Musik ist für mich die Übertragung von Energie. Es geht darum, Reibungen zu erzeugen, Verbindungen herzustellen, Druck aufzubauen und abzulassen. Insofern ist der Titel bestens gewählt, den das Hamburger Garage-Rock-Duo Hawel / McPhail für sein Album gewählt hat: „Transmissions From The Upper Room“. Mit besagtem Upper Room betreibt Rick McPhail seit Jahren ein Studio in Altona. Ich erinnere mich, dass ich 2011 dort mit ihm über sein Soloprojekt Glacier (Of Maine) sprach. Und auch seine Band Tocotronic gab dort bereits Interviews, etwa 2010 zur Platte „Schall & Wahn“. Ein versteckter, auch unprätentiöser und unweigerlich mit der Hamburger Szene verbundener Ort. Kein High-End-Geräte-Park. Vielmehr ein Raum, wo der Sound durch die Nischen rauschen darf. Wo sich das Raue gerne entlädt. Und eine Wirkungsstätte, die eng mit der Geschichte von Hawel / McPhail verknüpft ist.
„Wir haben uns auch vorher schon im Upper Room getroffen, um Musik zu hören, Effektgeräte anzuschauen und zu reden“, erzählt Frehn Hawel im Videocall, zu dem er stilecht im Signature-Look des Duos gekleidet ist — ein mit Nachnamen besticktes Hemd. So wie es in den USA vielleicht Angestellte in Autowerkstätten tragen würden. Mir gefällt die Idee, dass die zwei ihre neue Formation einfach nach sich selbst benannt haben. Beide sind Anfang 50, Familienväter und seit Jahrzehnten im Rock’n’Roll unterwegs. Warum also nicht ganz unaufgeregt und zugleich selbstbewusst mit den eigenen Namen an den Start gehen.
Eine Idee vom guten wilden Leben. Eine Liebe zum Sound
Frehn kenne ich seit langem als Sprecher des Konzertveranstalters Karsten Jahnke, aber auch als Musiker in Bands wie The Last Things und Neat Neat Neat. Rick hat — neben Tocotronic — in der jüngeren Vergangenheit mit seinem Projekt Mint Mind feine Slacker-Songs produziert. Zwei Typen, die Zeit ihres Lebens in Bands, in Musik leben. Und die sich in diesem Kontext auch vor 20 Jahren kennengelernt haben. Zusammen auf Tour. Frehn mit Tigerbeat, Rick mit Venus Vegas. So viele Konstellationen, so viele Konzerte. Aber da ist ein gewisser Spirit zu spüren, der ihr Schaffen langfristig trägt. Eine Idee vom guten wilden Leben. Eine Liebe zum Sound. Das Weitererzählen der eigenen musikalischen Sozialisation. Aber vielmehr noch der Drive und Drang, etwas ausdrücken zu wollen. Mission und Transmission gleichermaßen.
„Tocotronic waren die ersten aus unseren Kreisen, die durch die Decke gingen mit aussagestarken Texten“, erzählt Frehn, der bei Hawel / McPhail die Lyrics schreibt, Gitarre spielt und singt. „Ich selbst bin mit Musikern wie Paul Weller aufgewachsen, dessen Themen nie wirklich leicht waren.“ Einen Blick auf unsere Zeit möchte er richten. Ohne Blabla und Zeigefinger. Aber wohl wissend, dass wir alle Teil des Getriebes sind. Gemäß dem Adorno-Zitat: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“.
So erzählt etwa der akzentuiert knarzende und krachende Opener „Pause Play“ von der Erschöpfung im Kapitalismus. Vom Effizienzgetriebenen, in dem wir alle in irgendeiner Form stecken. Und der furios fuzzige Indiedancefloorhit „Minor Commotion“ handelt davon, wie fragil unsere Existenz doch ist. Wie leicht es geschieht, durchs Raster zu fallen. Die Songs von Hawel / McPhail sind durchzogen von der Haltung, trotz all der täglichen Widrigkeiten mit einem gewissen Rückgrat durchs Leben zu kommen. To fuck it up, to try again. Gut herauszuhören in „Battle Of Hypocrites“.
Jenseits bierseliger Breitbeinigkeit
„Jeder ist ein wandelnder Widerspruch. Es gibt immer Ecken und Brüche. Man muss das anerkennen und benennen“, sagt Frehn. Den beiden geht es auch darum, mit ihrer druckvoll verzerrten Spielart zwischen Sixties, Garage und Blues dieses ganze Rock-Ding nicht zu eindimensional zu fahren. Weder wollen sie sich mit der bierseligen Breitbeinigkeit des Genres identifizieren noch stetig nach dessen Kommerzialisierbarkeit schielen. Mit wie viel Doppelmoral das Freiheitsversprechen des Rock’n’Roll mittlerweile vermarktet wird, davon erzählt etwa der Song „Random Revolution“.
„Das ist die Dualität, in der wir leben, wenn auf einem dicken Auto neben einem Black Flag-Aufkleber ein Apple-Sticker klebt“, sagt Rick im Video-Interview. Mit La Pochette Surprise von Swutscher-Gitarrist Velvet Bein hat sich Hawel / McPhail sehr bewusst für ein junges Hamburger Label entschieden, in dem die Rock-Ästhetik klug und aufgeschlossen betrieben wird. Und auch Rick trägt mit seinem Upper Room selbst dazu bei, dass die Szene lebendig bleibt. Drei Bands hat er im vergangenen halben Jahr in seinem Studio aufgenommen, darunter die wunderbar minimal rockende Hamburger Formation Twisk mit ihrem Debüt „Intimate Polity“.
Hawel / McPhail im Upper Room: Effekte mit Rundumblick
Zwar ist Rick hörbar verliebt in Effektgeräte und Gitarrenpedals. Aber er stockt seine Sammlung im Upper Room nicht fortwährend auf, sondern nutzt das vorhandene Equipment in einer Mischung aus digital und analog. „Ich finde eine gewisse Limitierung interessant“, erzählt er. „Im Internet gibt es einfach viel zu viel Information zu Aufnahme, Mixing und Mastering. Da kann man schon mal in ein Rabbit Hole fallen und monatelang in Foren verbringen. Letzten Endes möchte ich mich aber wieder mehr auf mein Gehör verlassen. Früher gab es im Engineering keine ausgefeilten Analyse-Tools. Du konntest die Wellenformen einer Tonspur nicht digital sehen. Das möchte ich mir zurückholen und alles, was sich an Aufnahmen in meinem Rechner befindet, einfach wie bei einer Bandmaschine nutzen.“
Frehn bestätigt den Ansatz, dass im Studio viel mehr das „wie“ als das „womit“ die Produktion bestimmt. „Die Person, die hinter den Reglern sitzt, prägt ein Studio. Und es hilft total, dass Rick selbst Musiker ist und somit einen Rundumblick hat. Er kann Sounds umsetzen, die nicht immer high end sein müssen, damit sie richtig klingen“, sagt Frehn.
Bei Hawel / McPhail sitzt Rick am Schlagzeug, obwohl er normalerweise an Gitarre oder Keyboard zu finden ist. „Ich habe bei Tocotronic nur einmal Schlagzeug gespielt, als Arne einen Allergieschock hatte. Das ist lange her, war aber eine gute Feuertaufe“, erzählt er. Seine neue Instrumentenrolle scheint ihm jedenfalls hörbar zu gefallen. Und wie er dazu kam, hat ebenfalls mit dem Upper Room zu tun: 2018 wollte Frehn mit einer Art Best-of seiner bisherigen Bands auftreten und hatte dafür im Internet einen Drummer akquiriert. Er saß gerade mit Rick im Studio, um ein Pedalboard zusammenzustellen, da kam die Absage seines eben erst gefundenen Mitmusikers. „Du weißt schon dass ich auch Schlagzeug spiele‟, hatte Rick dann gesagt. Und diese frisch gegründete Allianz war alsbald bei ersten Konzerten zu erleben, unter anderem im Molotow. Und nun ist sie auch auf Platte zu hören. Vom Upper Room in die Welt.
Hawel / McPhail live: Di 3. August, Molotow Backyard, Support: Dunya