Zurück nach Hongdae. In dem Ausgehviertel hatte ich direkt nach meiner Ankunft in Seoul vor einer Woche bereits die Konzerte des Mu:con Festivals besucht. Jetzt liegt mit dem Zandari Festa reichlich Livemusik an, die im Wesentlichen dem Bereich Indie zuzurechnen ist. Das Zandari wurde vor zwölf Jahren als Showcase-Programm für subkulturelle und alternative Bands in Korea gegründet. Von den zwei Abenden in sechs Locations suche ich mir den Freitag aus. „Respect“ lautet das Motto der diesjährigen Ausgabe. Das klingt vielversprechend. Doch zunächst gilt es, einige Tage zuvor ein Ticket zu kaufen. Ich registriere mich dafür auf der Ticketplattform Interpark und wähle den Termin aus. So weit, so bekannt.
Allerdings werde ich dann aufgefordert, einen QR-Code zu scannen, um einen Verifizierungsprozess zu starten. Das heißt: Ich fotografiere meinen Passport und mein Gesicht und registriere mich zudem mit meiner koreanischen Adresse. Daten ahoi! Das fühlt sich dann auf einmal gar nicht mehr so indie an. Dafür gibt es dann als Grafik direkt für alle Insights in die Struktur des Publikums. Viele Frauen in ihren 20ern interessieren sich offenbar für diese Art von Livemusik. Gut so.
Rosai in Hurry begegnet Hochtourigkeit mit schwelgerischen Rocksongs
Das Zandari Festa hat direkt an der beliebten Bahnstation der Hongik Universität einen Posten bezogen, um die Festival-Bändchen auszugeben. Ich zeige meinen Buchungscode sowie meinen Passport und los geht’s. Zwar spielen auch internationale Acts beim Zandari, etwa Carnival Youth aus Lettland oder Marguerite Thiam aus Frankreich. Doch ich konzentriere mich auf die Artists aus Korea. Bin ich doch auch im Land, um mehr über die hiesige Musikszene zu erfahren. Der Nachteil liegt natürlich darin, dass ich die Songtexte nicht verstehe.
Dankenswerter Weise wird mir beim Auftritt der Band Rosai in Hurry direkt ein schön gestaltetes Leporello gereicht – mit Besetzungsliste, Kontaktinformationen und Erläuterungen. „We don’t live tomorrows – limited lifetime makes us feel in a hurry“, steht da unter dem Namen der Band geschrieben. Gerade im schnelllebigen Seoul ist diese Beobachtung gewiss zutreffend. Rosai in Hurry setzen der Hochtourigkeit schwelgerische und durchaus schwermütige Rocksongs entgegen. Die Nummer „Art Museum“ etwa, so erklärt mir der Folder, handelt von der Flucht „aus der Leere der Realität“. Ihre Musik versteht Rosai in Hurry dabei als Refugium: „Please feel free to imagine your virtual refuge as you listen to our psychedelic sounds.“ Ich drifte kurz ab. Und dann drifte ich weiter. Von der Flex Lounge einmal um die Ecke zu einer Location namens Veloso, wo die Band Shin In Ryu spielt.
Verträumter Indie von Shin In Ryu, schamanischer Rock von Goonam
Mit „Miracle“ hat diese 2018 gegründete Formation bereits einen Song zum Soundtrack des koreanischen Films „Dream“ beigesteuert. In der Drama-Komödie spielt Park-Seo Joon einen geschassten Fußballtrainer, der fortan eine Obdachlosenmannschaft coacht. Während Shin In Ryu wahrhaft verträumten Indie-Pop präsentiert, treffe ich einige Meter weiter im Space Brick auf eine geballte Ladung rockender Energie. Goonam existiert bereits seit fast 20 Jahren und produziert einen psychedelischen Sound, der sich schamanisch hochschraubt und das Publikum stark mitreißt.

In einem knallbunten Convenience Store in Hongdae, in dem ich ungefähr 1000 verschiedene Ramen-Nudeln hätte essen können, mache ich einen kleinen Zwischenstopp. Die Sache ist nämlich die: In den Locations, die ich bisher besucht habe beim Zandari, gab es keinen Getränkeverkauf. Nichts. Ein Gast erklärt mir, dass er am Eröffnungstag, dem Donnerstag, einen Tumbler gekauft hätte. Der werde nun hier und da vor den Locations mit Bier aufgefüllt. Ich sehe einige wenige Leute mit dem besagten großen Becher, entdecke jedoch keine Stände dafür. Allerdings beobachte ich, dass die Leute sowieso einfach ihre Getränke mitbringen. Das fand ich anfangs so befremdlich, dass ich es mich gar nicht getraut habe. Denn zuhause in Hamburg wollen die Clubs natürlich mit dem Ausschank ihr Geld verdienen. Und insofern sind Fremdgetränke verboten. Also, let’s try, bevor ich weiter dürste. Im Convenience Store kaufe ich mir einen dieser bereits mit Eis gefüllten Becher und ein Cass-Bier, schütte das Ganze um und ziehe weiter. Und siehe da: In den Club FF kann ich einfach mit meinem Drink hineinlaufen. Allerdings wäre das in diesem Fall gar nicht nötig gewesen.
Vom Weltraumstein in den Verein FF zur tollen Band Socialclub Hyangwu
Waren die Locations bisher eher funktionale kubusartige Beton-Keller, so ist der Club FF tatsächlich eine richtig schöne Live-Kaschemme. So eine Art Mix aus Komet Musik Bar und Molotow in Hamburg. Mit abgeranztem und voll-gestickertem Interieur. Und mit einer Bar. Ich habe mir die Namen der Locations beim Zandari Festa in Hongdae übrigens von meiner Translate-App übersetzen lassen. Die Ergebnisse sind durchaus amüsant.
Im Club FF spielt die tolle all female Band Socialclub Hyangwu. Von dem Quartett finde ich lediglich zwei Songs online. Zusammengefasst auf der Single „For everything that burns“. Live ist Socialclub Hyangwu allerdings bereits bestens explosiv eingespielt. Herrlich tief- und abgründiger Indierock. Dem es an Posen nicht mangelt, wenn eine der zwei Gitarristinnen auch mal rockend auf ein kleines Podest vor der Bühne steigt. Mit coolem Stoner-Rock von Meotjinsaeng und freundlichem Ska von The Reseters endet schließlich mein Rundgang über das Zandari Festa. Und natürlich halte ich vor der Heimfahrt mit der Bahn noch an einem der vielen Street-Food-Stände in Hongdae für einen nächtlichen Snack.

Mein Fazit des Zandari Festa 2024 in Seoul: kompakt, retro, international
Klasse, dass die Locations alle wenige Gehminuten voneinander entfernt liegen. Da macht das Hin- und Her-Switchen doch Spaß. Das Publikum ist, neben vielen Fans aus Korea, recht international. Was auch daran liegt, dass Delegates von Europa über Südamerika und Asien bis nach Australien vertreten sind. Musikalisch ist der Sound gerne einmal retro an den vergangenen Dekaden des Indie orientiert. Die koreanische Spielart hat es da für mich interessant gemacht. Toll zu erleben, dass es so eine lebendige Alternative-Szene in Seoul und Korea zu geben scheint.