About Pop in Stuttgart – vernetzt in die Zukunft

Endlich habe ich es mal zur About Pop geschafft, eine zweitägige Kombi aus Konferenz und Festival in Stuttgart. „Where do we go from here?“ lautet die zentrale Frage der siebten Ausgabe. Ein Mix aus Bestandsaufnahme und Zukunftslabor für die Musikbranche also. Ziel sei es nicht unbedingt, auf alles sofort perfekte Antworten zu liefern, erläutert Walter Ercolino, Leiter des Popbüro Stuttgart. Vielmehr gehe es darum, überhaupt erst einmal Fragen aufzuwerfen. In den Austausch zu kommen. Nicht sofort alles festzurren. Das gefällt mir. Und zum Opening am Mittag pustet die Stuttgarter Artrock-Band Yeastweise die Hirne und Herzen direkt erst einmal aufs Schönste durch. Deutsch, Englisch, Japanisch und Koreanisch lässt das Trio in einen vielschichtig-poppigen Sound fließen. Eine echte Entdeckung! Und ein hübscher Kontrast zum offiziellen Schwäbisch, mit dem Rainer Wieland vom Verband Region Stuttgart zum Auftakt über die Bedeutung von Innovationen und Kreativbranche für die Wirtschaft spricht.

Immerhin sind wir im emsigen Ländle, also in Baden-Württemberg. Und ganz verschiedene Akteur*innen von der Politik bis zur Wirtschaft für die Popkultur ins Boot beziehungsweise in den Club zu holen, ist gewiss klug und sinnvoll. Persönlich freue ich mich sehr, Anke Schneider vom tollen Blog Nimmst Du Mich Mit bei der About Pop zu treffen. Anke kommt ursprünglich aus Stuttgart, lebt aber mittlerweile in Hamburg und veranstaltet unter anderem in der Hebebühne die sehr feine Veranstaltungsreihe Vogelnest unplugged. So fühle ich mich direkt zwischen den Städten verbunden. Sehr schön. Wie ich mich ohnehin sehr wohl fühle bei der About Pop. Am Freitag erstreckt sich das Programm kompakt auf dem industrie-charmanten Areal zwischen dem Wizemann und dem benachbarten Impact Hub. Das heißt: viel Input bei kurzen Wegen.

Im Talk: Britt Kanja, Günther Krabbenhöft & Friedrich von Liechtenstein

Dass die Clubkultur ihre Freiräume braucht, gerade in urbanen Gefilden, darüber spricht unter anderem Benjamin Thele, Leiter des neu gegründeten Kulturraummanagements der Stadt Köln. Anhand sogenannter Clubschutzzonen im Stadtteil Ehrenfeld erläutert er, wie sich konkurrierende Interessen im urbanen Raum austarieren lassen, ohne dass die Popkultur dabei zu kurz kommt. Welche gesellschaftliche Kraft das kollektive Feiern entfalten kann, darum geht es im Panel mit dem schönen Namen „Dancing To Myself“. Im Gespräch mit Tarik Tesfu zeigen Britt Kanja, Günther Anton Krabbenhöft und Friedrich von Liechtenstein, dass die Liebe zu Musik und Nachtleben kein Alter kennt. Äußerst anregend. Vor allem, wenn Günther Anton Krabbenhöft davon spricht, wie er den Kopf freibekommt beim Tanzen.

Tarik Tesfu im Gespräch mit Günther Anton Krabbenhöft, Britt Kanja und Friedrich von Liechtenstein (Titelbild: die Band Yeastweise beim Opening mit Deaf Performerin Cindy Klink).

Sehr inspirierend finde ich, wie viele popkulturelle Persönlichkeiten bei der About Pop zu Wort kommen. Etwa Betterov und Nashi44, die mit Moderatorin Leonie Schöler über ihre Wege in der Musikbranche reden. Betterov erzählt von seinem Aufwachsen im ländlichen Thüringen. Und dass sein kommendes Album genau davon handeln wird – von der Stimmung im Osten Deutschlands damals und heute. Ich bin sehr gespannt auf diese neuen Songs.

Seit längerem Fan bin ich auch von Nashi44, die beim Hamburger Label Buback beheimatet ist. Geprägt ist ihr „Asian Berlin Pussy Conscious Rap“ unter anderem von ihrer Heimat Neukölln. Und von ihrem deutsch-vietnamesischen Background. Allerdings, so betont Nashi44: Nur weil sie auf ihrem Album „Asia Box“ im Jahr 2022 auch anti-asiatischen Rassismus thematisiert, möchte sie nicht für alle Zeit auf diese Inhalte festgelegt werden.

Pop & Politik: Sarah Lesch, Sebastian Krummbiegel & Miriam Davoudvandi

Es geht um Vielfalt. Und darum, wie sich diese bewahren lässt. Sehr engagiert diskutieren dazu die Artists Sarah Lesch und Sebastian Krummbiegel gemeinsam mit der Musikjournalistin Miriam Davoudvandi. Sarah Lesch betont, dass man das Politische nicht in die Kunstproduktion hineinzwingen kann. So zielgerichtet funktioniere Poesie eben nicht. Die Musikschaffenden selbst allerdings, so betont Sebastian Krummbiegel, die sollten ihre Reichweite unbedingt nutzen, um Haltung zu zeigen. Um laut zu sein. Um sich zu positionieren. So schwierig das mitunter auch sei in unserer komplexen wie konfliktgeladenen Zeit.

Für Miriam Davoudvandi existieren ganz verschiedene Formen politischen Handelns in der Popkultur. Wenn etwa Acts mit migrantischer Geschichte eine Bühne bekommen, die sie zuvor nicht hatten. Diese Künstler*innen hätten jedoch nicht die Verpflichtung, ihre eigene Identität und Historie in ihren Songs überzubetonen und permanent darüber Auskunft zu geben. Word!

Zukunftsforscherin Christiane Varga: von Megatrends & Clubkultur

Ich bin wirklich beeindruckt, wie differenziert solche Gespräche auf der About Pop ablaufen. Eine noch fokussiertere Atmosphäre ist bei dem Workshop von Soziologin und Zukunftsforscherin Christiane Varga zu erleben. Ein absolutes Highlight! Zum einen, weil ich einiges lerne und gute Impulse mitnehmen kann. Zum anderen, weil die Teilnehmenden aus der Branche wirklich in den Austausch miteinander kommen. Solch konstruktive Formate würde ich mir für so manch andere Konferenz ebenfalls wünschen.

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Zukunftsforscherin Christiane Varga bei ihrem Workshop zu Megatrends und Clubkultur.

In einer Mischung aus Vortrag, Diskussion und Gruppenarbeit wurde da analysiert, wie sogenannte Megatrends die Pop- und Clubkultur beeinflussen. Also was sich verändern kann, soll und muss, damit Veranstaltungen zum Beispiel dem demographischen Wandel gerecht werden. Oder einer Gesellschaft, in der sich die Identitäten immer dynamischer gestalten. Christiane Varga erklärt, dass die Zukunft immer weniger linear, sondern verstärkt divergent zu denken ist. Also fragmentarischer, auch vernetzter. Es geht darum, die Komplexität zu umarmen. Großartig! Gerade als Solo-Selbstständige mit stets mehreren thematischen Bällen in der Luft fühle ich mich sehr gesehen.

Pop-Entdeckungen: Tempers aus New York & Akryl aus der Schweiz live

Ich finde es richtig toll, wie sehr die About Pop outside the box denkt, indem sie eben nicht nur Expert*innen aus der Musik-Bubble einlädt. Wie ein feiner roter Faden zieht sich durch diesen Tag, wie wichtig es ist, Menschen mit unterschiedlichem Know-how und verschiedenen Perspektiven zusammenzubringen.

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Die Schweizer Musikerin Akryl bei ihrem Konzert im Wizemann bei der About Pop.

Ein wenig blutet mir bei der About Pop allerdings auch das Herz angesichts des üppigen Konferenz-Angebots. Gerne hätte ich zum Beispiel die Panels zu Sexismus rund um die „Row Zero“ oder zu Chancen und Risiken von KI angehört. Doch so drifte ich mit den anderen Gästen gegen Abend allmählich Richtung Live-Programm. Neu entdeckt habe ich etwa den wavig-sphärischen Sound der New Yorker Band Tempers und den lyrischen Indiepop der Schweizer Musikerin Akryl. Im Chor mit dem Publikum singt sie: „Ich wachse über mich hinaus“. An solch einem Tag kann sich das durchaus so anfühlen.

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