„Mein Beitrag‟ mit Zouj: das Menschliche der Maschinen

Seine Musik klingt, als verschlucke sie sich. Oder als laufe sie rückwärts. Stolpernd und doch im Flow. Disruptiv und zugleich hypnotisch. „Ich möchte Maschinen menschlich klingen lassen‟, erklärt der Leipziger Musiker Adam Abdelkader Lenox-Belhaj alias Zouj. Sein Künstlername stammt aus dem arabischen Dialekt Darija, verweist auf seine marokkanischen Wurzeln und bedeutet „zwei‟. Eine stete Dualität findet sich auch in seinem Sound. Das Synthetische und das Organische verbinden und verstören sich so lange, bis ein ganz eigener, surrealer elektronischer Pop entsteht. Und in Kombination mit Videos und Artwork entwickelt sich ein Gesamtkunstwerk, das unser Verhältnis zu Computern, Internet und künstlicher Intelligenz auslotet. Dabei ist Zouj jedoch nicht an der Perfektion von Technik interessiert ist, sondern vielmehr an den absurden Seiten unserer Nutzung. An den Fehlern und Irritationen, an Ungenauigkeiten und Beiläufigem. 

Zouj, der vor seinem Soloprojekt in dem Noise-Pop-Trio Lingua Nada spielte, bedient sich des Internets mit reichlich Punk- und DIY-Attitüde. Und reflektiert so äußerst spielerisch, anarchisch und klug, wie verquickt unser Leben mit den Geräten ist. Ich bin ich sehr froh, dass ich mich mit Zouj für mein Blogprojekt „Mein Beitrag‟ austauschen konnte. In dieser Artikel-Reihe befasse ich mit jungen Musiker*innen und wie ihre Kunst mit der Gesellschaft in Wechselwirkung steht. „Wenn ich heutzutage Radio höre, frag ich mich häufig: Hey, willst du mir da gerade eine Cola verkaufen? Ich brauche bei Musik zumindest ein Gefühl von Gefahr, es muss ein bisschen gestört sein, damit es spannend ist‟, sagt Zouj. 

Als das Internet noch weird und shitty aussah

Seine Arbeiten sind wie ein bunt vibrierender und oftmals dystopisch anmutender Resonanzraum, in dem Geschichte, Gegenwart und Zukunft unseres virtuellen Daseins anklingen. Und obwohl seine Werke futuristisch wirken, ist Zouj doch inspiriert von einer gewissen Nostalgie. Von einer Zeit, als das Internet in seinen Anfängen steckte. Als die Vermarktung noch nicht so weit fortgeschritten war. Als ein Geist des Ausprobierens und eine Lust am Experiment vorherrschte. Und als die Unwägbarkeiten noch wesentlich größer waren. Ebenso wie die Risikofreude. 

„Als ich 13, 14 war, sahen die Webseiten und Videospiele unglaublich simpel, shitty und gleichzeitig weird aus. Jetzt wirkt alles extrem poliert‟, erklärt Zouj. Und so ist er im Video zu seiner aktuellen Single „One‟ unter anderem als grob pixeliger Avatar seiner selbst zu sehen, wie er sich durch kunstvoll deformierte Welten bewegt. „Wie aus dem Computer herausgespuckt‟, erklärt Zouj. Off the grid. Chaotisch und beseelt. Eine Ausdrucksform, um den komplexen Anforderungen und grotesken Auswüchsen unserer digitalisierten Welt zu begegnen. 

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Szene aus dem Video zum Song „One“ von Zouj (Titelbild fotografiert von Jamal Cazare)

Was geschieht mit unseren Daten, wenn wir tot sind?

In seiner ersten Single „Anxious Sleep‟ verhandelt er das Phänomen der Schlafparalyse. Wenn der Körper gelähmt und der Geist träumend oder halb wach ist. Bei Zouj gerät dieser Zustand zu einer gespenstischen Innenschau. Mit verzerrter Stimme singt er: „starring at machines / just to find some sleep‟. Einschlafen, während wir auf Geräte starren. Paradox oder normal? Wo liegt die Schnittstelle zwischen Traum und Wirklichkeit, On- und Offline-Existenz?

Sein poppig knarzender Dancetrack „Delete After Death‟ ist wiederum eine grandiose Satire auf die Selbstbespiegelung in den sozialen Medien. Mit Zeilen wie „I wanna die off screen‟ und „no selfies on my death bed‟ fordert er das Recht ein, digital vergessen zu werden. Dahinter steckt die durchaus ernste Frage, was mit unseren Daten im Internet geschieht, wenn wir tot sind. Wer konstruiert welche Geschichte von uns in Anbetracht von Stories und Bildern, die wir über Jahre und Jahrzehnte gepostet haben?

„Wenn ich sterbe, möchte ich nicht, dass die Leute noch meine peinlichen Bilder als 13-Jähriger sehen. Das lässt sich vergleichen mit der Oma, die sagt: Trag saubere Unterwäsche, falls Du einen Unfall hast‟, sagt Zouj und lacht. Über die Arbeit an dem Song stieß er auf eine Firma im Silicon Valley, die eine künstliche Intelligenz baut — basierend auf der eigenen Persönlichkeit. „Diese AI lebt nach deinem Tod dann für deine Familie und deine Umgebung weiter – das ist schon heftig.‟ 

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Szene aus dem Video zum Song „Delete After Death“ von Zouj

„Mit geringem Budget entstehen verschiedene Avatare von mir“

Andererseits spielt Zouj selbst ausgiebig mit der Idee, möglichst viele verschiedene Versionen seiner selbst produzieren zu lassen. In seinen Videos erscheint sein Kopf mal als Büste, mal wie eine spirituelle Gestalt. Zouj ist als Comic-Variante mit Hasenohren zu sehen oder als Konsole spielende 3-D-Animation. Mal schmilzt sein Konterfei in die Landschaft hinein, mal verschiebt sich sein Gesicht wie ein lebender Picasso. „Mit geringem Budget entstehen verschiedene Avatare von mir. Das ist immer lustig und immer erfolgreich. Du kannst das nie verkacken: ein Typ mit einem Bart und einem Piercing. A simple happy thing to do‟, erläutert Zouj, der unter anderem mit Animationskünstlern wie Dermot Linskey und Alexander Turvosky zusammenarbeitet. 

Mir gefällt es äußerst gut, dass durch die Kunst anderer unterschiedliche Facetten einer Person interpretiert und sichtbar werden. Das zeigt nicht nur den kollaborativen Charakter von Zoujs popkulturellem Schaffen, zu dem zahlreiche Kunstschaffende aus Regie, Mode, Design, Illustration und 3-D-Animation zählen. Diese Praxis ist für mich auch eine Metapher, wie stark wir zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung pendeln. 

DIY-Prinzip im Internet: ganze Touren bereits über Facebook gebucht

„Im Internet kannst du jeder sein, der du willst. Es gibt Platz für alle‟, erklärt Zouj. Diese Freiheit liebe er ebenso wie die Möglichkeit, sich online nach dem DIY-Prinzip eine Community aufzubauen. Ganze Touren habe er bereits über Facebook gebucht, erzählt der Musiker. Zouj ist sich sehr im Klaren darüber, dass die Online-Nutzung stark in die Extreme ausschlagen kann. Ins Positive wie ins Negative. Wenn etwa Depressionen befördert werden bei Teenagern durch die permanenten Vergleiche in den sozialen Medien. Er selbst versucht jedoch, das Beste, Merkwürdigste und Interessanteste aus diesem vielschichtigen Kosmos herauszuholen. Sein Credo: „I like to live on the upside of the internet.‟

Die bisherigen Teile von „Mein Beitrag‟:

Dunya aus Hamburg

K.ZIA aus Brüssel / Berlin

Still Talk aus Köln

Mulay aus München / Berlin

Mino Riot aus Saarbrücken

Anoki aus Schweinfurt / Berlin

Rauchen aus Hamburg

Mia Morgan aus Kassel

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