Happy birthday to my blog. Seit nun mehr vier Jahren schreibe ich an dieser Stelle über Popkultur in Hamburg — und zunehmend darüber hinaus. Es ist der Sommer der wiedererwachenden Festivals und musikalischen Großveranstaltungen. Das introvertierte Gemüt schält sich aus dem Lockdown-Modus und schüttelt sich frei unter Menschen. Sonne, Schwitz und Schwärm. Moshpits mit Haut und Haaren. Aber auch: Herantasten, Überforderung. Wie geht das nochmal?
Ich sehe die jungen Fans beim Harry Styles-Konzert im Stadion in Hamburg. Wie sie sich umarmen. Wie sie weinen vor Freude und Aufregung, wie sie sich trösten und kurz darauf euphorisch kreischen. Vor allem aber: wie sie aufeinander achtgeben, wie sie sich zugeneigt sind. Ein großes verbindendes Glück im Pop. Immer wieder kommt mir in diesen Wochen der Satz in den Sinn: „The kids are alright“.
Das Ächzen der Musikbranche im dritten Jahr der Pandemie
Es ist aber auch der Sommer des Long Covid. Für einige Popkünstler*innen ganz real körperlich und existenzbedrohend. Und für weite Teile der Musikbranche im übertragenen Sinne höchst gravierend. Ein Ächzen unter den Leerstellen. Das Publikum zögert. Der Vorverkauf dümpelt mitunter einstellig dahin. Und es mangelt an Fachkräften. An allen Ecken und Enden. Konzerte und ganze Touren werden abgesagt. Es entstehen schwarze Löcher, die nicht nur die Finanzen abziehen, sondern auch das Herzblut vieler Beteiligter.
Ich bin enorm dankbar für alle, die weitermachen. Und für jene, die bei diesem oftmals schambesetzten Thema für Transparenz sorgen. Denn das Problem ist ein kollektives, kein individuelles. Und was die Kunst nach zweieinhalb Jahren Pandemie nun wirklich nicht braucht, ist die Selbstkasteiung darüber, dass jetzt nicht sofort wieder alles bumsfidel läuft. Kulturschaffende sind motiviert und produktiv, erschöpft und desillusioniert zugleich. Dauerachterbahn der Gefühle und Zustände.
Wie gelingt ein Miteinander, an dem alle teilhaben können?
Es ist zudem der Sommer des Krieges, der drohenden Energieknappheit und zunehmenden Kosten. Der Druck steigt. Und mit ihm die kuriosen bis kriminellen Auswüchse, wie Dampf abgelassen wird. Leute sind überreizt. Äußern sich immer überspitzter, etwa in den sozialen Medien. Sie drehen ungut frei, missachten die Würde anderer und triggern Traumata an.
Viele Diskussionen haben mich in den vergangenen Wochen sehr nachdenklich gestimmt, unter anderem jene um White Feminism. Als Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft frage ich mich: Wie gelingt ein Miteinander, in dem alle gesehen werden und an dem alle teilhaben können? Wie kann Allyship aufrichtig und auf Augenhöhe funktionieren? Und wie lässt sich vermeiden, dass zum Beispiel Schwarze Musiker*innen automatisch in die Rolle von Aktivist*innen und Auskunftgeber*innen gedrängt werden, obwohl sie sich womöglich schlichtweg auf ihre Kunst konzentrieren wollen? Obwohl sie vielleicht einfach befreiten, freudvollen, durchgeknallten, positiv schillernden Pop produzieren möchten.
Blogprojekt „Mein Beitrag“: Dankbarkeit für den Dialog
Dass Popkünstler*innen über ihre Geschichte, über diskriminierende Erfahrungen und ihr soziales Engagement reden, ist für mich keine Selbstverständlichkeit. Es kostet Energie und ist (häufig unbezahlte) Arbeit. Als Musikjournalistin verfolge ich den Ansatz, direkt auf die Songs zu hören. Welche Themen werden da verhandelt? Wenn ein Stück beispielsweise von Rassismus erzählt, kann das ein Gesprächsangebot sein. Betonung auf „kann“. Denn es gilt für mich in der Kunst definitiv das Gebot, dass ein Werk für sich stehen kann. Ohne Erläuterungen und Einordnungen. Wenn Musiker*innen wiederum mit mir in den Dialog treten, bin ich enorm dankbar. Wenn sie Hintergründe zu ihren Songs erläutern und erzählen, wie ihre Vita ihr Schaffen geprägt hat.
Ein riesengroßes Merci sende ich daher an die Popkünstler*innen und Bands, mit denen ich für das Projekt „Mein Beitrag“ auf meinem Blog gesprochen habe. Also an: Dunya, K.Zia, Mino Riot, Still Talk, Mulay, Anoki, Mia Morgan, Rauchen, Zouj und Fheels. Ich bin nach wie vor sehr angetan und inspiriert von ihrer Offenheit, Wahrhaftigkeit und von ihrer Musik. In der Artikel-Reihe „Mein Beitrag“ habe ich zwischen März und Juni 2022 diese Newcomer*innen vorgestellt. Und wie ihre Kunst mit der Gesellschaft in Wechselwirkung steht. Zum Nachlesen: Unter diesem letzten Blogpost zu „Mein Beitrag“ finden sich die Verlinkungen zu allen übrigen Teilen.
Welche Ideen, Anliegen und Haltungen liegen der Kunst zugrunde?
Ausgangspunkt von „Mein Beitrag“ waren zahlreiche Fragen. Etwa: Welchen Stellenwert hat Kultur dieser Tage? Systemrelevant? Oder seelenrelevant? Welche lokalen bis globalen Themen fließen — bewusst oder subtil — in die Songs ein? Welche Ideen, Anliegen und Haltungen liegen der Kunst zugrunde? Was sehen junge Popkünstler*innen als ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander? Welches Feedback erhalten sie?
Wichtig war mir bei meiner Artikel-Reihe, dass der Ansatz ein offener ist. Sprich: Pop in all seinen Spielarten lässt sich nicht simpel funktionalisieren. Also: hier der Song, da der (erbauliche) Effekt. Dafür ist der Prozess des Songwritings zu vielschichtig, zu magisch. Manche verfolgen eine klare Agenda, texten zum Beispiel queerfeministisch oder kapitalismuskritisch. Bei anderen geht es eher darum, seismographisch Stimmungen aufzunehmen. Die thematische Bandbreite bei „Mein Beitrag“ reichte vom Klimawandel über mentale Gesundheit bis hin zu unserem symbiotischen Verhältnis mit der virtuellen Welt.
Vom Zarten und Räudigen, vom Politischen und Eskapistischen
Ich freue mich sehr darüber, dass ich das Ganze mit Hilfe eines „Neustart Kultur“-Stipendiums umsetzen konnte. Gefördert von der Verwertungsgesellschaft VG Wort über die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Denn diesen Blog betreibe ich seit August 2018 weitestgehend als nicht-kommerzielles Projekt. Mein Antrieb: Ich bin schlichtweg passionierter Fan von Popmusik und Popkultur. Von der Schönheit und Merkwürdigkeit, vom Over-the-top-Charakter ebenso wie vom subkulturellen Wumms, vom Zarten und Räudigen, vom Politischen und Eskapistischen. In diesem Sinne: Auf ins fünfte Jahr von Biggy Pop Blog, allen Widrigkeiten zum Trotz.