„Hallyu!“-Ausstellung: die sanfte Wucht der koreanischen Welle

Da ist diese bauchige Vase, die die Künstlerin Shin Meekyoung aus Seife gefertigt hat. Hellbraun glänzt die Oberfläche. Allmählich wird das Material verschwinden. Es ist vergänglicher als Stein oder Porzellan. Mit ihrer Arbeit möchte die Bildhauerin dem westlichen Ideal der Beständigkeit eine Ästhetik der flüchtigen Schönheit entgegensetzen, das in vielen ostasiatischen Kulturen eine zentrale Rolle spielt. Ich finde das Objekt relativ versteckt im hinteren Teil der „Hallyu!“-Ausstellung im Museum Rietberg in Zürich. Die Schau befasst sich ausführlich mit der südkoreanischen Welle. Also mit jener vielschichtigen Bewegung, mit der Korea kulturell und ökonomisch in den vergangenen Jahrzehnten eine sogenannte Soft Power entfaltet hat. Das Land hat Elemente wie Popmusik, Technologie, Filme, Serien, Mode und Beauty gepusht und sich somit international als Marke etabliert. Über vermeintlich weiche Faktoren. Die Seifenvase ist für mich Sinnbild dieses Booms. Ein anderes softeres Weltbild. Eine größere Flexibilität. Und eine Schönheit, die etwas tief im Innern bewegt.

„Gangnam Style“ als virales Phänomen weit vor TikTok-Challenges

Vase, Künstlerin, Shin Meekyoung, Seife, Museum Rietberg, Zürich
Vase aus Seife der Künstlerin Shin Meekyoung

Das Museum Rietberg ist wunderschön auf einem Hügel gelegen. Umgeben von einem großen Park. In der Ferne glitzert der Zürich-See. Ideal, um zwischenzeitig zu verweilen und das Gesehene zu reflektieren. Die „Hallyu!“-Ausstellung stammt ursprünglich aus dem renommierten Victoria & Albert Museum in London. Das Museum Rietberg wiederum hat die Schau um eine eigene Abteilung ergänzt. Mit historischen Werken aus Korea. Und mit zeitgenössischer Kunst wie der Seifenvase von Shin Meekyoung.

In Kontrast zu dieser kontemplativen Arbeit ertönt im Eingangsbereich lautstark der K-Pop-Überhit „Gangnam Style“ von Musiker Psy aus dem Jahr 2012. Noch vor wenigen Monaten habe ich den luxuriösen Stadtteil in Seoul besucht. In dem impulsiven Song ist Gangnam ein Sehnsuchtsort und zugleich das Ziel von Satire auf eine hypermaterialistische Welt. Interessant ist eine Wand mit Videoprojektionen: Weit vor viralen Dance-Challenges auf TikTok sind da Clips zu sehen, wie der „Gangnam Style“ rund um den Erdball nachgeahmt und interpretiert wird. Für mich ein weiteres Indiz, wie weit voraus Korea hinsichtlich des kulturellen globalen Impacts oftmals ist.   

Die Entwicklung Koreas von der Teilung bis zur Demokratie

Warum die Hallyu mit so sanfter Wucht heranrollt, zeigt die Ausstellung mit einem Blick in die jüngere koreanische Geschichte. „Vom Tellerwäscher zum Millionär“. Oder auch: „komprimierte Transformation“. So fasst eine Schautafel die Historie zusammen. Traditionelle Werte aus der Joseon-Dynastie (1392-1910) wurden da letztlich in eine Art Modernisierungsturbo geschleudert und in neue Strategien integriert.

Japanische Besatzung, Teilung des Landes und dann der Wandel von einer Militärregierung hin zu einer Demokratie. Diese rasante Entwicklung war und ist ein starker Motor, sich als Land hochkämpfen zu wollen. Mit all den damit verbundenen Widersprüchen. In der Ausstellung ist ein Foto aus den späten 1970er-Jahren zu sehen: Vor ersten Hochhausbauten in Gangnam wird da noch Ackerbau mit einem Rinderpflug betrieben.

Rosalie Kim, Kuratorin, Hallyu, Ausstellung, Museum Rietberg, Korea
Rosalie Kim, Kuratorin der „Hallyu“-Ausstellung, bei ihrer Führung im Museum Rietberg vor Fotos von Gangnam heute und Ende der 70er

Führung durch die „Hallyu!“-Ausstellung mit Kuratorin Rosalie Kim

Die Olympischen Spiele 1988 in Seoul markieren nach Außen hin einen Wendepunkt. Sie symbolisieren das Bestreben, sich international einen Namen zu machen. Doch auch in Bezug auf technologische Innovationen war und ist Korea seiner Zeit oftmals weit voraus. Darauf verweist Rosalie Kim, Kuratorin der Ausstellung im Victoria & Albert Museum. An dem Tag, an dem ich das Museum Rietberg besuche, gibt sie eine sehr aufschlussreiche Führung.

An Taschenanhängern und T-Shirts sind schnell die K-Pop-Fans in der Gruppe auszumachen. Ich sehe aber auch ältere Leute. Sowohl westlicher als auch asiatischer Herkunft. Und in der Ausstellung sind auch diverse Schulklassen am Start, die sich vor allem fröhlich auf die interaktive Tanz-Plattform stürzen. Ich bin begeistert, wie generationsübergreifend das Thema Hallyu funktioniert.

Das verbindende Prinzip des Jeong als Sinnbild für koreanische Kultur

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Fan-Reis in der Hallyu-Ausstellung

Als Musikjournalistin fokussiere ich mich natürlich besonders stark auf den Bereich über K-Pop. Was mich aber besonders fasziniert: Die Schau zeigt sehr gut, wie in der Hallyu alles zusammenhängt. Ganz nach dem koreanischen Prinzip des Jeong, das eine tiefe Verbindung zwischen Menschen, aber auch zu Tieren oder Gegenständen beschreibt. Eine kollektive Innigkeit, die weit über romantische Konzepte von Liebe hinausgeht. So erläutert Rosalie Kim zum Beispiel, wie Webtoons, also fürs Internet gezeichnete Geschichten, die Kreativität eines ganzen Landes beflügeln. Wie feine emotionale Netze gespannt werden durch und über Kultur.

Die Hallyu lebt von Interaktivität. Eingängig widmet sich die Schau daher auch der Fankultur im K-Pop. Wobei betont wird: „Globale Fandoms spielen bei der weltweiten Verbreitung von K-Pop eine große Rolle, denn sie sind längst mehr als Konsument*innen. Sie sind Übersetzer*innen, Content Creators, Fundraiser*innen, Archivar*innen und Aktivist*innen“. Zu sehen ist da unter anderem ein mit Schleifen dekorierter „Fan-Reis“. Ein Phänomen, das erstmals 2007 auftrat. Fans spenden Reis an wohltätige Organisationen im Namen ihrer Idols, um so ihre Liebe zu dem Star oder einer Gruppe auszudrücken und deren Image positiv zu beeinflussen.

Die narrative Kraft von Mode: Patchwork für G-Dragon und Hanbok für RM

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Hanbok-Look von RM

Die Ausstellung erzählt von Pionieren des K-Pop wie Seo Taiji and Boys Anfang der 90er-Jahre. Plattencover und alte TV-Aufzeichnungen prägen da die Optik. Im großen Bogen geht es dann bis zu hoch aktuellen Strömungen. Die vier Sängerinnen der Girlgroup aespa etwa besitzen jeweils eigene Avatare. Ein riesiger Schritt, um virtuelles und reales Leben über Popkultur zu verbinden.

Da das Victoria & Albert Museum unter anderem auf Kostüme spezialisiert ist, sind auch zahlreiche spektakuläre Outfits zu sehen. Etwa von G-Dragon von der Formation Big Bang: Designerin Gee Eun hat ihm ein Patchwork aus Albumcovern und Erinnerungsstücken auf den Leib geschneidert. Eine tolle Arbeit, um die narrative Kraft von Mode darzustellen. Wunderschön auch, wie Designerin  Baek Oak Soo den traditionellen Hanbok neu interpretiert. Etwa in dem ultra lässigen Look, den Sänger RM von BTS im Jahr 2018 trug.

K-Drama, K-Beauty und K-Pop, alles korrespondiert miteinander

Ich verbringe den gesamten Tag in dieser inspirierenden Ausstellung. Dabei lerne ich sehr viel, erkenne immer wieder neue Zusammenhänge und entdecke auch Details, die mein Popkultur-Herz höher schlagen lassen. Etwa die anthrazitfarben funkelnden Schuhe aus dem K-Drama „My Love From The Star“ (2013-2014). In der Serie sind diese Jimmy-Choo-Pumps fast so etwas wie ein eigener Charakter. Und sie waren damals in kürzester Zeit in Asien, Europa und den USA ausverkauft. Entertainment und Trends, Mode und Popkultur – alles fließt in der Hallyu ineinander.

Tolle Korrespondenzen und Storylines zeigt auch die Abteilung zu K-Beauty. Für das Thema Kosmetik und Schönheit aus Korea bin ich durch den Austausch mit Julia vom Blog Beautyjagd besonders sensibilisiert. Wir sprechen häufig über die Verbindung von Beauty und Popkultur, die immer ausgeprägter wird. Auch auf diesem Feld war und ist die Hallyu wegweisend. Das veranschaulicht etwa die Kooperation der Marke Nature Republic mit der Boyband EXO. Die Konterfeis der Mitglieder zieren Gesichtsmasken, was der Ästhetik von Sammelkarten nahe kommt. Und damit bin ich fast wieder bei der Seife vom Anfang dieses Blogposts angelangt. Stets geht es um Objekte, die durch die Hallyu mit viel Seele aufgeladen werden.  Es geht um Kultur, die Verbindungen und Erkenntnisse schafft. Und die somit unser Leben bereichert.

Dank & Ausblick

Herzlich bedanken möchte ich mich an dieser Stelle beim Team des Museums Rietberg. Besonders bei Luigi Paolo Zeni aus der Kommunikationsabteilung. Ein großes Merci für die tolle Betreuung. Und wer sich diese höchst empfehlenswerte Ausstellung angeschaut hat, sollte unbedingt auch den top sortierten Museumsshop besuchen. Dort entdecke ich unter anderem diverse K-Pop-Romane aus dem New-Adult-Segment. Ein weiteres neues popkulturelles Forschungs- und Passionsfeld von mir. Aber davon soll ein anderes Mal die Rede sein.

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