Wer wissen möchte, wie sich mit Musik als physischem Produkt tatsächlich Geld verdienen lässt, der sollte nach Korea schauen. Diesen Gedanken hatte ich immer wieder während meiner vierwöchigen Recherche-Reise in Seoul. Unter anderem habe ich vor Ort zahlreiche Musik- und Merchandise-Läden erkundet. Und meine Feldforschung in Sachen K-Pop hat mich auf verschiedenen Ebenen beeindruckt. Und zwar in Bezug auf: Variantenreichtum, Produktpalette, Innovation, Kooperationen, Präsentation und Community-Building. In diesem Blogpost konzentriere ich mich darauf, wie vielfältig das konkrete Produkt Musik angeboten wird. In einem weiteren Blogpost stelle ich dann Shops, Pop-up-Stores, Kooperationen und weitere Konzepte vor. Zunächst sei festgestellt: Neue Alben sind in Korea in allen erdenklichen Formaten erhältlich. Auf Tape, CD, Vinyl und zum Download. Das mag zunächst wenig überraschen. Was allerdings das Fan-Herz höher schlagen lässt: Artwork, Verpackung und extra Goodies. Sprich: Das Auspacken und die Nutzung werden zum Ereignis. Und das Album wird zum Sammelobjekt.
Das mag älteren Semestern nicht ungewohnt erscheinen. Aber ich meine hier nicht Ü-50-Herren, die sich hochpreisige Special-Edition-Boxen ihrer Helden in remastered und noch einmal hübsch aufbereitet beschaffen. Ich spreche von einer jungen Zielgruppe.
Musikkauf in Korea: Für jeden Geldbeutel gibt es ein Angebot
In Seoul beobachte ich viele Musikfans in ihren 20ern und 30ern, die eben nicht nur kostenlos die Streaming-Playliste pumpen. Sondern die in die Läden gehen und etwas in den Händen halten möchten. Fast immer dabei: die äußerst beliebten Fototokarten. Vielleicht am ehesten vergleichbar mit Baseballsammelkarten sind dort die Stars in verschiedenen Looks abgelichtet und auf der Rückseite befinden sich zum Beispiel motivierende Nachrichten.
Der Clou in Sachen Musikkauf in Korea: Für jeden Geldbeutel gibt es ein Angebot. Zum schmalen Preis kaufe ich mir zum Beispiel die Single „OMG“ von der angesagten Girlgroup New Jeans. Das Ganze kommt verpackt wie ein Kartenspiel daher. Im Inneren befinden sich zehn Fotokarten sowie ein Mini-Booklet-Heft mit Lyrics auf Koreanisch und Englisch sowie Infos zur Produktion. Bis hin zu Angaben über den Mix Engineer und das Studio, in dem aufgenommen wurde. Ich liebe diese Liebe zum Detail. Zudem ist eine Karte mit QR-Code beigefügt, über den ich die beiden Songs, Artwork und Fotokarten auf mein Smartphone laden kann.
Die Kombination von haptischem Musik-Erlebnis mit Apps und NFC-Tokens
Der Download der New-Jeans-Songs läuft über die Weverse-App des Labels Hybe, bei dem auch die Boygroup BTS beheimatet ist. Dazu sei angemerkt, dass die großen Musikunternehmen in Korea, Entertainments genannt, jeweils eigene Apps betreiben. Und das auf höchstem innovativem Niveau. So auch bei „Riizing“, dem ersten Mini-Album der Boygroup Riize, das ich tatsächlich im Miniatur-Format erstehe. Als kleinen Schlüsselanhänger in Form einer aufklappbaren CD-Hülle.
Im Inneren ruht eine etwa euro-große Scheibe wie eine CD, die sich aber als NFC-Token entpuppt. Also einem Plättchen, das mit Nahfeldkommunikation ausgestattet ist. Neben einer Fotokarte liegt eine Anweisung bei, wie das Ganze funktioniert. Unkompliziert lade ich die Music-Card-App von SM Entertainment herunter, logge mich ein und lege mein Smartphone auf den NFC-Token. Ein kurzes Summen später beginnt der Download. Mein Spieltrieb ist beglückt. Ein herrliches Goodie als Taschenanhänger und zugleich ein hochmodernes Verfahren, um Musik zu erhalten. Ich bin begeistert.
P1Harmony mit „Sad Song“ als Buch und „Lovely Runner“-Soundtrack-Box
Mir gefällt das freudvolle Ausprobieren verschiedener Formate im K-Pop sehr gut. Das siebte Mini-Album „Sad Song“ der Gruppe P1Harmony erstehe ich als Buch im Din-A-5-Format. Mit ausführlichen Produktionsinfos und Konzeptfotos der Mitglieder. Die Songs liegen als CD bei. Zudem gibt es, natürlich: Photokarten. P1Harmony geht übrigens im Januar 2025 auf Europatournee von Mailand bis Helsinki und tritt auch in Berlin sowie Oberhausen auf.
Doch zurück nach Seoul: Den Soundtrack zum K-Drama „Lovely Runner“ gönne ich mir in einer größeren querformatigen Box, bei der sich die Ebenen zwischen Realität und Fiktion aufs Schönste vermischen. Enthalten sind drei weitere schmale Boxen. Die erste ist bestückt mit einem Fotobuch und den Songs, die die Serie untermalen. Die zweite wiederum enthält Artwork und Musik der fiktiven Band Eclipse, die in dem K-Drama zum Storytelling gehört. Und die dritte Box versammelt alles, was das Sammelherz begehrt: Schlüsselanhänger, Magneten, Aufsteller sowie Bilder in verschiedenen Formaten. Zudem gibt es, natürlich: Photokarten.
K-Pop-Alben zwischen Materialschlacht und Nachhaltigkeit
Das ganze Geschehen um Musik und Merchandise in Korea mag man als konsumfixierte Materialschlacht abtun. Doch tatsächlich habe ich viele Umverpackungen gesehen, die zum Beispiel komplett auf Plastik verzichten. Und mit Kpop 4 Planet hat sich 2021 eine Initiative gegründet, in der sich Fans für Klimaschutz engagieren und auch den Entertainment-Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit auf die Finger schauen.
Ein weiteres Vorurteil, das mir häufig in Bezug auf K-Pop begegnet: Das alles sei ja nur generisch produzierter Schnickschnack. Nun gut. Zwar gibt es auch in der Musik-Vermarktung und im Merchandise im K-Pop bestimmte Codes. Doch dieses Storytelling wird stetig neu interpretiert, ausgeweitet und auf die persönlichen Profile der Artists zugeschnitten. Mit den Grenzen des Genres spielt zum Beispiel RM, Leader der Boygroup BTS. Rund um sein Soloalbum „Right Place, Wrong Person“ hat er ein künstlerisches Gesamtkonzept erstellt.
Das Gesamtkunstwerk um RMs Album „Right Place, Wrong Person“
Die aktuelle Musik von RM bewegt sich eher experimentell von Jazz bis Hip-Hop und kommt in einem recycelten Schuber mit Street-Art-Ästhetik daher. Darin enthalten sind unter anderem ein Lyric-Heft mit Zeichnungen. Zudem gibt es, natürlich: Photokarten. Herausragend sind jedoch die Poster der Londoner Fotografin Rosie Marks. Ihre Bilder von Nam-joon (RM) sind gleichermaßen beiläufig und over the top. Ebenfalls toll ist ein beigefügtes großformatiges Fotoheft mit Aufnahmen des japanischen Fotografen Takahiro Mizushima. In seinem Dokumentarfilm „Right People, Wrong Place“ reflektiert RM dann zudem die Entstehung des Albums und sein Soloschaffen jenseits von BTS.
Es geht unter anderem darum, sich auch verlieren zu können und zu dürfen. Um dann herauszufinden, welche Art von Storyteller man sein möchte. Interessante Gedanken, zu denen Musik anregen kann. Ob nun rein gehört oder verstärkt durch Artwork, Goodies, Merchandise und Fotos. Ich würde mich sehr freuen, wenn Artists und auch Labels hierzulande ihre Geschichten noch umfangreicher auf ganz verschiedenen Ebenen erzählen würden. Das ist natürlich auch eine Frage des Budgets, ich weiß. Aber eine Anregung kann der Blick nach Korea allemal sein. Zur Inspiration. Um den eigenen Weg noch beherzter zu beschreiten.
Audiovisuelle Eindrücke gibt es in meinem Highlight „Seoul Pop 24“