Ich mag es sehr, wenn Menschen mit- und sich einmischen. Nicht teflonartig durch die Welt gleiten, sondern Verbindungen herstellen. Die Hamburger Hiphopper Neonschwarz sind, was das angeht, so etwas wie die Supereinmischer und Megaverbindungshersteller. Marie Curry, Johnny Mauser, Captain Gips und DJ Spion Y machen musikalisch, textlich und auch im realen Leben ganz weit auf.
Zum Release ihres dritten Albums „Clash“ spielt Neonschwarz nicht nur diesen Freitag im Hamburger Gängeviertel. Einen Abend zuvor lädt die Band zudem zur Listening-Session mit Bier und Bingo-Spiel ins hoch charmante kubanische Café Buena Vista am S-Bahnhof Diebsteich. Von Zeckenkids bis zur Seniorin hocken alle vor und in dem gemütlichen Flachbau an den Schienen. Und Betreiber Osmar gibt große Portionen an Essen und Herzlichkeit aus. Ein Abend, der sich anfühlt wie eine Wirklichkeit gewordene Utopie.
„Diggi, das ist Neonschwarz, can you handle it?“
Doch Neonschwarz, 2012 gegründet, ist weit entfernt davon, sich in der eigenen Blase auszuruhen. „Clash“ beginnt zwar – hiphop-typisch – mit einem energiegeladenen Selbstbehauptungssong. Und mit der Beyonce-Gedächtnis-Frage: „Diggi, das ist Neonschwarz, can you handle it?“ Doch im Laufe des Albums packen die „Neonschwizzys“ in ihren akzentuierten Flow viel kritischen Input von der Zeitgeistanalyse bis zur Klaren-Kante-Haltung.
Der treibende Ausbruchssong „Maradona“ zeigt Leistungsdruck und Durchtaktung unserer Tage den Mittelfinger und beschwört den Mut zum Roadtrip, zum Abenteuer, zum Ungewissen. „Fieber“ schwingt inhaltlich auf einer ähnlichen Frequenz: Stress macht aggro, weshalb die „Schwizzy-Samariter“ anrücken müssen, um den Kurzatmigen das süße Leben zu bringen.
Besonders gut gefällt mir bei dieser Nummer der Wechsel zwischen entspannten Gesangspassagen, Slowmotionrap und Hochgeschwindigkeitssprechgesang. Als sei die Stimme auf einmal auf der Vorspultaste gelandet. Und auch der wohl dosierte Einsatz von Autotune passt zur fiebrigen Atmosphäre und wird nicht einfach als Modeeffekt eingesetzt.
Doppelmoral in der Seifenblase
In „2018“ seziert Neonschwarz im Wortgewitter an tollen orientalischen Klängen, wie dem Erstarken der Rechten zu begegnen ist. Und die Band fragt sich: „Was passiert, wenn sie immer lauter werden, / und schon morgen lauter sind, als die Alarmanlage schreit?“ Doch die vier predigen nicht nur den Konsens im eigenen Umfeld. In „Ananasland“ nehmen sie zudem die Doppelmoral in der eigenen nachbarschaftlichen Seifenblase auseinander: Alle sind öko und kreativ, aber bitte die unhippen Obdachlosen und lauten Clubs aus Blick- und Hörfeld schaffen. „Geistig vertrocknet, moralisch flexibel.“
Der Song ist blitzgescheit, blitzschnell, blitzhumorig. Und musikalisch spannend mit sprödem wütendem Rap, mit Breaks, Samples und sattem Schub. „Und ging mal ganz schlimm was daneben / dann schwingen wir den Besen“, rappt Marie Curry und setzt mal eben einen feinen Seitenhieb auf die blitzblanke(nese) Aufräumaktion in der Schanze nach G20.
Ernsthafte Inhalte mit ultimativem Groove
Neonschwarz schielt nicht mit Provokation und Gangsta-Attitüde nach der Chartsspitze, wie die Crew in „Gleis 13“ mehr als deutlich macht. Was ich wirklich beeindruckend finde: Wie das Quartett auf „Clash“ ernsthafte Inhalte mit ultimativem Groove, Funk und Flow verbindet.
„Verrückt“ zum Beispiel ist ein Motivationssong, der positive Energie gegen den Irrsinn unserer Zeit setzt – und das mit reichlich „Wohoo“-Handclap-Charme. Und Neonschwarz schafft den Spagat, selbst ein Stück wie „Klatsche“ über psychische Störungen und Ängste mit „Hände in die Luft“-Atmosphäre aufzuladen.
Völlig begeistert bin ich, das bei Neonschwarz mit Marie Curry eine Rapperin am Start ist, die von Album zu Album stärker wird. Ihr ist anzuhören, dass sie mit dem ganzen Körper, mit vollem Herzen singt und rappt. Dunkel, kehlig, rau. Mit viel Soul wie in „67“ oder ultracool wie in „Neonröhren“. Oder im lässigen Fluss bei „St. Pauli“, einer angenehm unkitschigen Lokalhymne. Durch die Straßen ziehen zwischen Kiezgebrüll und Dampferqualm, Kleine Pause und Quatschen mit Überdosis Ehrlichkeit. Eine flüchtige Romantik. Ein Hamburg, wie ich es liebe. So wie es auch beim Release-Abend im Café Buena Vista zu spüren ist.
Die Sonne ist mittlerweile irgendwo hinter den Gleisen untergegangen. Drinnen sitzen alle an rustikalen Holztischen, während Audiolith-Labelchef Lars Lewerenz die Zahlen in den Raum ruft, die die Bingo-Trommel ausspuckt. Jung und alt kreuzen die Nummern auf ihren Bingo-Zetteln ab.
Der Erlös aus dem Verkauf der Lose geht zur einen Hälfte an den Verein Cadus, der in Syrien und dem Irak medizinische Hilfe organisiert. Die andere Hälfte fließt an die Hamburger Initiative Oll Inklusiv, die Menschen 60+ hinaus aus der Einsamkeit und hinein in die Clubs bringt. Eben Mitmischen auf allen Ebenen.
Sonst noch neu in Hamburg diese Woche:
Bosse: „Alles ist jetzt“ (Album, Universal) – besprochen von den Kollegen von Musikblog.
Erregung öffentlicher Erregung: „TNG“ (EP, Euphorie Records) – präsentiert von den Kollegen von ByteFM.