Roller Derby – das neue Fanzine ist da

Mein Begriff von Popkultur ist weit gefasst. Ganz klar liegt mein Fokus auf Musik. Aber sich nur auf diesen einen Bereich zu fokussieren, würde der ganzen bunten Sache nicht gerecht werden. Literatur, Magazine, Serien, Filme, Fashion können Popkultur sein. Und eben auch Sport. Vor allem im Fall von Roller Derby, jenem famosen Vollkontaktsport, in dem zumeist Frauen hart aber herzlich gegeneinander anfahren.

Neben Training und Turnieren gehört zum Roller Derby ein ganz eigener Kosmos aus DIY-Attitüde, Fankultur und eben Musik, der vor allem eine große Offenheit feiert. Jede und jeder kann mitmachen, unabhängig von Alter, Körperform, Gender und sexueller Orientierung.

In Hamburg skaten die Harbor Girls seit 2008

Bereits in den 1930er-Jahren entstanden, erlebte der Sport um die Jahrtausendwende einen neuen Schub und kam Anfang der Nuller-Jahre von den USA verstärkt nach Europa. In Hamburg skaten die Harbor Girls seit 2008, mittlerweile angedockt an den FC St. Pauli, mit viel Know-how, Coolness und Leidenschaft. Das Grundprinzip ist einfach: Gefahren wird im Oval gegen den Uhrzeigersinn. Die sogenannte Jammerin versucht, am gegnerischen Block vorbeizufahren. Für jede überholte Spielerin gibt es einen Punkt. Nebenbei legt meist ein DJ Musik auf. Die Stimmung ist euphorisch, fair und familiär.

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Fanzine Nr. 2, fotografiert von Derby Digger

Mich hat die gesamte Atmosphäre direkt absolut angesprochen. Als ich im Frühjahr einen Bout, also ein Spiel der Harbor Girls Hamburg besuchte, war ich daher hoch erfreut, dass dort ein neues Fanzine für Roller Derby auslag. Der Derby Digger. Ich las das Heft am nächsten Tag sofort von der ersten bis zur letzten Seite durch, war fasziniert von Vielfalt, Spaß, Professionalität und mir war klar: Ich möchte mitmachen. Rollschuhlaufen ist lange her bei mir, Schreiben jedoch nicht.

Derby Digger, das Fanzine für Roller Derby Kultur, feiert Ausgabe Nr. 2

Ich mailte also Herausgeber Joachim an, der als DJ Luetten in Hamburg auch Clubs und Kneipen mit Ska, Reggae und Rocksteady versorgt. Nun feiert Derby Digger Nr. 2 an diesem Donnerstag seinen Release. Und Luetten sowie yours DJ Biggy Pop legen zu diesem freudigen Anlass gemeinsam auf der Barkasse Frau Hedi auf. Ich bin schon extrem gespannt auf die neue Ausgabe und freue mich auf all die Beiträge der anderen Autoren, zudem auf das Layout von Julia und auf die Fotos, etwa von Regularman.

Mir wurde die Ehre zuteil, ein Porträt von Jammerin Miss Zoffi zu schreiben, das ich hier – in freundlicher Absprache mit Luetten – nun präsentieren darf. Quasi als Appetizer für das restliche Heft, das die Tage auch in der Buchhandlung Schanzenviertel, im Strips & Stories, im Nachladen sowie im Fanladen St. Pauli zu haben sein dürfte. Popkultur auf Papier. Zum Anfassen. Zum Aufheben. Zum Liebhaben.

Artikel aus dem Derby Digger: „Jammen als Way Of Life“ von Biggy Pop

Furchtlosigkeit, Taktik, Ausdauer, Intuition – seit ich 2012 das erste Mal ein Roller-Derby-Spiel erlebte, haben mich die Jammer*innen besonders fasziniert. Ich hatte damals mein Erspartes zusammengekratzt und eine Auszeit vom Job genommen, um einige Wochen in New York leben zu können. Mitten in der Sinnsuche sah ich also bei einem Bout in Brooklyn diese Frauen, wie sie mit Wucht, Spaß und Geschick auf jene zurasten, die ihnen im Weg standen. Wie sie es immer wieder versuchten, bis die Hürden überwunden waren und sie befreit weiter rollen konnten. Ich dachte mir: Wäre es nicht fantastisch, mit dieser Energie sein Leben zu leben?

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Miss Zoffi, fotografiert von Regularman

Ich bin also hoch beglückt, Jahre später mit Sophie alias Miss Zoffi einen Menschen kennenlernen zu dürfen, der Jammen definitiv als Way of Life versteht. Wir treffen uns an einem sonnigen Tag in Berlin und setzen uns zur Mittagspause mit Salat und Schorle an die Spree.

Als erstes fallen mir die windschnittigen Streifen in ihrer Kurzhaarfrisur auf. Nachhaltig angetan bin ich von Sophies entspannter und zugleich leidenschaftlicher Art, mit der sie erzählt: Wie sie im März 2018 in die Hauptstadt gezogen ist, um international bei den Berlin Bombshells (Bear City Roller Derby) zu fahren. Und wie das Derbyverse im Allgemeinen und das Jammen im Besonderen seit sechs Jahren ihr Leben prägt.

Der Sport, das Teamgefühl, die Community. Alles passte

Ich war schockverliebt!“ Das war ihr erstes Gefühl, nachdem eine Arbeitskollegin (Rough Rudie) sie 2012 zum Recruiting Day der Hamburg Harbor Girls mitgenommen hatte. Sophie war von München über Trier und Mainz frisch in die Hansestadt gezogen und wollte Leute kennenlernen. Der Sport, die unterschiedlichen Persönlichkeiten, das Teamgefühl, die Community. Alles passte. Ein neues Zuhause.

Ich hatte vorher gar nichts mit Rollschuhlaufen oder Skaten am Hut. Dann habe ich gemerkt: Ich habe Talent und möchte gucken, wie weit ich kommen kann“, erzählt Sophie. Anfangs habe sie durchaus Hemmungen gehabt, mit Vollspeed auf ein Pack zuzufahren. „Das ist eine mentale Herausforderung.“ Was ihr half: Trainieren. Auf den Skates sicherer werden. Und: Taktik üben. „Wie reagieren die Blocker*innen? Wie kann ich sie austricksen? Ich muss mir vorher einen Plan a, b und c machen“, erklärt Sophie.

Viel gelernt hat sie von erfahrenen Roller-Derby-Profis wie der Berliner Vereinsgründerin Master Blaster. Und bei Bootcamps mit Fahrer*innen aus England und den USA, etwa mit Scald Eagle aus Denver. „Scald Eagle ist riesig und stark, sie kann Bewegungen perfekt analysieren und schneidet durch das Pack wie Butter. Ihre Tipps habe ich aufgesaugt wie ein Schwamm.“

Miss Zoffi: „Ich bin körperlich stärker geworden“

Hochachtung hat Sophie vor den Blocker*innen, die im Training auch ein wenig leiden müssten, wenn die Jammer*innen ihre Einsätze üben. „Leider treffen wir die Blocker*innen dann auch mal in der illegalen Blocking Zone, zum Beispiel im Rücken“, sagt Sophie – und ergänzt amüsiert: „Aber was wäre die Alternative? Rollende Sandsäcke?“ Um ihre Strategie zu verbessern, sei es für sie absolut sinnvoll, im Training immer mal wieder im Pack zu fahren: „Wir Jammer*innen haben oft einen Tunnelblick, während die Blocker*innen den Überblick behalten müssen. Das ist extremes Multitasking.“

Was mich noch interessiert: Wie hat Roller Derby Sophies übriges Leben verändert? „Ich bin körperlich stärker geworden“, erzählt sie. „Ich war zwar vorher auch schon selbstbewusst, aber Roller Derby hat das noch verstärkt. Ich sehe: Ich kann was, ich bin gut darin. Das macht mich stolz und das macht Spaß. Und mich inspiriert, dass so viele andere Frauen ihre Stärke nach außen tragen.“ Wenn Sophie über Roller Derby spricht, ist da ganz viel Wärme und Klarheit in ihrer Stimme. Das ist wirklich ansteckend.

Für Bear City kümmert sich Miss Zoffi zudem um Sponsoringanfragen

Von 2015 bis 2017 spielte Sophie in der Bundesliga für die Harbor Girls, dann wechselte sie nach Berlin, deren A-Team zu den ersten 28 weltweit gehört. Dreimal in der Woche geht sie zum Training, hinzu kommen Sondertrainings und regelmäßige Besuche im Fitnessstudio. Für Bear City kümmert sie sich zudem um Sponsoringanfragen.

Wenn Freunde sagen, Roller Derby sei doch „nur ein Hobby“, muss sie widersprechen. „Am liebsten würde ich das hauptberuflich machen. Andererseits finde ich den DIY-Gedanken toll. Die Frage ist, ob die Leidenschaft auf der Strecke bleibt, wenn der Sport zu stark professionalisiert und kommerzialisiert würde“, sagt sie nachdenklich.

Roller Derby – Liebe von und zu den Fans

Letzten Endes ist Sophie natürlich auch selbst schlichtweg ein riesiger Roller-Derby-Fan. Wenn sie mit dem Team Germany zur WM nach Manchester fährt wie im Februar 2018 oder zu den Big O nach Oregon im Mai diesen Jahres, dann freut sie sich irre, all die Top-Spiele anschauen zu können, zum Beispiel den Bout Australien gegen USA. „Da war schon was los.“

Und dass Fans unvergessliche Momente schaffen können, das hat Sophie selbst mit den Deckhands bei den Harbor Girls erlebt: „Wir hatten ein Spiel gegen Birmingham vor einigen Jahren. Der Gegner hat uns echt niedergemacht. Aber da gab es diese eine Situation, wo ich einen Apex Jump geschafft habe. Danach bin ich auf Knien in Richtung Deckhands gerutscht und alle sind aufgesprungen und haben mir zugejubelt“, erzählt Sophie. „Das ist das tollste Gefühl der Welt, von solchen Fans angefeuert zu werden. Immer, wenn ich mich motivieren möchte, denke ich an diesen Moment zurück.“

Inspiration für alle Kurven und Hürden im Leben

Alle können mitmachen, eine Rolle spielen, sich gegenseitig pushen. Sophie liebt, wie vielfältig das Derbyverse ist. Dass etwa Vereine wie St. Depri ihren Platz in diesem Kosmos finden. Und dass es keine Altersgrenze gibt. „Wenn ich mal als Jammer*in in Rente gehe, würde ich gerne Announcer*in werden“, erzählt Sophie, die bald 30 wird. Und dann blickt sie auf die Spree und sagt noch: „Wenn ich nicht mit Roller Derby angefangen hätte, was ich da alles verpasst hätte – das wäre total verrückt.“

Wow – die Begegnung mit Sophie hallt noch lange nach. Wie sehr sie verkörpert, dass sich Herzlichkeit und Ambition nicht ausschließen, hat mich total begeistert. Und wie die Fahrer*innen gegenseitig ihre eigenen Rolemodels sind und ihre Skills abfeiern. Definitiv eine Inspiration für alle Kurven und Hürden im Leben.

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