Anton Corbijn trifft Daniel Miller – der Blick auf Musik

Beziehungen. Vertrauen. Freiheit. Tod. Kunst berührt mich dann am meisten, wenn sie das zutiefst Humane verdichtet, überhöht, zum Schwingen bringt. Wie sehr künstlerisches Schaffen immer wieder von ganz grundsätzlichen menschlichen Zuständen angetrieben wird, kommt bei einem Gespräch, das ich im Bucerius Kunst Forum besuche, äußerst eindringlich zum Ausdruck. Bis Anfang Januar 2019 läuft in dem Museum neben dem Hamburger Rathaus die Ausstellung „The Living And The Dead“ von Anton Corbijn. Und an diesem Mittwochabend trifft der niederländische Fotograf auf Daniel Miller, Gründer der Plattenfirma Mute Records.

Exhibition, Photographie, Anton Corbijn, Bucerius Kunst Forum, Hamburg, Popmusic, Talk, Daniel Miller, Mute Records, Max Dax, Musicjournalist, Sinead O Connor Musikjournalist Max Dax bringt die beiden mit angenehmer Ruhe ins Gespräch. Viele Anekdoten drehen sich um Depeche Mode, deren maßgebliche Alben Mute Records veröffentlichte. Und deren Image Anton Corbijn mit Fotos und Videos prägte. Mich fasziniert und amüsiert, dass Anton Corbijn sowohl Depeche Mode, als auch U2 – Stichwort Beziehungen – anfangs nicht sonderlich mochte. Die Verbindungen und Sympathien seien erst über die Jahre gewachsen, sagt er.

Videodreh mit Depeche Mode, Sound als Motor

Mir gefällt die Vorstellung sehr, dass das Musikgeschäft derart langfristige und zwischenmenschlich durchaus komplexe Kollaborationen ermöglicht. Wo die Branche doch als so schnelllebig verschrien ist. Das motiviert mich, idealistisch zu bleiben.

Daniel Miller betont, dass sowohl Business als auch künstlerisches Arbeiten nicht ohne Vertrauen funktionieren. So habe Depeche Mode zwar einen ausgeprägten Sinn für den eigenen Sound. Band und Label hätten aber die optische Gestaltung zuversichtlich in die Hände von Anton Corbijn gelegt. Der wiederum sagt zu seiner Herangehensweise, dass er sich beim Dreh nicht von den Lyrics, sondern vielmehr von der Musik anregen lasse. Intuitiv entstünden Bildideen, zum Beispiel zu dem Clip zu „Enjoy The Silence“, in dem Dave Gahan als König mit einem Klappstuhl durch einsame Landschaften läuft.

Anton Corbijn, Joy Division und der Tod

Die Arbeiten von Anton Corbijn stehen auf der grob schraffierten, melancholischen, hintersinnigen Seite des Lebens. Und das von Anfang an. Eine frühe, sehr bekannte Fotografie ist die von der Band Joy Division aus dem Jahr 1980.

Exhibition, Photographie, Anton Corbijn, Bucerius Kunst Forum, Hamburg, Popmusic, Talk, Daniel Miller, Mute Records, Max Dax, Musicjournalist, Joy DivisionDie vier Musiker gehen hinab in die Londoner U-Bahn-Station Lanchester, in dessen Nähe Anton Corbijn damals ein Zimmer bezogen hatte. Einzig Sänger Ian Curtis kehrt der Kamera nicht den Rücken zu, sondern dreht sich zum Betrachter um. Der Subwaytunnel entfaltet eine Sogwirkung nach unten.

Anfangs hätten die Leute das Bild nicht sonderlich gemocht, erzählt Anton Corbijn. Erst als Ian Curtis einige Monate später Suizid beging, deuteten viele das Bild als Vorsehung. Das Thema Tod beschäftigt den Fotografen in zahlreichen Studien. In Hamburg ist seine autobiografische Serie „a. somebody“ zu sehen, in der sich Anton Corbijn als Rockstars inszeniert, die nicht mehr am Leben sind. Tatsächlich existieren ja viele Ikonen wie John Lennon und Kurt Cobain mit ihrer ganzen inspirierenden wie zerrissenen Persönlichkeit und ihrer Musik in uns weiter. Eine spannende Auseinandersetzung.

Marianne Faithful vor der Kaffeetasse und die Freiheit der Interpretation

Die große Freiheit seiner Fotografie liege dann wiederum beim Betrachter, erzählt Anton Corbijn. In der Interpretation. In der Assoziation. Im ganz eigenen Zugang. Ein Bild. Ein Stück fixierte Zeit. Und Tausende Geschichten, die dazu entstehen. Tausende Gefühle, die ein Porträt oder eine Szenerie auslöst.

Aufgrund dieser Philosophie ist Anton Corbijn auch nur bedingt motiviert, die Umstände zu erläutern, wie seine Fotos zustande kommen. „Wenn Marianne Faithful im BH rauchend vor einer Kaffeetasse sitzt“, sagt er über eines seiner Bilder, „dann könnte die Fantasie doch sein, gerade eine Nacht mit ihr verbracht zu haben.“ Dass das womöglich eine offiziell angesetzte Session mit fünf anderen Fotografen drum herum gewesen ist, das möchte sich doch nun wirklich niemand vorstellen, sagt er – unter reichlich Gelächter des Publikums. Hat ja niemand behauptet, ein Abend über die grundlegenden Dinge müsse humorfrei sein.

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