August August im Häkken: mehr Wut, mehr Weichheit

Nach einem kämpferischen und auch traurigen Jahresende für die Clubkultur in Hamburg ging es optimistisch hinein ins Jahr 2024. Die Demo für den Erhalt des Molotow war laut und solidarisch. Und der Abschied von der Astra Stube sowie den weiteren Sternbrücken-Clubs schlug heftig und melancholisch ein. Doch dann lud Kettcar direkt am 1. Januar zum fulminanten Neujahrsempfang mit Karaoke ins Knust. Und Brockhoff scharte wenige Tage später im Molotow viele tolle musikschaffende Freunde wie Shitney Beers und Willow Parlo um sich. Jedes Mal überdeutlich zu spüren: eine zugewandte Wärme. Die älteren Superfans stehen in der ersten Reihe und glühen mit den Jüngeren in ihrer Leidenschaft um die Wette. Vertraute Menschen, neue Gesichter, Offenheit. So auch jetzt beim Konzert der Indie-Band August August im Häkken auf St. Pauli. 

Niemand kann jetzt noch sagen, die Zeichen sind nicht deutlich

„Es tut gut, mal wieder vor die Türe zu kommen“, sagt Sängerin und Bassistin Kathrin Ost. Das Schöne daran: In Hamburg vor die Türe zu gehen und dann in die Clubs, fühlt sich für mich oftmals an, wie nachhause zu kommen. Lange gewachsenen Freundschaften. Herzliche Ausgehbekanntschaften. Die Leute, die ich seit Jahren vom Sehen kenne. Und das, was die Autorin Katja Kullmann so treffend als „Zufallszwischenmenschlichkeiten“ bezeichnet. Diese Verdichtung von Menschsein an Musik gibt mir ein Gefühl von Halt und Abenteuer gleichermaßen. Und momentan bin ich diesbezüglich besonders emotional. Während sich die rechte Härte durch die Gesellschaft zieht und solch offene Orten umso wichtiger sind. Und während harte Profitinteressen die kulturelle Vielfalt in Hamburg und überall im Land bedrohen. 

Offenbar bin ich nicht die einzige, der dabei eng ums Herz wird, bis die Gefühle kochen. Kathrin Ost setzt gegen Ende des Konzerts im Häkken zu einer wütenden Rede an. Von den geänderten Spotify-Regeln, die unabhängige Artists erst über die 1000-Streams-Marke springen lassen wollen, bis sie für ihre Kunst vergütet werden. Von der Macht, die jedoch alle Indie-Musiker*innen zusammen bilden. Und vom Molotow, das im Sommer am Nobistor ausziehen muss, um einem Hotel zu weichen. „Wir müssen in diesem Jahr mehr demonstrieren, damit sie uns nicht alles unterm Arsch wegreißen“, ruft Kathrin im Häkken. Niemand kann jetzt noch sagen, die Zeichen sind nicht deutlich. 

„Ich hoffe, Du weinst“: Plädoyer für Gleichberechtigung in allen Gefühlen

Der beherzte Appell passt sehr gut zu dem schroffen schönen klugen Indierock-Album, das August August 2022 veröffentlicht hat: „Liebe in Zeiten des Neoliberalismus“. „Wie prägt das Politische unsere privaten Beziehungen? Warum bestimmt immer die Mehrheit, was als normal gilt? Und wohin mit der Wut, Trauer und Ohnmacht angesichts all der Schieflagen in unserer Gesellschaft?“, schrieb ich damals in der Album-Bio für die Band. Die Zusammenarbeit mit Kathrin und ihrem musikalischen Partner, dem Gitarristen und Produzenten David Hirst, empfand ich damals bereits als ungemein intensiv, tief, humorvoll, leicht und bereichernd. Umso mehr freue ich mich über diesen Abend im Häkken. Über krachend-slackernde Songs wie „Kaputt + Kein Hunger“. Über das zart driftende „Freunde“. Und vor allem über diverse neue Stücke von August August. 

„Anfang“ erzählt von der eigenen Verletzlichkeit. Von Mut. Und davon, womöglich übers Ziel hinauszuschießen. Aber besser Risiko als Stillstand. Das habe ich aus dieser neuen Nummer herausgehört. „Kreise“ handelt davon, aus den eigenen Schlaufen auszubrechen. Und bei „Ich hoffe, Du weinst“ versetzt Kathrin sich in eine männliche Perspektive. Wie Männer oftmals so unglaublich hart zu sich sind, um den Erwartungen des Patriarchats zu entsprechen. „Wir müssen da alle nicht mitmachen“, erklärt sie. Ein Plädoyer für mehr Weichheit. Für Gleichberechtigung in allen Gefühlen. 

Es geht um Verbindungen, auf und vor der Bühne

Besonders gepackt hat mich der neue Song „Worauf wartest du noch?“. Wehmut über verpasste Chancen. Verlust und Ängste. Aber wir sind doch noch da. Wir haben doch noch Leben. Nicht nur übrig, sondern voll und ganz und präsent. „Hast du mehr erlebt, als du tragen kannst, und weniger als du dir erträumt hast?“, singt Kathrin mit ihrer eindringlichen markanten Stimme. Eine Frage, die ganz schön reinhauen kann.  

Der Sound der Band ist dicht, rau, frei atmend, zart gepickt und nachhallend. Von Grunge über Indie-Rock bis Dreampop. Alice in Chains, The War On Drugs und vieles mehr. Auch ein wenig Jochen Distelmeyer mit „Wir sind frei“-Vibes weht mich an. David wechselt zwischen elektrischer und akustischer Gitarre. Als zweiter Gitarrist ist Gregor Sonnenberg vom Indiepop-Duo The Day dabei. Und neu an den Drums ist Annemarie van den Born von der Amsterdamer Indie-Band Loupe. Eine tolle Chemie. Es geht um Verbindungen. Auf und vor der Bühne. Um Austausch. Auch um all jene, die uns täglich inspirieren, obwohl sie nicht laut und hell im Rampenlicht stehen, wie Kathrin während des Konzerts in Hamburg betont. Es gilt, auf die Zwischenmenschlichkeiten zu achten. Im Alltag. In der Kultur. In dieser Stadt. 

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