Zwischen Musikszene und Intensivstation: Silvie Torneden im Interview

Im September habe ich Silvie Torneden kennengelernt. Für das Abendblatt interviewte ich sie zu ihrer neuen Aufgabe als Geschäftsführerin des Frauenmusikzentrums (FMZ) in Altona. Seit 1987 können Musikerinnen dort proben, netzwerken und sich professionalisieren. Und Silvie bringt die Fähigkeit mit, das künstlerische Leben in ganz unterschiedlichen Facetten zu erkunden: Sie hat Kultur- und Medienmanagement studiert. Sie macht mit ihrer Band Bullshit Boy selbst Musik. Zudem legt sie seit 20 Jahren als DJ Indie und Electro auf. Und sie dreht Filme und Videos, etwa für die Hamburger Rapperin Finna. Zugleich arbeitet Silvie aber auch im Altonaer Krankenhaus als Intensivpflegerin. Ich habe sie als reflektierten und zugleich sehr inspirierten Menschen wahrgenommen. Angesichts der sich zuspitzenden Corona-Lage, die die Branche nun schon seit rund 20 Monaten herausfordert, habe ich mit Silvie über ihr Leben zwischen Musikszene und Intensivstation gesprochen. 

Wie teilt sich Deine Arbeitszeit prozentual auf zwischen Gesundheitswesen, Frauenmusikzentrum und Filmemachen? 

Momentan arbeite ich 40 Prozent im Krankenhaus und circa 50 Prozent im Frauenmusikzentrum. In der restlichen Zeit gehe ich meiner eigenen Kreativität nach, wie zum Beispiel das Filmemachen oder Musizieren, Freund:innen treffen etc. 

Welche Erfahrungen machst Du derzeit in Deinem Beruf auf der Intensivstation? 

Das Arbeiten auf der Intensivstation war vor der Pandemie schon herausfordernd. Jetzt hat sich vieles weiter verschärft. Der zunehmende Arbeitsaufwand, die Bettenengpässe und die personellen Krankheitsausfällen müssen ständig kompensiert werden. Täglich gibt es neue Herausforderungen, die wenig planbar sind. Momentan ist es in meinem Krankenhaus so, dass sich eine Intensivstation überwiegend oder fast ausschließlich um infektiöse Covid-Patienten kümmert. Die andere Intensivstation muss alle anderen Krankheits- und Notfälle übernehmen oder Long-Covid-Patienten zur weiteren Nachbeatmung. Somit muss die Regulierung der Betten teilweise mehrmals täglich neu geplant werden. Immer wieder wird abgewogen, wer verlegt werden kann und wer nicht, um ein Patientenbett wieder neu belegen zu können. Der Arbeitsaufwand und das Tempo sind teilweise enorm. Die Lage hat sich deutlich zugespitzt. Und die Sorge, um das was kommen wird, wächst ebenfalls. 

Silvie Torneden, Frauenmusikzentrum, Altona
Silvie Torneden vor dem Frauenmusikzentrum in Altona, fotografiert von Sarah Höfling (Foto Intensivstation von Stepahnie Manthei).

Wie motiviert Ihr Euch als Team auf der Intensivstation in dieser herausfordernden Zeit? 

Wir versuchen so gut es geht aufeinander aufzupassen. Gegenseitiger Austausch und Unterstützung sind eine große Hilfe. Allerdings ist auch eine zunehmende Demotivation zu spüren. Es fehlt die Perspektive auf Änderung oder ein Ende der pandemischen Zeit. Eine dauerhafte Motivation aufrechtzuerhalten, ist momentan eher schwierig. Es ist schon wichtig, als Team gut zu funktionieren und zusammenzuhalten. Gemeinsames Lachen, trotz harter Zeiten, ist die beste Motivation. 

Hast Du erlebt, dass Kolleginnen und Kollegen im Zuge der Pandemie dauerhaft krank sind, gekündigt beziehungsweise den Job gewechselt haben? Und wie beeinflusst das die Arbeit und Atmosphäre auf der Station? 

Das erlebe ich häufig. Fast täglich werden Kolleg:innen zum Arbeiten gesucht, da jemand krankheitsbedingt ausgefallen ist. Viele wechseln den Job, gehen in Teilzeitarbeit oder zu Zeitarbeitsfirmen, da sie auf Dauer den Stress im Krankenhaus nicht kompensieren wollen oder können. Stellen können zum Teil nicht nachbesetzt werden, da der Fachkräftemangel schon seit Jahren ein bekanntes Problem ist. Jetzt ist es noch viel prekärer geworden. Der Markt ist so gut wie leergefegt und neue Kolleg:innen werden händeringend gesucht. Auch werden vermehrt Zeitarbeitsfirmen benötigt, um die die Lücken halbwegs zu füllen. Meist reicht das aber auch nicht aus, da es immer wieder kurzfristige Krankmeldungen gibt. Entweder wird dann noch jemand gefunden zum Arbeiten oder es muss anderweitig kompensiert werden. Es ist ein ewiges Hamsterrad und die Atmosphäre ist durchaus angespannt. 

Inwiefern ist Musik und Filmemachen für Dich auch ein Ausgleich zu Deiner Arbeit im Gesundheitswesen? 

Das war schon immer ein total wichtiger Ausgleich für mich. Dafür bin ich auch sehr dankbar, dass ich das Ventil für mich habe. Zum einen ermöglicht mir die Kreativität immer wieder neue Einblicke und Möglichkeiten in andere und neue Bereiche. Ich kann mich ausprobieren und Neues entdecken und in andere Welten abtauchen. Zum Anderen erdet mich der Beruf im Gesundheitswesen sehr. Mir wird immer wieder das Existenzielle gespiegelt und wie kurzlebig doch unser Leben sein kann. Deshalb versuche ich, meine Träume und Bedürfnisse so gut es geht zu leben und die alltäglichen Dinge viel mehr wertzuschätzen. Sowohl die Kreativität und Kultur als auch die soziale Arbeit sind für mich sehr wichtig. Gerade wegen dieser Gegensätzlichkeiten halte ich meine Balance und empfinde das, was ich tue, als sinnerfüllend. 

Silvie Torneden, Bullshit Boy, Band, Hamburg
Silvie Torneden mit ihrer Band Bullshit Boy, fotografiert von Christiane Stephan.

Weite Teile der Club- und Veranstaltungsbranche versuchen, schnell und agil auf das dynamische Infektionsgeschehen zu reagieren, zum Beispiel durch die Einführung von 2G+. Wie nimmst Du das Verhalten und die Lage der Szene wahr? 

Ich erlebe, dass im kulturellen Bereich vieles in Kauf genommen wird, um bloß nicht wieder schließen zu müssen. Die Angst vor dem nächsten Lockdown und auch die existenzielle Angst pulsieren täglich mit. Auch auf Seiten des Publikums wird vieles mitgemacht und geduldet. Zwar gibt es auch Anfeindungen, aber die Mehrzahl zeigt sich sehr verständnisvoll und ist extrem dankbar, für alles, was versucht und getan wird. Kultur wird gebraucht, dass steht ausser Frage. 

Wie gestaltet sich derzeit das Leben und Proben im FMZ? 

Wir haben Hygiene- und Lüftungskonzepte, an die sich alle halten. Das funktioniert wirklich sehr gut. Die Bands und Musikerinnen proben jeweils in eigenen Räumen. Danach wird ausgiebig gelüftet. Durch einen digitalen Raumplaner können sich die Musikerinnen von zu Hause für einen Timeslot in den Proberaum eintragen. So kommt es zu keinen größeren Begegnungen im Frauenmusikzentrum. 

Welche Pläne hast Du als neue Geschäftsführerin für die Zukunft? 

Für nächstes Jahr sind einige schöne Workshops geplant zu unterschiedlichen Themen. Auch erweitern wir unsere Mädchenarbeit und wollen unter anderem im Sommer ein Mädchen-FLINTA*-Festival über mehrere Tage mit Workshops und Abschlussveranstaltung umsetzen. Es wird neue Kooperationen geben und einige Konzert-Veranstaltungen. Außerdem wird das Frauenmusikzentrum nächstes Jahr 35 Jahre alt. Das wollen wir natürlich auch gebührend feiern. 

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