Music Business Summer School: Wie funktioniert Marketing im Pop?

Das fröhliche Pop-Remmidemmi namens Reeperbahn Festival steht vor der Türe — mit seinen mehr als 900 Programmpunkten von Live-Musik über Posterkunst bis hin zu Film. Ich bin dieses Jahr erstmals auch als Moderatorin dabei und bin schon äußerst gespannt auf meine Gesprächsgäste. Doch bevor die große Popsause vom 18. bis 21. September auf St. Pauli steigt, lädt die Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft, kurz IHM, im nun mehr siebten Jahr zu seiner Music Business Summer School. 

Eine Woche lang bieten Profis aus dem Musikgeschäft maßgeschneiderte Seminare und Workshops. Und da die jeweiligen Kurse mit maximal 20 Leuten extra übersichtlich gehalten werden, entstehen schnell anregende Diskussionen. Ich bin großer Fan davon, wenn geballt Know-how zusammenkommt und ein offener Austausch möglich ist. Von daher freue ich mich, dass die IHM mich auch in diesem Jahr als Gasthörerin für einen Tag eingeladen hat. Über meinen ersten Besuch bei der Music Business Summer School habe ich im vergangenen Jahr bereits auf dem Blog geschrieben. 

Music Business Summer School: aus der Branche für die Branche

Ort und Struktur sind gleich geblieben: Erneut kooperiert die IHM mit der Hamburger Media School und nutzt die einladend hellen Räume an der Finkenau. Und wie 2018 befasst sich die Music Business Summer School parallel mit drei Bereichen des Popgeschäfts: Labelarbeit und Vertriebsmangament (Recorded Music), Veranstaltungswirtschaft (Live Entertainment) und Musikverlagswesen (Music Publishing).

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Diese Weiterbildungswoche funktioniert nach dem Prinzip: „aus der Branche für die Branche“. Von daher kommt auch auf Teilnehmerseite bereits reichlich Erfahrung zusammen: Die meisten arbeiten bei Plattenfirmen oder Konzertagenturen, in der Promotion oder in Clubs. Oder sie befinden sich mitten in der Ausbildung und holen sich eine extra Portion Wissen aus erster Hand. 

Marketing bei Warner Music mit Larissa Lüters

Ich habe mir einen Tag ausgesucht, an dem das Thema Marketing im Mittelpunkt steht. Mir gefällt an diesem Bereich, dass das Traditionelle fortwährend mit dem Innovativen kombiniert werden muss. Am Vormittag spricht Larissa Lüters, Senior Brand Manager bei Warner Music, zwei kurzweilige Stunden über ihre Arbeit.

Music Business Summer School, Hamburg Media School, IHM, Tik Tok, Twitch, Marketing, Music Promotion, Pop, Business, Apps, Digital Marketing, Social Media, Workshops, classroomsDas klassische Denken von Albumveröffentlichung zu Albumveröffentlichung sei längst aufgebrochen. Bei Rockbands wie Linkin Park, Slipknot und Panic! At The Disco, die zu Larissas Portfolio gehören, gehe es vielmehr darum, konstant am Aufbau der künstlerischen Marke zu arbeiten. Und das geschieht mit einer Vielzahl von Aktionen, die sich aufgrund der Digitalisierung zunehmend komplexer gestalten. 

Beruhigend zu hören: Auch im Marketing lautet die Devise nicht zwingend „viel hilft viel“. Zunächst gelte es, so erzählt Larissa, die Entfaltung einer Band aufmerksam zu beobachten. Entwickelt sich ein Song — zum Beispiel in den USA oder Groß Britannien — zum Hit, sei das einer von vielen Hinweisen darauf, nun auch im Bereich Deutschland / Österreich / Schweiz aktiv zu werden. 

Von klassischer Pressearbeit bis zum LiveStreaming-Videoportal Twitch

Larissa erläutert, wie sich eine Marketingkampagne planen lässt. Und welche Fragen sich dabei stellen. Welches Produkt möchte ich überhaupt verkaufen? Eine einzelne Single oder ein Album? Welches Ziel verfolgen Künstler und Team langfristig? Welches Budget habe ich? Und wie viel Zeit? Ausführlich stellt Larissa ihren Marketing-Werkzeugkasten vor — von Offline-Maßnahmen wie Plakatierung, Print-Anzeigen und Fan-Events über klassische Pressearbeit bis hin zur stetig wachsenden Zahl von Online-Möglichkeiten. Neben Standard-Social-Media-Plattformen wie Facebook und Instagram geht sie intensiver auf das Live-Streaming-Videoportal Twitch ein. 

Hauptsächlich wird Twitch genutzt, um live Gaming-Sessions zu übertragen — inklusive Kommentierung durch Spieler und Zuschauer. Ein hochgradig interaktives Format, in dem sie Musik sehr zielgerichtet platzieren könne, erklärt Larissa. So lasse sich zum Beispiel filtern, ob ein Song nur bei Minecraft oder etwa überhaupt nicht bei Ballerspielen eingesetzt werden solle. Aber auch im reinen Musikbereich findet Twitch bereits Anwendung. DJs veröffentlichen live ihre Sets, Bands zeigen ihre Proben und Musikfans streamen ihren Besuch bei Festivals.

Beispiel: die Popband Kaleo und ihre Single „Way Down We Go“

Eine Plattform wie Twitch eignet sich natürlich nicht zur Vermarktung jedes Genres. Am Beispiel des Warner-Acts Kaleo zeigt Larissa, wie deren Single „Way Down We Go“ über die TV-Serie „Blindspot“ erfolgreich wurde. Messbar daran, dass zahlreiche Fernsehzuschauer den Song noch während der Ausstrahlung über den Erkennungsdienst Shazam abgerufen hätten. Neben der steten Analyse solcher Zahlen sei jedoch das Bauchgefühl nach wie vor wichtig, betont die Marketing-Expertin.

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In der Mittagspause versammeln sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Music Business Summer School auf dem Balkon, der alle Seminarräumen säumt. Die Sonne scheint. Und das Catering hat Zutaten für leckere Bowls bereitgestellt. Zeit, das Gehörte sacken zu lassen. Und sich zu unterhalten. Ich setze mich zu zwei tollen umtriebigen Ladies, die ich schon länger aus der Hamburger Musikszene kenne. 

Vorteile der Music Business Summer School: lernen und netzwerken

Imke Machura betreibt das Netzwerk Raketerei, das Popkünstlerinnen beim Einstieg in die Branche unterstützt. Und sie arbeitet seit fünf Jahren gemeinsam mit dem Jazzposaunist Nils Wogram für dessen Label nWog Records, unter anderem als Produktmanagerin. „Ich habe mir alles selbst beigebracht. Ich nutze die Music Business Summer School, um zu überprüfen, ob ich irgendwo blind spots habe, ob ich also etwas übersehe in meiner Arbeit. Und natürlich bin ich zum Netzwerken hier“, erzählt Imke gut gelaunt. Sie überlegt, sich nächstes Jahr für den Bereich Musikverlagswesen einzuschreiben. 

Julia Nordholz ist DJ, Schauspielerin, Moderatorin, Kulturwissenschaftlerin, Projektmanagerin und seit neuestem Sprecherin des VUT Nord, dem Verband unabhängiger Musikunternehmen. „Mir gefällt vor allem das entspannte Klima, sich auszutauschen. Über die einzelnen Bereiche hinweg können wir über Gemeinsamkeiten und Defizite sprechen“, sagt Julia über die Music Business School. Sie treibt vor allem die Frage um: „Wie lassen sich Independent-Firmen am Musikstandort Hamburg besser unterstützen?“ 

Bereits diese kurze Begegnung zeigt, wie engagiert bei der Music Business Summer School Themen diskutiert werden. Und ein wenig Klassenfahrtsgefühl darf natürlich auch nicht fehlen. So erfahre ich zudem, dass jenseits des Kursprogramms gemeinsame Ausflüge wie eine Barkassenfahrt auf der Elbe oder ein Musikquiz im Gängeviertel anliegen. Doch zunächst gilt es, am Nachmittag weitere Einsichten in die Popbranche zu gewinnen.

Marketing im Live Entertainment mit Experten von FKP Scorpio

Im Bereich Live Entertainment sprechen Katja Wittenstein und Dario Dumancic von der Hamburger Konzertagentur FKP Scorpio über Veranstaltungsmarketing. Die Firma wurde 1990 von Folkert Koopmans gegründet und hat mittlerweile neben Deutschland Büros in sieben weiteren Ländern mit insgesamt 200 Mitarbeitern. FKP ist eine Tochtergesellschaft des Ticket-Unternehmens CTS Eventim und zählt zu den größten Festivalveranstaltern Europas. Ich finde es extrem aufschlussreich, direkten Input aus solch einem hoch professionalisierten Kontext zu erhalten. 

Allein Katjas Vita zeigt, wie sehr sich der Live-Sektor gewandelt hat: Vor 15 Jahren hat sie bei FKP angefangen, damals als „eierlegende Wollmilchsau“, wie sie erzählt. Mittlerweile  hat sich ihr Aufgabenfeld stark fokussiert: Sie ist Director Marketing mit einem Team von 21 Leuten. Dazu gehört seit fünf Jahren auch Dario als Head Of Digital Marketing. 

Welche Kampagnen funktionieren — und welche nicht?

Mir gefällt sehr gut, wie anschaulich und vor allem humorvoll die beiden einen Überblick geben über ihr Gebiet. Katja schlüsselt auf, wer welche Medien nutzt und wie sich so mit dem Marketing entsprechend andocken lässt. Sympathisch: Nach dem Prinzip „aus Fehlern lernen“ zeigen die zwei auch, welche Aktivitäten nicht so gut funktioniert haben. So führte etwa eine TV-Kampagne für die FKP-Festivals Hurricane und Southside 2019 nicht zu gesteigertem Kartenverkauf, obwohl mit The Cure und den Foo Fighters durchaus eine ältere (noch Fernsehen schauende) Zielgruppe zu erreichen gewesen wäre. 

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Bei den vielen Marketing-Beispielen aus dem analogen Bereich, die Katja gibt, finde ich ihre Ausführungen zu den so genannten City Lights besonders interessant. Ich persönlich nehme die beleuchteten Werbeträger im Stadtbild genauso wahr wie geklebte Papierplakate an Bauzäunen. Katja berichtet jedoch, dass die City Lights eine deutlich höhere Werbewirkung erzielen würden als klassische Poster. Zudem fungieren sie — wie etwa eine 360-Grad-Animation von Greenpeace zeigt — als Schnittstelle hin zum Digitalen. 

Konkrete Tipps fürs digitale Marketing

Und somit sind wir an diesem Nachmittag bei der Music Business School in Darios Domäne angelangt. Seine Schilderungen veranschaulichen eindrücklich, wie sehr sich das digitale Marketing in den vergangenen Jahren diversifiziert hat. Gefühlt hätte er eine Woche sprechen können über Webseiten und E-Mail-Marketing, über Apps und Social-Media-Plattformen — und wie sich mit ihnen bis in den Mikrobereich hinein Zielgruppen ansteuern lassen. 

Toll finde ich, dass Dario zahlreiche konkrete Tipps gibt, was aktuell wichtig ist für digitales Marketing: Daten pflegen und analysieren, aber den gesunden Menschenverstand dabei nicht ausschalten. Verstärkt Bewegtbild auf verschiedenen Kanälen anwenden. Zudem gelte: Frequenz ist nicht alles, Ästhetik und Inhalt führen häufig nachhaltiger zum Ziel. Und Dario motiviert dazu, neugierig zu sein auf den steten Wandel, der sich online ereignet. So stellt er auf Nachfrage aus dem Kurs TikTok ausführlicher vor.

Die App TikTok: Adele-Challenge mit Gummibärchen

Dreh- und Angelpunkt der chinesischen App sind die sogenannten Challenges, die durch Hahstags verbreitet werden. Bekannt ist zum Beispiel die Adele-Challenge: Ihr Hit „Someone Like You“ wird da von Usern mit Gummibärchen, Avengers-Figuren oder Getränkedosen nachgestellt. Ein weitere Besonderheit bei TikTok sei der Ansatz, dass man die Plattform auch komplett ohne Registrierung nutzen kann und anderen Accounts nicht folgen muss, um die Inhalte zu konsumieren, erläutert Dario. 

Seine abschließende Erkenntnis lässt sich bestens auf verschiedene Lebensbereiche anwenden: „Es gibt nicht die eine Wahrheit. Also recherchiert, bildet Euch weiter und seid vor allem mutig, Dinge auszuprobieren.“ 

Ich jedenfalls bin auch nach meinem zweiten Besuch sehr angetan von der großen Praxisnähe und konstruktiven wie inspirierenden Atmosphäre bei der Music Business Summer School. Und ich bin gespannt, wie sich das Projekt in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird. 

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