Songwriting-Workshop mit Fjarill – der Musik vertrauen

Wer kann und darf überhaupt Kunst machen? Wenn es nach dem Hamburger Duo Fjarill geht: alle, jede und jeder. Seit 2004 produzieren Hanmari Spiegel und Aino Löwenmark traumversunkene Musik zwischen Folk, Pop, Jazz und Klassik. Und einige Male im Jahr laden die beiden zudem zu sehr besonderen Singer-Songwriter-Workshops ein. An einem oder mehreren Tagen kommen da ganz unterschiedliche Menschen zusammen, um gemeinsam ein Lied zu erschaffen.

Klingt kompliziert? Ist es überhaupt nicht. Denn Aino und Hanmari gehen ganz leicht und spielerisch an die Sache heran. Innerhalb weniger Stunden verbinden sich da verschiedenste Persönlichkeiten. Ohne dass allerdings die charakterlichen Eigenarten verschwinden. Im Gegenteil: Alles darf hell schillern und dunkel funkeln und sich verwandeln.

Fjarill, Duo, Hamburg, Pop, Hanmari Spiegel, Aino Löwenmark, Walden Studio, Midsommar, music, producing, Workshop, Songwriting, voice, coaching, singing, violin, piano, textingEin handbemaltes Schild weist in Richtung des Walden Studios. Da ich die große Freude habe, Fjarill als Pressetexterin für ihr neues Album „Midsommar“ zu begleiten, kenne ich bereits das hellholzige Refugium am Rande Hamburgs, in dem die beiden ihre Musik komponieren und aufnehmen. Direkt am Wald gelegen. Der hohe Dachgiebel lässt viel Raum zum atmen. Eine Kerze, Sitzkissen, Tulpen in einer Vase. Alles äußerst einladend.

Die Februarfrühlingssonne fällt warm herein, als sich an diesem Samstag 20 Leute nach und nach versammeln. Noch unruhig. Hinaus aus den Mänteln und Jacken. Ankommen. Sich orientieren. Ein erstes Kennenlernen. Der gemeinnützige Arbeitskreis Musik in der Jugend, kurz AMJ, veranstaltet den Workshop an diesem Tag. Daher begrüßen nicht nur Hanmari und Aino freudestrahlend ihre Gäste, sondern auch Christine von Bargen vom Hamburger Landesverband des AMJ.

Etwas Neues hineinwehen lassen

Zur Einstimmung spielen Hanmari und Aino ein eigenes Lied von Fjarill. Und wie die Musik da fein ineinandergreift, sich ausbreitet und unmittelbar berührt, ist überdeutlich die Virtuosität zu erkennen, die die beiden über Jahre und Jahrzehnte an Klavier, Geige und Stimme erlangt haben. Wohl niemand der Anwesenden kann derart komplex musizieren. Doch das zählt an diesem Wintertag nicht.

Fjarill, Duo, Hamburg, Pop, Hanmari Spiegel, Aino Löwenmark, Walden Studio, Midsommar, music, producing, Workshop, Songwriting, voice, coaching, singing, violin, piano, textingEine kurze Vorstellungsrunde ergibt: Manche sind auf dem Weg zum Profimusiker und suchen nach neuen Ansätzen. Andere sind Musiklehrerinnen und erhoffen sich Motivation für den Unterricht. Einige – so wie ich – singen nebenbei und freuen sich auf das Gesangserlebnis an sich. Wiederum andere möchten sich einfach Zeit schenken, in der sie sich beherzt etwas Gutes tun. Handy aus. Keine Ablenkung. Das Fenster öffnen. Etwas Neues hineinwehen lassen. Sich ausprobieren und fokussieren.

Die wenigsten im Raum streben ihren musikalischen Weg hauptberuflich an. Doch was Aino und Hanmari für uns erlebbar machen im Laufe des Tages: Wie sie als Fjarill ans Songwriting herangehen. Wie sich die Inspiration unverkrampft hervorlocken lässt. Und welche kreativen Schritte sie gehen, um neue Songs zu kreieren. Denn wenn sie nicht gerade fertige Texte vertonen, wie auf „Midsommar“ drei Gedichte des schwedischen Literaturpreisträgers Pär Lagerkvist, ist der Prozess folgender, erklärt Aino: erst die Musik, dann die Worte.

Die offene Atmosphäre, die Fjarill herstellt

Am Anfang ist der Sound. Und so laufen wir, nach Aufforderung von Aino und Hanmari, durch das Studio und bilden einfach die Töne, die gerade nach draußen möchten. Manche schüchtern, andere lautstark. Ein dissonanter voller Vielklang. Dass das schnell ganz unbefangen klappt, liegt vor allem an der offenen Atmosphäre, die Fjarill herstellt. Die beiden sind so freigeistig und klar, warmherzig und eigensinnig, dass Kategorien wie gut oder schlecht, cool oder uncool, Soll oder Leistung gar nicht erst an der Oberfläche erscheinen. Es brummt und sirrt und wogt.

Fjarill, Duo, Hamburg, Pop, Hanmari Spiegel, Aino Löwenmark, Walden Studio, Midsommar, music, producing, Workshop, Songwriting, voice, coaching, singing, violin, piano, texting
Aino Löwenmark und Hanmari Spiegel (r.) im Walden Studio

In immer weiteren Runden lassen wir Melodien und Rhythmen fließen, wie die Intuition sie uns gerade eingibt. Hanmari beginnt, uns mit Akkorden am Keyboard zu begleiten. Gemeinsam mit Aino hat sie sich diese Grundlage vorab ausgedacht, um das Lied letztlich durch Strophe, Bridge und Refrain zu strukturieren. Wir improvisieren weiter zu dieser Basis. Zunächst noch jede und jeder für sich. Doch damit das Ganze am Ende kein einziger vieltönender Hall bleibt, bittet Aino uns herumzuhorchen, ob nicht jemand im Raum eine ähnliche Gesangslinie anstimmt.

Diese Phase des Workshops finde ich besonders magisch. Denn wie von unsichtbaren Fäden geführt, finden sich kleine Gruppen zusammen, die ähnlich klingen. Schwünge, Höhen, Tempi gleichen sich an. Finden einen Groove. Eine Dynamik, die sich Akkordfolge für Akkordfolge feiner aufeinander einstellt, selbstverständlicher miteinander schwingt, sich voller entfaltet.

Den Song finden: mehr als die Summe der einzelnen Teile

Ich fühle mich sehr aufgehoben in diesem Klang, in diesem Fluss. Mir gefällt es äußerst gut, wie körperlich Fjarill an den Akt des Singens herangeht. Und wie sehr Aino und Hanmari auf die ganz eigene schöpferische Kraft der Musik vertrauen. Darauf, dass aus der Summe der einzelnen Teile etwas Größeres erwächst. 

Fjarill, Duo, Hamburg, Pop, Hanmari Spiegel, Aino Löwenmark, Walden Studio, Midsommar, music, producing, Workshop, Songwriting, voice, coaching, singing, violin, piano, textingDie vier Groove- und Gesangseinheiten, die sich gebildet haben, präsentieren ihre Parts dem restlichen Workshop. Spannend, da kurz vom Akteur zur Zuhörerin zu wechseln. Entstanden ist zum Beispiel eine sehr hohe dramatische Linie, die jedem Metalsong zur Ehre gereichen würde. Aber auch ein tiefer rollender Verlauf, der melancholischere Züge besitzt. Hanmari notiert die Noten der soeben erst gefundenen Melodien, um die verschiedenen Stücke später aneinandersetzen zu können.

Das Texten: von Ängsten, Aus- und Aufbruch

Erst jetzt geht es ans Texten. Fünf Minuten sitzen wir in der Gruppe einfach still da und Hanmari spielt den Song immer und immer wieder auf dem Keyboard, damit wir frei assoziieren können. Im Anschluss erzählen wir, was uns eingefallen ist. Und Aino notiert all die Worte auf einem Clipboard. Interessanter Weise driften die Gedanken in ähnliche Richtungen. Von Ängsten, Aus- und Aufbruch ist die Rede. Viele Tiere tummeln sich zudem in der Runde. Rehe, Storche, sogar Nilpferde. Während manche zu verträumteren Bildern neigen, fordert eine von uns mehr verbale Aggressivität, um einen radikalen Wandel zu signalisieren.

Die Stimmung ist konzentriert und locker zugleich. Lachen. Sich gegenseitig applaudieren. Ein prima Empowerment. Doch ebenfalls eine intensive Angelegenheit. Daher gehen wir dankbar in die Mittagspause. Alle haben etwas fürs Buffet mitgebracht. Ein buntes Schlemmen und Plaudern. Viele, so erfahre ich, kommen aus Hamburg und dem Norden, ein Paar ist allerdings extra aus dem Rheinland angereist. Zudem gibt es einige regelrechte Fjarill-Workshop-Fans, die zum vierten, fünften Mal dabei sind.

Fjarill, Duo, Hamburg, Pop, Hanmari Spiegel, Aino Löwenmark, Walden Studio, Midsommar, music, producing, Workshop, Songwriting, voice, coaching, singing, violin, piano, textingGestärkt geht’s weiter ans konkrete Texten. In kleinen Runden verteilen wir uns im Haus und erdichten auf Grundlage des Brainstormings Zeilen für Strophen, Bridge und Refrain. Ein schönes Pingpong aus Worten, das mal hakt, mal ins Leere läuft, das aber auch erstaunlich schnell Singbares aufs Papier bringt. Plattitüden umschiffen und rätselhaft bleiben – das sind zwei Leitlinien, die sich in meiner Gruppe schnell herauskristallisiert haben.

Der fertige Song: Nuancen verdichten

Als die Runden dann schließlich ihre Werke vorsingen, ist das ein grandioses Überraschungsfeuerwerk. Ganz unterschiedlich sind Duktus und Sprachen. Und dennoch ergibt alles einen Sinn, als es letztlich zusammengefügt wird. Mehrfach singen wir zum großen Finale unseren Song durch. Ein Lied, dass sich aus einem Gefühl der Enge euphorisch aufschwingt. Dass all die Nuancen der Anwesenden mitträgt und zugleich für sich frei fliegen kann – und das auf Englisch, Schwedisch und Deutsch.

Mich fasziniert, dass solch eine Musik, die an nur einem Tag entstanden ist, viele unterschiedliche Emotionen und Denkanstöße verdichten kann. Und dass die Kunstproduktion eben kein leidensvoller Akt sein muss, sondern etwas sehr Positives und Verbindendes bergen kann.

Für mich lebt der Workshop von Fjarill aus der Kombination von Hippie-Attitüde und dem großen musikalischen wie menschlichen Gespür, dass Aino und Hanmari besitzen. Ein Tag, der einen glücklich zurücklässt.

Nächster Workshop (diesmal für Kinder): 1. Juni, Walden Studio

Fjarill live:
28. April: Elbphilharmonie
18. April: offene Generalprobe, Kulturhaus Eppendorf

Follow my blog with Bloglovin