Popkultur in Seoul – wie K-Pop in der Stadt präsent ist

Ich bin zurück aus Seoul und fühle mich noch ziemlich verschoben. Im Jetlag. Zwischen den Zeiten. Ein Zwischenstadium, das sich zur Reflexion anbietet. Unter anderem habe ich diese Reise ja angetreten, um die Pop- und Fan-Kultur in Korea zu erkunden. In diesem Blogpost soll es darum gehen, wie präsent K-Pop in Seoul im alltäglichen Leben ist. In einem weiteren Artikel werde ich noch darüber schreiben, wie geschickt Bands und Plattenfirmen ihre Fans mit einfallsreichem Merchandise abholen. Wie sich also mit Musik Geld verdienen lässt. Für jeden Geschmack und Geldbeutel gibt es da Angebote. Und wie unterschiedlich Musikalben in Korea vertrieben, verpackt und mit zusätzlichem Artwork versehen werden, verstärkt auch den künstlerischen Ausdruck. Nun lege ich den Fokus aber zunächst auf das Offensichtliche: Wie K-Pop mit dem Alltag und dem öffentlichen Raum verbunden ist.

Hotspots des K-Pop von der „Gangnam Style“-Statue bis zur J-Hope-Bank

Angemerkt sei: K-Pop ist als weit gefasster Oberbegriff zu verstehen. Auf den ersten Blick mögen übereingängige Popsongs gemeint sein, die verschiedene Stile wild und innovativ mischen. Letztlich umfasst K-Pop allerdings eine Vielzahl von Genres. Von Singer-Songwriter und Rock über Pop und Hip-Hop bis hin zu Electro. Gemein ist den meisten Acts im K-Pop, dass sie sich über Jahre haben ausbilden lassen. Die populärsten unter ihnen durchliefen ihr Training bei einem der großen Unternehmen Hybe, YG, JYP oder SM. Deren Aktivitäten gehen weit über reine Plattenfirmen hinaus, weshalb sie Entertainment genannt werden und jeweils mit repräsentativen Gebäuden in der Stadt präsent sind.

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Der Firmensitz von SM Entertainment beim Seoul Forest

Diese Firmensitze gehören in Seoul ebenso zu den Pilgerstätten des K-Pop wie weitere Orte. Ein Must für viele Fans sind etwa die Statue zu Psys Hit „Gangnam Style“ vor der COEX Mall, wo die Signature-Geste aus der Song-Choreografie überdimensional dargestellt ist. Die K-Star-Road in Gangnam mit mausigen Figuren berühmter K-Pop-Gruppen ist eine beliebte Foto-Option. Allein für BTS-Fans führen diverse Routen durch Seoul. Inklusive des ehemaligen Dorms der Band, das in ein Café umgewandelt wurde, und der Bank für Sänger J-Hope im Seoul Forest. Während meines Aufenthalts in Seoul laufen Sonderausstellungen zu Jimins Album „Muse“ sowie zur Gruppe Enhypen.  In der Lotte World Mall gibt es wiederum ein K-Pop Museum Café im Retro-Stil mit reichlich Vinyl aus vergangenen Dekaden. Fans können bei K-Pop-Performances in Hongdae verweilen. Und dann sind da natürlich die vielen Music- und Merchandise-Stores, von denen ich noch einmal gesondert erzählen werde.

Ob beim Shopping oder im Lokal: K-Pop als Soundtrack durch Seoul

Da die populären Künste in Korea sehr eng miteinander verzahnt sind, gehören für mich zu K-Pop unbedingt auch K-Drama-Soundtracks dazu. Also die Songs aus beliebten Serien. In der Regel werden drei bis fünf Songs sehr prominent in einem K-Drama eingesetzt. Um die Handlung zu intensivieren. Und um meist über 16 Folgen hinweg ein vertrautes Gefühl zu erzeugen. Kein Wunder also, dass diese Songs für viele hoch emotional aufgeladen sind. Die Lieder laufen daher auch gerne in Restaurants und Geschäften. Und damit komme ich zu dem offensichtlichsten Teil, wie K-Pop im Alltag zu finden ist. Über das Hören. Koreaner*innen lieben ihre eigene Musikkultur. Und angesagte Titel sind steter Begleiter auf dem Weg durch Seoul. Sie verstärken das eigene Erleben noch einmal. Sei es als kleiner freudiger Kick oder als melancholische Untermalung.

Ob beim Shopping in Myeongdong oder in einem einfachen Lokal in meinem Wohnviertel Wangsimni: Sehr beliebt ist diesen Herbst in Korea der Song „Love You With All My Heart“ aus dem K-Drama „Queen Of Tears“. Eine eindringliche Ballade, einfühlsam dargeboten von dem Sänger Crush, der mit „Beautiful“ bereits 2016 einen Überhit zum K-Drama „Goblin“ geschaffen hat. „Love You With All My Heart“ wird selbst vom Straßenmusikanten vor den Streetfood-Ständen gespielt. Häufig zu hören ist auch „Sudden Shower“, einer der Titeltracks aus dem aktuellen K-Drama „Lovely Runner“ um die fiktive Band Eclipse. Auch deren Album gibt es aufwendig arrangiert zu kaufen. Realität und Fiktion vermengen sich aufs Schönste.

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Die Gangnam Doll von BTS auf der K-Star Road in Seoul

New Jeans und die Emanzipation im K-Pop-Business

Mitunter habe ich einen Song an einem Tag ein Dutzend Mal kurz hintereinander gehört. Das mag auf Dauer womöglich auch anstrengend sein. Ich habe mich jedoch sehr gefreut über diese Vertrautheit. Über meinen Seoul-Soundtrack, der zugleich ein kollektiver ist. Immer wieder in dieser urbanen Playlist taucht Ive auf, die ich im Juni in der Arena in Berlin erlebt habe. Und mit in den popkulturellen Top 5 in Seoul diesen Herbst ist auf jeden Fall „How Sweet“ von NewJeans. Eine 2022 debütierte Girlgroup, die beim Hybe-Sublabel Ador unter Vertrag ist. „How Sweet“ ist ein munter-hypnotischer Song mit Einflüssen von Miami Bass und Electropop, der von Unabhängigkeit und Selbstliebe erzählt. Ein gutes Stichwort. Denn Mitte Oktober 2024 erreicht ein über Monate andauernder Konflikt zwischen NewJeans, ihrer Managerin Min Hee-jin und Hybe einen weiteren Höhepunkt.

NewJeans-Sängerin Hanni tritt als Zeugin in der koreanischen Nationalversammlung auf. Es geht um Machtmissbrauch in großen Konzernen, um Manipulation, Mental Health und Arbeitskultur. Der offene Umgang mit diesen Themen wird als Disruption und Paradigmenwechsel im konkurrenz- und corporate-getriebenen K-Pop gewertet. In diese Richtung urteilen sowohl „Popcast“-Host Jon Caramanica von der New York Times als auch Derrick Gee, derzeit Creator in Residence der Elbphilharmonie. K-Pop ist also im steten Wandel und Artists pochen (hoffentlich) zunehmend auf ihre Rechte.

TV-Formate als Sprungbrett: Lee Young-ji  mit „Small Girl“ featuring D.O.

Eine ganz andere Präsenz hat Popkultur auch im medialen Alltag, vor allem im koreanischen Fernsehen. Für Newcomer, aber auch bekannte Acts ist es überaus relevant, eine der wöchentlichen Musikshows zu gewinnen. Ich hatte das Glück, die MBC-Studios in Goyang bei Seoul zu besuchen, wo unter anderem „Show! Music Core“ realisiert wird. Zugleich ist das MBC Dream Center das größte Indoor-Studio für die Produktion von K-Dramas. Die populären Genres sind eben eng miteinander verflochten.

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Die Interview-Fläche für K-Pop-Idols im MBC Dream Center

Auch die junge Musikerin Lee Young-ji hat TV-Formate als Sprungbrett genutzt. Sie hat die  dritte Staffel der Talentshow „High School Rapper“ gewonnen, zudem die elfte Ausgabe von „Show Me The Money“. Bei beiden handelt es sich um Talentshows nach dem Hip-Hop-Battle-Prinzip. Mit „Small Girl“ featuring D.O. hat Lee Young-ji einen smarten Ohrwurm mit softem Flow geschaffen. In dem Song erzählt sie von dem Wunsch, als Frau mit großer Klappe und „big personality“ nach wie vor gemocht zu werden. Das Video, in dem sie im wahrsten Sinne des Wortes über sich hinauswächst und schließlich bis in die Wolken hineinragt, ist äußerst charmant und sehr zu empfehlen. An dem Song gibt es in diesem Herbst in Seoul kein Vorbeikommen. Zum Glück. Häufig gehört habe ich die Nummer zum Beispiel in der Drogeriemarktkette Olive Young.

K-Pop-Stars, Beauty und Marketing mit einer virtuellen Band

Apropos Kosmetik. Durch die stete Verbindung mit Beauty wird die Präsenz von Popkultur im Straßenbild ebenfalls immens erhöht. Vor allem, da die Artists gerne gesehene Werbegesichter sind. Bei meinen Besuchen im angesagten Stadtteil Seongsu, dem „Brooklyn von Seoul“, flankiert eine Kampagne der Marke Hince die Subway-Rolltreppe. Sunghoon von der K-Pop-Gruppe Enhypen präsentiert da den neuen Lipgloss „Raw Crush“. Wow, ein echter Hingucker. An einer Bushaltestelle wiederum sehe ich Jin von BTS als neuen Ambassador der koreanischen Marke Laneige. Und sofort frage ich mich, warum in Europa nicht mehr Männer für Beauty-Produkte werben. Ich sag mal so: Luft nach oben, was das Verständnis von geschlechterübergreifender Kosmetik angeht.

Noch einmal komplexer wird das Marketing rund um die Fan-Experience, wenn mit Plave eine virtuelle Boyband für die Kosmetikmarke Mediheal wirbt. Julia vom Blog Beautyjagd macht mich auf die Pop-up-Stores rund um diese interessante Kooperation aufmerksam. Vielen Dank dafür!

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Die Bank für J-Hope von BTS im Seoul Forest, von Fans gestaltet und gestiftet

K-Pop global mit Jin von BTS und „APT.“ von Rosé und Bruno Mars

Der bereits erwähnte Jin von BTS hat übrigens mit „I’ll Be There“ soeben einen luftigen Bubblegum-Popsong veröffentlicht, der im Video stark auf Internationalität setzt. Wie heftig K-Pop längst ein globales Phänomen ist, zeigt der Release von Bruno Mars und Rosé von der koreanischen Girlgroup Blackpink. Kurz bevor ich Seoul verlasse, droppen die beiden mit „APT.“ (kurz für Apartment) einen absoluten Überbanger. The Ting Tings meets K-Pop. Hyper catchy und großartig. Der Song basiert auf einem koreanischen Abzähl-Trinkspiel. Die Nummer begleitet derzeit gefühlt jede Social-Media-Story aus Korea. Und allein in den iTunes-Charts schnellt „APT.“ in mehr als 50 Ländern an die Spitze.

Wie weltumspannend die Fankultur für K-Pop ist, davon habe ich auch schon in meinem Blogpost über den 29. Geburtstag von BTS’ Jimin geschrieben. Doch die Boygroup ist bei weitem nicht die einzige, die mit Aktionen von internationalen Fans bedacht wird. In Myeongdong stoße ich gegenüber vom Lotte Department Store zufällig auf eine große LED-Tafel, auf der neben regulärer Werbung auch Fan-Bekundungen zu sehen sind. Eine lateinamerikanische Community gratuliert da Schauspieler Ji Chang-wook zu seinem 16. Kamera-Jubiläum (das K-Drama „Healer“ kann ich sehr empfehlen). Und über die App Fannstar wünschen die Fans von Stray Kids dem Sänger, Rapper und Tänzer Lee Know schon einmal vorträglich alles Gute zum 26. Geburtstag.

Als Person, die Popkultur liebt und interessant findet, erfreut mich diese Präsenz enorm. Schritt für Schritt versuche ich zu verstehen, wie K-Pop funktioniert. Seine Marktmechanismen, vor allem aber Codes und Storytelling. Denn darum geht es letztlich: gute Geschichten zu erzählen. Mitten im Alltag. Und zugleich größer als das Leben.

Audiovisuelle Eindrücke gibt es in meinem Highlight „Seoul Pop 24“

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