf und backen — unter viel Gekrümel, versteht sich — einen Kuchen. Und im Video zu „Klettverschluss-Hauke“ werden sie zu grob pixeligen Figuren in einem alten Computerspiel. „Normalerweise versucht man immer, halbwegs cool in die Kamera zu gucken. Auf einmal dürfen wir Quatsch machen und übers Ziel hinausschießen“, sagt Deniz. Ein Zustand, in den er sich nicht groß hineinfühlen musste. „Ich finde ganz viele Disney-Sachen mega toll. Ich liebe die Muppets und ich liebe die Sesamstraße.“
Je länger ich Deniz & Ove bei ihrem famosen Schabernack betrachte, umso logischer scheint mir, dass sie zusammen Pop für Kinder machen. Zwei grundsympathische Typen, die einfach im besten Sinne lustig anzuschauen sind. Deniz mit dunklen, Ove mit rot leuchtenden Locken. Beide mit offenem Blick, Schalk im Nacken, aber auch mit einer großen Aufrichtigkeit. Immer wieder transportieren die Lieder eine weltoffene Haltung, die sich allerdings ganz ohne Zeigefinger vermittelt.
Federleichter Bandsound zwischen Gitarren- und Synthie-Pop
„Es war von Anfang an unser Anspruch, dass wir Kinder ernst nehmen“, sagt Ove. „Kinder sind wissbegierig und abenteuerlustig. Man kann ihnen Inhalte zutrauen.“ Zu hören ist das zum Beispiel in einem Song wie „Alles neu“, der von der Aufregung eines Umzugs erzählt. „Emma hat ne krumme Nase, Noahs Beine sind zu kurz, Jan hat Zähne wie ein Hase und Pria hat in Sport gefurzt“, singt Deniz wiederum in „Regenbogen“. Und weiter heißt es da: „Wir alle sind besonders / Und niemand ist perfekt / Du bist nicht groß, wenn Du die anderen kleinmachst / Wir zeigen dir, was in uns steckt.“ So genial einfach kann Diversität sein.
Musikalisch gehen die Songs mit feinem Uptempo-Drive nach vorne. Ein federleichter Bandsound zwischen Gitarren- und Synthie-Pop, den Deniz & Ove mit zahlreichen befreundeten Musikerinnen und Musikern umgesetzt haben. Unterstützt durch eine Förderung der Initiative Musik. Mit dabei sind Nina Müller (Tasten & Backings), Timon Schempp (Schlagzeug) und Niklas Beck (Bass). Zu hören sind ebenfalls Björn Sonnenberg und Stefanie Schrank (Gorilla Club), Saskia Lavaux (Schrottgrenze), Larissa Pesch und Francesco Wilking sowie der Kinderchor Tiny Wolves.
Deniz & Ove: kreativ und menschlich keine Schranken
„Wir haben im Proberaum sehr wenig verworfen“, erzählt Ove. „Es war eine positive Schneeballschlacht an Ideen. Die Arrangements sind im Nu entstanden. Wir hatten aber auch ziemlich versierte Musikerinnen und Musiker am Start.“ Kreativ und menschlich gab es keine Schranken. „Ich habe eher Angst davor, ob wir in der Kindermusik irgendwann auch an einen Punkt kommen, wo man zu viel nachdenkt“, sagt Deniz. „Aber wir müssen uns einfach versprechen, dass wir das nie tun.“
Eine Offenheit, die auf „Bällebad“ überdeutlich und beglückend zu spüren ist. Und die sich offenbar auch auf die Kleinsten überträgt. Deniz erzählt, dass sein zweijähriger Sohn das Album mindestens zehn Mal am Tag hören möchte. Oves Sohn wiederum ist noch ein wenig zu jung, um seine Begeisterung zu artikulieren. Er hat fast zeitgleich mit dem Album vor wenigen Wochen das Licht der Welt erblickt. Quasi ein Doppelrelease. Fehlt nur noch die Live-Premiere von „Bällebad“. Hoffentlich bald. Auf jeden Fall aber bunt.