Ich liebe es, unbekannte Plätze in der Stadt zu entdecken. Und noch begeisterter bin ich, wenn diese Orte dann popkulturell aufgeladen werden. Wenn sich Altes und Neues verbindet. Und wenn sich spannende Korrespondenzen ergeben. Von daher war es ein rundum inspirierendes Erlebnis, die Vernissage der Ausstellung „One Room — One Light“ zu besuchen. In den vergangenen Wochen hat die Fotografin Katja Ruge die stilvoll verwitterten Räume des Tempel 1844 genutzt, um Hamburger Musikerinnen und Musiker sowie Menschen aus dem Nachtleben zu inszenieren.
Die Fotos genau in der Atmosphäre zu betrachten, wo sie entstanden sind, entfaltet einen ganz eigenen, vielschichtigen Reiz. Und das Wissen, dass dieser Ort womöglich bald nicht mehr existieren wird, lässt eine gewisse Melancholie mitschwingen.
Der israelitische Tempelverband ließ Mitte des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Innenstadt eine Synagoge errichten. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg von einer Bombe getroffen, sodass heute nur noch die Vorhalle sowie die mächtige halbrunde Apsis aus Backstein erhalten ist, die zunehmend zu verfallen droht. Die Galerie Holthoff betreibt den Tempel 1844 — gelegen in einem Hinterhof an der Poolstraße — derzeit als Kulturstätte.
Katja Ruge zeigt das Wesentliche, das Überhöhte, Dunkle und Leuchtende
Katja Ruge kenne ich bereits seit Jahren als passionierte Musikfotografin. Ich bewundere ihre Bandbreite. So hat sie zum Beispiel einen Bildband herausgebracht, der sich auf Spurensuche begibt nach Joy-Division-Sänger Ian Curtis. Katja hat aber mit „Ladyflash“ auch eine Fotoserie rund um unabhängige Frauen im Pop veröffentlicht. Zudem ist sie DJ und Produzentin im schönen Grenzgang zwischen Synthpop, Disco und Electro. Besonders verbunden fühle ich mich ihr, seit sie die Fotos für die Webseite meines Projekts Biggy Pop gemacht hat.
Katja Ruge ist, wie sich bei der Vernissage im Tempel 1844 erneut zeigt, schlichtweg eine herzliche und coole Persönlichkeit, die es versteht, ganz unterschiedliche Leute zusammenzubringen. Mit ihrer offenen Art, ihrem empathischen Blick und natürlich ihrem fotografischen Know-how erschafft sie Porträts, die das Wesentliche eines Menschen zeigen. Und die zugleich die Künstlerseele zu Tage treten lassen. Das Besondere, das Überhöhte, Extravagante und Merkwürdige, das Nachdenkliche, Dunkle und Leuchtende.
Die Hamburger Musikszene von Felix Kubin bis Sarajane
Katja Ruges Bilder sind ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie in Zeiten von Social Distancing durch Kunst sehr viel Nähe und Intimität transportiert werden kann.
Die Noise-Artistin und feministische Aktivistin Leyla Yenirce alias Rosaceae schaut einen da mit eindringlicher Ruhe an. Experimentalmusiker Felix Kubin wiederum guckt so, als wolle er seine Fragen an die Welt durch bloßen Blickkontakt teilen. Und das Electro-Duo Digitalism sitzt in selbstverständlicher Verbundenheit zusammen.
Ich freue mich beim Rundgang durch die Ausstellung sehr, auch Musikerinnen und Musikern zu begegnen, über die ich bereits auf diesem Blog geschrieben habe. Popsängerin Sarajane strahlt wahrhaftige Stärke aus, das Rückgrat im Spiegel aufrecht. DJ und Musiker Jojo Brandt wiederum geht eine feine Liaison ein mit dem morbiden Charme des Ortes.
Spannend ist zudem, dass die Räume teils wie eine Wohnung eingerichtet sind. Ein surreales Szenario, durch das sich anregend lustwandeln lässt.
Katja Ruge: „One Room — One Light“, bis 11.9.2020, Tempel 1844
* Auf dem Titelbild ist Madame Chloé zu sehen.