Was bedeutet uns Clubkultur? Als jetzt im Zughafen Erfurt zum bereits neunten Mal der Spielstättenpreis Applaus vergeben wurde, wurde diese Frage passioniert, liebevoll und auch besorgt erörtert. Auf der Bühne sowie in den vielen Gesprächen beim Warm-up und während der After-Show-Party. Kulturstaatsministerin Claudia Roth, deren Haus die insgesamt 2,5 Millionen Euro Preisgelder ausschüttet, sprach unter anderem von einer Freiheit, die in der Dunkelheit zu finden ist. Auch für mich sind Musikclubs seit jeher geheimnisvolle Orte. An denen sich nicht sofort alles eins zu eins erschließt. Die uns durch das Unerwartete inspirieren. Und ich liebe es, neue Locations zu erkunden.
So habe ich für den Applaus-Empfang auch das erste Mal das kreativ-utopische Gelände des Zughafens auf dem alten Güterbahnhof in Erfurt besucht. Eine Mischung aus restaurierter Eleganz und Holzpalettencharme. Von der imposanten Halle bis zur Barnische kann man sich wundervoll verlaufen. Und in neuen Kontexten wiederfinden.
Laudationen von Franzi Aller, Drangsal und Ebow
Auf die Frage, was uns Clubkultur bedeutet, fand die aus dem ganzen Land angereiste Livemusik-Szene an diesem Abend ganz unterschiedliche Antworten. Die Jazzbassistin Franzi Aller sprach in ihrer hoch poetischen Laudatio für das Jazz Montez in Frankfurt am Main von Schwingungen, die mit Emotionen aufgeladen werden. Und zwar von Menschen, die „taste und care“ in ihre Arbeit legen. Geschmack und Fürsorge. Was für eine feine Kombination.
Der Musiker Drangsal schilderte in seiner Rede für das UT Connewitz, wie er dort endlich ein Zuhause gefunden hatte. Wie er sich in dem alten Leipziger Kino nicht nur gesehen, sondern auch immer wieder freundlich aufgenommen fühlt. Und das, nachdem er zu Beginn seiner Ausgehzeit in Berlin in vielen allzu coolen Läden alleine in der Ecke gesessen hatte. Die Rapperin Ebow wiederum erläuterte in ihrer Laudatio auf die Rote Sonne in München eindrücklich, was für sie einen guten Club ausmacht: Vertrauen. Wenn alle im Laden hinter den Auftretenden stehen. Wenn die Booker*innen die Musik fühlen.
Meines Erachtens ist dieses Herzblut, dieses leidenschaftlich getriebene Know-how in jeder prägenden Spielstätte zu spüren. Es schwingt in der Luft, durchdringt jede Nische und macht ein Konzert somit zu viel mehr als der Summe aus Musik, Mensch und Ort. Nennen wir es druckvoll-schwitzende Magie, räudig-schöne Chemie oder nächtlich-funkelndes Wunder. Die große Frage ist allerdings, ob genau dieses gute wilde Leben im dritten Jahr der Pandemie so wie früher funktioniert.
Die Livemusikbranche zwischen Preiserhöhung und Publikumsschwund
Beim Applaus war viel von Publikumsschwund, Umsatzeinbußen und Kostensteigerungen die Rede. Nicht zuletzt aufgrund der auch vor Corona oftmals schon heftigen Mieterhöhungen, wozu Peter Wacha vom Club Rote Sonne auf der Bühne eine spontane Brandrede hielt. Stark wurde beim Applaus diskutiert, wie sich bei diesen Herausforderungen eine Balance herstellen lässt. Einerseits sind da die notwendigen und absolut nachvollziehbaren Preiserhöhungen bei Ticketing und Getränken. Andererseits steht da ein Publikum, das bei Energiekrise und Inflation seine Kohle beisammen halten möchte.
Der alte Impuls, mit langer Vorfreude oder mal eben kurzfristig in ein Clubkonzert zu gehen, ist bei vielen momentan offenbar weniger ausgeprägt. Das liegt gewiss an einer vielschichtigen Gemengelage. Von nach wie vor präsenter Corona-Angst bis hin zu veränderten Gewohnheiten. Meines Erachtens ist der finanzielle Faktor aber durchaus maßgeblich. Als ich neulich am Clubtresen 4 Euro für eine 0,33-Flasche Bier bezahlt habe, war mein erster Reflex auch erst einmal: „Ist da Pfand drauf?“
Sonderpreise beim Applaus für Nachhaltigkeit, Awareness und Innovation
Vieles scheint sich derzeit zu verschieben. Wie lässt sich also vermeiden, dass Clubbesuche nur etwas für Gut- und Besserverdienende werden? Der vom Kulturstaatsministerium eingeführte Kulturpass für 18-Jährige ist ein erster guter Schritt. Immerhin ist da eine ganze Jugend seit dem Frühling 2020 nicht in die Clubkultur hineingewachsen. Und ist womöglich ohnehin mehr an digitalen Räumen interessiert. Geht die Tendenz bei Veranstaltungen für die nachfolgenden Generationen also eher in die Richtung von zum Beispiel Conventions, die Gaming-Welten und virtuelle Erlebnisse mit dem Analogen kombinieren?
Der Applaus hat auch diese Realität mitgedacht. Neben Sonderpreisen für Awareness und Nachhaltigkeit wurde erstmals eine Auszeichnung für Innovation vergeben. Das objekt klein a in Dresden hat einen Virtual Club entwickelt, in dem sich Gäste als Smiley-Avatare begegnen können. Besonders beeindruckend fand ich, dass die Betreibenden mit staatlichen Museen kooperieren. So erscheinen im alternativen Club-Ambiente hin und wieder Statuen und Gemälde.
Bei der Gala wurde dieses Projekt mit einem kompakten Einspielerfilm vorgestellt — wie einige andere der insgesamt 101 ausgezeichneten Musikclubs und Veranstaltungsreihen. Ohnehin war die von Julia Menger moderierte und von der Initiative Musik organisierte Verleihung enorm kurzweilig. Nicht zuletzt natürlich dank der Livemusik: Rap und R’n’B mit Punch und Twist von den Gaddafi Gals. Transparent-komplexer Jazz von 5K HD. Und schönste Brachialität von Team Scheisse. In einem ihrer Songs heißt es: „Geil, geil, geil in die Disko rein / So richtig geil, geil, geil in die Disko“. Na denn!
Audiovisuelle Eindrücke vom Applaus 2022 gibt es in den Highlights auf Instagram