„Mein Beitrag‟ mit Anoki: von Rassismus erzählen, Pop diverser machen

„Viele Leute haben die Vorstellung, dass sich politische Musik nicht so cool umsetzen lässt. Aber Hanau war für mich der letzte Schritt, nicht nur ein bisschen Systemkritik zu üben, sondern das Thema Rassismus konkret anzufassen. Ich hatte ganz stark das Gefühl von: Ich öffne mich‟, sagt der Berliner Rapper, Sänger und Musiker Anoki über seine aktuelle Single „Schüsse‟. Der Song war die erste Nummer, die ich mir vor meinem Gespräch mit Anoki angehört habe. Zur Vorbereitung auf meine Blog-Reihe „Mein Beitrag‟, in der ich junge Popkünstler*innen und ihre Auseinandersetzung mit sozialen Thema porträtiere. Und „Schüsse‟ hat mich wirklich sehr bewegt.

Begleitet von Fanfaren und einem Marching-Band-Sound erzählt Anoki hoch emotional und in knappen Szenen verdichtet, wie sich all die kleinen und großen Diskriminierungen in seine Biografie eingeschrieben haben. Von der Schule über den Supermarkt bis zum Schützenfest. Das Maul zu- und die Tür aufhalten. Sich anpassen. Und sich doch zunehmend fremd fühlen. Sich rechtfertigen müssen. Doch wofür? „Bevor ich sagen konnte, wer ich bin, habt ihr es mir gesagt‟, erklärt Anoki in eindringlichem Sprechgesang. In „Schüsse‟ verhandelt er innere Widersprüche, die lange nicht so klar zum Vorschein kommen konnten. 

„Schüsse‟, ein sehr persönliches Lied mit starker kollektiver Kraft

„So etwas wie einen Heimatbegriff gab es nie wirklich für mich. Aber ich habe mir das gerne eingeredet, weil es eben dazugehört. Ein Teil meiner Identität liegt nicht hier und wird nicht anerkannt‟, sagt Anoki im Interview. Geboren im niederländischen Utrecht, wuchs er im fränkischen Schweinfurt auf. Liebevolle Familie. SPD-Gewerkschaftsumfeld. Die Mutter deutsch, der Vater US-Staatsbürger mit indonesischen Wurzeln. In „Schüsse‟ geht es auch um dessen Abwesenheit. Ein sehr persönliches Lied, das zugleich eine starke kollektive Kraft hat. Eine Geschichte, die für viele steht. Für das Dilemma zwischen Selbst- und Fremdbild. Zwischen eigener Identität und gesellschaftlichen Zuschreibungen. 

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Anoki, fotografiert von Janos Götze (alle anderen Bilder ebenso).

„Ich habe immer wieder Rassismus erlebt. Aber ich konnte das Gefühl jahrelang nicht benennen. Jetzt bin ich 28. Und erst vor drei, vier Jahren hat es bei mir Klick gemacht‟, sagt Anoki. Was bedeutet es, „anders‟ auszusehen? Wie werden die Normen gesetzt? Anoki schaut genauer hin. Wie sieht die familiäre Seite seines Vaters aus? Was sind das für Leute? „Ich habe eine Lampe hineingeworfen. Mal sehen, wie tief die fällt‟, sagt er über seine Erkundungen. Kindheit und Jugend in Bayern hallen in seinen Songs nach. Wie Schweinfurt von Industrie geprägt ist. Die türkischen Gastarbeiter*innen an den Rand geschoben. Die Reichen in ihren eigenen Vierteln. Wenig öffentliche Orte. Polizeikontrollen ohne Grund. Etwas Erdrückendes und Enges. Ein Gefälle, ein Nährboden. Zu finden überall in Deutschland.

Nach Hanau nicht in Ohnmacht verfallen

„Und dann tut es wieder weh / soll ich bleiben oder gehen / ich hör die Schüsse / kommen näher jede Nacht‟, singt Anoki. Sein Song „Schüsse‟ ist direkt einen Tag nach Hanau entstanden. Nachdem in der hessischen Stadt am 19. Februar 2020 neun Menschen bei einem rechtsextremen Terroranschlag ermordet wurden. „Die Studiosession war seit Wochen geplant. Dann ist Hanau passiert. Das hat sich so unfassbar nah angefühlt. Aber ich wollte nicht in Ohnmacht verfallen‟, sagt Anoki. Also brach sich alles Bahn in seiner Musik. All das Angestaute. Die Ignoranz. Die rassistische Vergangenheit und Gegenwart. „Schüsse‟ ist für ihn auch ein Appell, dass die Warnungen von antifaschistischen Initiativen und Menschen mit Migrationshintergrund nach wie vor nicht ausreichend gehört werden. Und zugleich möchte er mit dem Song auch anderen die Chance bieten, sich gesehen zu fühlen. 

„Es ist wichtig, andere Stimmen zu hören. Die Popkultur diverser zu machen und sich nicht ausschließlich dem Markt anzupassen, ist auch eine Form von Politik. Die hiesige Musikszene hat noch großen Nachholbedarf, alle mitzudenken und mitzunehmen, zum Beispiel auch bei Förderungen und Stipendien‟, sagt Anoki. Es gehe darum, Menschen mit Potenzial ins Spotlight bringen. Und zwar ungeachtet von Herkunft, Aussehen, Identität. Anoki ist zutiefst überzeugt, dass Akteur*innen aus der Popkultur einen großen gesellschaftlichen Einfluss haben können.

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Heimat heißt: Können Menschen an einem Ort körperlich unversehrt leben

Er selbst bietet Coachings für Geflüchtete an und schreibt Songs mit ihnen. So engagiert sich Anoki unter anderem bei der St. Pauli Levi’s Music School, Asmaras World Refugee Support, bei der Initiative Rap For Refugees und dem After School Hustle in Berlin. „Wenn jede und jeder aus seiner Kultur heraus aktiv wird, bringt das so viel und ist so easy‟, erläutert Anoki. Nicht ohne jedoch zu betonen, dass für viele solcher Projekte kaum Geld zur Verfügung steht. Und dass in dieser ehrenamtlichen Arbeit enorm viel Energie steckt.

Heimat definiert sich für Anoki immer auch über soziale und finanzielle Parameter. Können Menschen an einem Ort körperlich unversehrt leben? Und gibt es dort eine Perspektive für sie? Seit sieben Jahren wohnt Anoki nun in Berlin. „Das erste Mal lebe ich an einem Ort, wo ich sein kann, wie ich bin. Hier gibt es genug Identitäten, in denen ich mich wiederfinden kann. Das ist sehr befreiend.‟ Soeben hat er sein Linguistik-Studium abgeschlossen. Und gerade erst ist seine Debüt-EP erschienen: „Irgendwann wird alles leichter‟. Mit neun Songs eher schon ein komplettes Album. Er fühlt sich wohl in Berlin. Doch gleichzeitig ist da immer die Frage: „Wie bezahle ich das hier? Vor allem nach zwei Jahren Pandemie.‟ 

„Ich kann mich für ein Umfeld entscheiden, dass weniger ausbeuterisch ist‟

Wie Kunst in einer kapitalistischen Verwertungslogik funktionieren kann, damit befasst sich Anoki unter anderem in „Sie bauen eine Mall‟. Der Song entstand in der Lockdown-Lähmung im Frühjahr 2020. Alles war leer und stand still. Bis auf die Baustellen. Sie errichteten Shoppinggebäude für eine Stadt, in der es keine Menschen mehr zu geben schien. Für Anoki ein Sinnbild, wie absurd sich Einzelne samt ihrer Bedürfnissen mitunter im großen Ganzen fühlen. Klar, mitten im westlichen Lifestyle kann man nicht alles richtig machen. „Aber ich kann ich mich zumindest für ein Umfeld entscheiden, dass weniger ausbeuterisch mit Menschen umgeht. Ich kann mich entscheiden, wie ich arbeite und wofür ich stehe‟, sagt Anoki, der im Booking mit Buback Tonträger aus Hamburg zusammenarbeitet. 

Im Video zu „Sie bauen eine Mall‟ ist Anoki lächelnd vor einer Blumenwand zu sehen, während ihm Blut übers Gesicht läuft. Hinab auf einen weißen Trainingsanzug. Gelassenheit, Zynismus oder Resignation? Innerlich verletzlich bleiben trotz Brutalität im Außen? Für Anoki ist diese Visualisierung auch ein Kommentar zu dem Genre, in dem er sich bewegt. „Ich komme aus ähnlichen Verhältnissen wie viele Rapper. Aber ich wollte unter keinen Umständen solche Themen bedienen wie Autos, Geld, Frauen abwerten.‟ Insofern drückt sein Lächeln letztlich eine große Erleichterung aus. All dieser Deutschrap-Druck und all die patriarchischen Erwartungen fallen von ihm ab, während er singt: „Wollte nie dazu gehören / jetzt gehöre ich nicht dazu‟. Ein freiheitlicher Drive.

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Musik, in der einen auch schon mal ein Marvin-Gaye-Saxofon umweht

Mit den Produzenten Tim Tautorat und Dennis Borger hat Anoki zu seinen Versen softe wie akzentuiert driftende Beats und Melodien eingespielt. Entspannt irisierende Musik, in der einen auch schon mal ein Marvin-Gaye-Saxofon umweht. Diese tolle und ultra lässige Geschmeidigkeit zeigt sich auch im Cover zu „Irgendwann wird alles leichter‟. Zu sehen ist da ein pastellfarbener Wolkenhimmel, der von einer schwarzen Linie durchzogen wird. Also lieber Kitsch statt Härte? „Wenn ich die Wahl habe, dann lieber lieb sein. Ich meine: Was machen Männer? Das macht mich wahnsinnig‟, sagt Anoki – und verweist auf ganz unterschiedliche Schauplätze toxischer Männlichkeit, von den Oscars bis zum Kreml.

Auf seinem Album setzt Anoki auf einen positiven Weg, der in Liebe und Freundschaft, in Therapie und Selbstakzeptanz liegt. In seinem Song „Is Ok‟ plädiert er dafür, gnädig mit sich selbst zu sein. Sich nicht ständig zu pushen. Und daran zu glauben, dass ein Neuanfang möglich ist nach dunklen Phasen. „Ich möchte, dass nicht das Individuum die Verantwortung für seine seelische Gesundheit trägt, sondern das Kollektiv‟, erklärt Anoki entschieden. Und diese Botschaft verpackt er in einen luftig groovenden Sound, zu dem er singt: „Du siehst die Farben nicht mehr grau und weiß / Sonnenstrahlen auf der Haut / In dir auf einmal diese Leichtigkeit / Du breitest deine Arme aus.‟ Eine Lebensfreude, die allen zusteht.

„Mein Beitrag‟ Teil 1: Dunya aus Hamburg

„Mein Beitrag‟ Teil 2: K.ZIA aus Brüssel / Berlin

„Mein Beitrag‟ Teil 3: Still Talk aus Köln

„Mein Beitrag‟ Teil 4: Mulay aus München / Berlin

„Mein Beitrag‟ Teil 5: Mino Riot aus Saarbrücken

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