Sophia Kennedy in der Elbphilharmonie – La La Land mit Irritationen

Das Konzert von Sophia Kennedy beginnt mit einem langen elektronischen Driften und Wogen, das Mense Reents am Laptop produziert. Ein Sound, der immer mehr durch die Haut zu drücken scheint. Als solle dieses Intro uns durchlässig machen. Alle kommen aus dem Alltag. Sind noch fest in ihren Rollen und Zuständen. Sind noch voll mit ihren Berufen und Befindlichkeiten. Die Musik weicht mich auf, macht mich transparent, lässt andere Möglichkeiten durchschimmern.

Und dann betritt Sophia Kennedy die Bühne. Sie tapert umher. Als müsse sich auch bei ihr der Tag erst setzen. Sie lässt der Unrast ihren Lauf, bevor sie sich an den Flügel begibt und zu singen beginnt, als sei sie einem alten Film entstiegen. So dunkel und dramatisch und sehnsuchtsvoll und cool und warm. Hollywood im Pudel Club. Dort sind wir zwar nicht an diesem Abend, aber dort verorte ich die Musikerin geistig. Nun also Elbphilharmonie. Kleiner Saal. Ein Konzert in der Reihe „Made in Hamburg“. Und draußen in dieser Stadt Schnee und windige Kälte. Drinnen La La Land und schönste Irritationen.

Sophia Kennedy, Mense Reents und die Goldenen Zitronen

Im Frühling 2017 veröffentlichte Sophia Kennedy ihr selbstbetiteltes Debütalbum bei DJ Kozes Label Pampa Records – gemeinsam mit Mense Reents, der seit dem Jahr 2000 multiinstrumental und technikverliebt bei den Goldenen Zitronen wirkt. Ich muss daran denken, wie ich die Zitronen das erste Mal Mitte der 90er-Jahre in Würzburg sah, noch bevor Mense Reents zu der Band stieß. Ständig tauschten die Musiker ihre Positionen und Instrumente. Nichts schien sicher, alles war großartig. Ein menschenfreundliches Gewitter. Beim Konzert von Sophia Kennedy scheint es mir nun, als habe sich dieser Ansatz verfeinert.

Sophia Kennedy, Mense Reents, Pampa Records, Records, Debut, Elbphilharmonie, concert, Made in Hamburg, RockCityDie Lieder sind Pop. Sie sind eingängig und groß. Und doch brodelt immer etwas verfremdet im Hintergrund. Klänge, die das Wohlgefallen mit Merkwürdigkeiten konterkarieren. Beats, Loops und Samples, die uns verschieben auf andere Positionen, in ungewohnte Blickwinkel.

„Wenn ihr es fühlt“

Sophia Kennedy beginnt mit „Baltimore“, einem Song über ihre Heimatstadt in den USA. Bevor sie nach Hamburg zog. Für den meisten Rest des Sets wechselt sie ans Keyboard. Mit „Dizzy Izzy“ erhöhen Mense Reents und sie das Tempo, die Temperatur. Kratzend, nervös, funky. Ungewohnt sei das, vor bestuhltem Saal zu spielen, sagt Sophia Kennedy. Die Gäste könnten ja aufstehen. „Wenn ihr es fühlt.“ Es seien ja alle frei.

Niemand erhebt sich. Doch mental tanzen alle längst unter der Decke des Saals. Das muss doch so sein bei einer exaltierten Disco-Opern-Nummer wie „Something Is Coming My Way“.

Beats gegen die Schädeldecke

Mein Lieblingsstück von Sophia Kennedy ist „Special“. Eine lakonische Außenseiterhymne. „Being lonely makes you special / but being special makes you lonely too“, singt sie und steigt dabei mit ihrer Stimme tief hinab in die Gefühle, aber auch in die Gelassenheit.

Ich mag Konzerte, bei denen die Musik körperlich spürbar wird. Bei Stücken wie „Build Me A House“ knallen die Beats von Innen gegen meine Schädeldecke. In einem Club ginge diesbezüglich bestimmt noch mehr. Aber auch im edlen Konzerthaus kommt das schon ganz gut.

Der Effekt verstärkt sich noch einmal bei „Kimono Hill“ mit seinem Tribalrhythmus. Der Song mündet in eine Gesangspassage, die wie ein minimaler Gospel in den Saal schallt. Sophia Kennedy erzählt da ganz nah und umwerfend, wie sie sich eine Gitarre kauft, um Liebe zu verbreiten. Sie predigt die Intensität. Den Humor. Das Surreale. Die Coolness.

Ein Anzug mit Tomaten

An diesem Abend trägt sie einen weißen Anzug, der unter anderem mit Tomaten bestickt ist. Ich muss an die aufwendigen Fabrikate denken, die der berühmte Schneider Nudie Cohn für Countrystars wie Gram Parsons, Dolly Parton und Hank Williams gefertigt hat. Mir gefällt diese Showverwandlung sehr gut. Passend dazu singt Sophia Kennedy gegen Ende immer wieder die Zeile: „If I were something different“. Jemand anderes sein. Oder viele. Spoken-Word-Performerin, Chansonette, Popsängerin, Jazzerin, Electrolady, R’n’B-Queen, Pianistin, Komponistin, Maschinenbeschwörerin, Traurige, Tröstende, Tanzende, Tomatenträgerin.

Mit all den musikalischen Versatz- und Schmuckstücken der Sophia Kennedy gehen wir durch das Schneewehen nachhause. Und die Welt, sie wirkt ein wenig aufgelöst.

Follow my blog with Bloglovin