„Mein Beitrag“ mit Dunya: Natur und Miteinander erkunden

„Ich sehe es definitiv als meinen Beitrag, die Menschen nicht nur auf der wissenschaftlichen Ebene anzusprechen, sondern auch den künstlerischen Kanal zu nutzen, um in einen Austausch zu kommen über Themen wie Klimawandel und Konflikte‟, sagt Banu Şengül, Sängerin, Gitarristin und neuerdings Bouzouki-Spielerin der Band Dunya. Ein Wort, das aus dem Türkischen stammt und übersetzt „Welt‟ bedeutet. Dunya ist die erste Band, mit der ich für die neue Artikel-Reihe „Mein Beitrag‟ gesprochen habe. Unter diesem Titel nehme ich auf meinem Blog junge Popkünstler*innen und ihre Auseinandersetzung mit sozialen Themen in den Fokus. Das Gespräch hat mich sehr inspiriert. Geht es bei Dunya doch darum, wie Musik und Lyrik eine intuitive und emotionale Ebene eröffnen, über die sich Inhalte vermitteln lassen. Oder, wie Banu es formuliert: „Sound, Texte und auch das künstlerische Netzwerk können ein Ambassador sein und in die Gesellschaft hineinwirken.‟ Mich beeindruckt enorm, wie viele verschiedene Aspekte bei Dunya äußerst poetisch anklingen: unser Verständnis von Natur und Miteinander, die Frage nach Herkunft und Heimat sowie die Idee, als Gruppe möglichst offen zu sein für ganz unterschiedliche Einflüsse.

Psychedelische Klänge treffen auf orientalische, Rock auf Electro und Jazz

Dunya hat sich Ende 2019 in Hamburg gegründet und gehört zum Kosmos des Labels La Pochette Surprise, bei dem nach einer selbstbetitelten EP auch ihr Debütalbum erscheinen soll. Das Quintett bezeichnet sich selbst als kosmopolitische Band. Und die Vielstimmigkeit äußert sich nicht nur in Banus wunderbar eindringlichem Gesang auf Englisch, Türkisch und bald auch auf Deutsch, sondern auch im Sound. Psychedelische Klänge treffen auf orientalische, Rock vermischt sich mit Electro und Jazz. Verspielt, experimentell und doch angetrieben von einer gemeinsamen Energie.

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Dunya sind (v.l.): Elias Ferreria (Bass), Dorian Richter (Keyboard), Lukas Tietkens (Schlagzeug), Banu Şengül (Gesang, Gitarre) und Christian Lincke (Gitarre), fotografiert von Lukas Drude (Titelfoto von Aylin Şengül).

„Bei uns kommen fünf Perspektiven zueinander. Wir nehmen uns die Freiheit, keinen festen Sound zu finden‟, sagt Schlagzeuger Lukas Tietkens, der sich zum Beispiel viel mit Hip-Hop und dessen Aussagekraft beschäftigt hat. Ich selbst habe Dunya bereits im Backyard des Molotow auf St. Pauli live erlebt und war extrem angetan von der Dynamik, mit der die Band spielt. „Verzerrte Gitarren werden ins Orchestrale überführt, fallen aber auch wieder zurück in die Reduktion, wo spannungsgeladene Details dann umso mehr schillern dürfen‟, schrieb ich über das Konzert hier auf meinem Blog.

„Diese Welt, das ist meine Heimat‟

Dunya ist geprägt von einem Geist des Ausprobierens, des gemeinsamen Lernens. So hat Banu etwa erst über den Bandprozess begonnen, sich mit den musikalischen Wurzeln ihrer türkischen Familie zu befassen. „Wir haben zuhause immer Rock gehört und zusammen getanzt, aber ich habe den Background dahinter nicht reflektiert‟, sagt Banu und meint die experimentelle türkische Psych-Rock-Bewegung der 70er-Jahre. Damals haben sich Künstler wie Cem Karaca bereits für kulturelle Verständigung eingesetzt. Und diese Strömung fließt nun in den Sound von Dunya ein.

Zudem hat eine Äußerung von Musiker und Schauspieler Barış Manço die Band auch zu ihrem Namen inspiriert: „Hemşerim Memleket Nire? – Bu Dünya benim Memleket!‟ Übersetzt heißt dieser kleine Dialog: „Mein Freund, woher kommst du? – Diese Welt, das ist meine Heimat.‟ Mir gefällt es sehr gut, dass Dunya eine derart freigeistige Haltung ins Heute überführt. Dass in Dunyas Welt also das Menschsein an sich im Mittelpunkt steht und nicht der Geburtsort. 

Persönliche Fragen, die zugleich gesellschaftliche Relevanz haben

Die Songtexte, die Banu schreibt, sind für mich im besten Sinne beseelt. Und anregend. Versucht sie doch immer wieder, Verbindungen zu schaffen. Basierend auf Fragen, die sie sich ganz persönlich stellt. Und die zugleich gesellschaftliche Relevanz haben: „Die Geschichte meiner Familie aus der Türkei und mein Leben in Deutschland – wie bringe ich das zusammen?‟ Oder: „Naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Kunst – wie lässt sich das verknüpfen?‟

Banu hat Energie und Umwelttechnik studiert. Und auch Bassist Elias Ferreria hat einen Ingenieurhintergrund und arbeitet mit biologisch abbaubaren Plastiken. Themen wie Klimawandel und Umweltzerstörung bewegen die Band stark. Doch transportiert Dunya solche Inhalte nicht im Stile eines Vortrags, sondern hochgradig lyrisch. Geradezu auf feinstofflicher Ebene. Sodass die Seele durchdrungen wird. Und der Geist darf folgen. Wie etwa bei dem Song „Toprak‟. 

„Toprak‟ erzählt davon, wie blind wir oftmals für die kleinen Schönheiten der Erde sind. Für den Geschmack von Himbeeren, das Rascheln der Blätter, den steten Fluss des Wassers. In dem sehr eindrücklichen Video badet die Band zunächst in der ruhigen Kraft des Waldes. Zurück in der Stadt bricht sich die Natur jedoch ebenfalls Bahn und ergreift blühend wie wuchernd Besitz von den Menschen. Eine Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit. Daran, dass wir nur zu Gast sind auf diesem Planeten. Aber auch ein starkes Signal, wie Banu erläutert, dass wir nicht losgelöst leben von Flora, Fauna und Klima.

Fortwährender Transfer zwischen verschiedenen Welten

„Mich faszinierend alles, was physisch und biologisch auf dieser Welt passiert, aber auch all das, was wir nicht sehen. Und was trotzdem da ist. Das Metaphysische‟, sagt Banu über ihr Songwriting. Ein Stück wie das driftende „Moonkeeper‟ zeugt von diesen Zwischenzuständen. Halb wach, halb träumend. Inklusive all der Reibungen, die solch ein offenes und transparentes, aber auch verletzliches Stadium mit sich bringt. „Inside my brain / there is a war‟, singt Banu.

„Ich möchte gerne, dass Menschen über unsere Musik zum Nachdenken und Diskutieren angeregt werden‟, erklärt die Sängerin. Deshalb ist es ihr wichtig, dass unter den Videos von Dunya auch die Lyrics zu finden sind, teils vom Türkischen ins Deutsche übersetzt. Der Beitrag der Band liegt für mich unter anderem in diesem fortwährenden Transfer zwischen verschiedenen Welten. Zwischen Stilen und Sounds. Zwischen Sprachen und Sujets. „Wenn Banu auf einer Bühne als Künstlerin über Natur singt ist das eben etwas anderes, als wenn sie darüber als Wissenschaftlerin spricht‟, sagt Gitarrist Christian Lincke, der Dunya gemeinsam mit Keyboarder Dorian Richter komplettiert. Wie groß nun die Wechselwirkung zwischen Pop und Gesellschaft ist, darauf hat Bassist Elias einen differenzierten Blick: „Meines Erachtens ist das ein Feedback-System. Musik gibt Stimmungen in der Gesellschaft wieder. Es gibt jetzt nicht den einen Song, der etwas bewirkt. Aber wenn zum Beispiel mehr Stücke zu Umweltthemen existieren, sickert das in die Gesellschaft ein.‟ 

Kultur im Zeiten des Krieges und die heilsame Wirkung von Musik

Auch in Anbetracht des aktuellen Grauens in der Ukraine sei es elementar, weiter im kulturellen Prozess und Austausch zu bleiben. „Es ist extrem wichtig, weiter Kunst zu produzieren und sich nicht davon abhalten zu lassen, etwas Gutes zu erschaffen‟, erklärt Gitarrist Christian. Zu dem Konzert, dass die Band Anfang März in Hamburg auf der MS Stubnitz gespielt hat, sagt er: „Es ist eine komische Situation, auf die Bühne zu gehen mit dem Wissen, dass dieser Angriffskrieg läuft. Wir haben das Thema auf dem Konzert angesprochen und unsere Einnahmen gespendet.‟ Es geht um das Sicht- und Hörbarmachen. Um den Dialog. Und auch um konkrete Hilfe.

Musik, dass zeigen auch die Lieder von Dunya, kann zudem eine heilsame Wirkung entfalten. Etwa die Nummer „Same Sky‟. Für mich erzählt der Song viel von Empathie. Wie wir alle unter einem gemeinsamen Himmel leben. Und wie das Herz Verbindungen speichert, die zwischen zwei Menschen entstehen durch geteilte Gedanken und geteilte Gefühle. Auch wenn die geliebte Person weit entfernt ist in Raum oder Zeit. Eine positive Grenzüberschreitung.

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