Das Reeperbahn Festival steht kurz bevor. Längst sind diese vier Tage und Nächte auf St. Pauli nicht nur von Konzerten geprägt, sondern sie bilden mit Konferenzteil und Showcases auch einen wichtigen Treffpunkt für die Popbranche. Ich freue mich schon sehr darauf, derart geballt jede Menge musikverrückte Menschen zu treffen. Das wird ein toller pop-verliebter Ausnahmezustand.
Im Vorfeld dieser schönen Reizüberflutung namens Reeperbahn Festival existiert in Hamburg seit sechs Jahren die Music Business Summer School. An sechs Tagen beschäftigen sich da Akteure aus dem Musikgeschäft in Seminaren intensiv mit den aktuellen Entwicklungen ihrer Branche. Die Dozentinnen und Dozenten kommen mitten aus der Praxis. Das heißt: Neben professionellen Erkenntnissen und Theorien, Arbeitsweisen und Strategien können sie auch viele Tricks und Kniffe weitergeben.
Ich bin Fan von lebenslangem Lernen. Von daher finde ich die Idee großartig, mit solch einer jährlichen „Schulwoche“ im eigenen Metier am Ball zu bleiben und sich austauschen zu können. Ich freue mich daher sehr, einen Tag als Gasthörerin an der Music Business Summer School 2018 teilzunehmen.
Module in Publishing, Live-Entertainment sowie Label- und Vertriebsarbeit
Der Veranstalter, die Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft, kooperiert mit der Hamburg Media School. Das hat den sehr schönen Vorteil, dass die Seminare in deren charmantem Backsteinbau an der Finkenau stattfinden. Klar, es lässt sich überall lernen. Aber auf so einem Campus mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften sowie der Miami Ad School in Sichtweite komme ich direkt viel mehr in kreative und konzentrierte Stimmung.
Die Music Business Summer School startete 2013 mit dem Bereich Publishing, der sich mit Verlagsmanagement beschäftigt. Im vergangenen Jahr kam das (boomende) Segment Live Entertainment, also das Konzertgeschäft hinzu. Ganz neu ist der Zweig Recorded Music, der sich mit Label- und Vertriebsarbeit befasst. Und den ich als erstes besuche.
Marketing lernen von Major- und Indie-Labels
An diesem Vormittag steht beim Recorded-Music-Modul der Music Business Summer School das Thema Marketing auf dem Programm. Maria Kramer, die bei Sony Music / Columbia als Head Of Marketing für den Sektor Dance zuständig ist, steht mit ihrer Arbeit dafür, wie sich die Aufmerksamkeit weg vom Album hin zum einzelnen Song verschiebt. Zwar fokussiert sich die elektronische Tanzmusik schon lange auf einzelne Tracks, die auf dem Dancefloor gut ankommen. Aber das Streaming mit seinen Playlisten hat diesen Trend extrem intensiviert.
Zu Marias Track-Marketing im Genre Dance, aber auch in den Bereichen Rap, Urban und Pop gehört daher auch die genaue Analyse, wann ein Titel wie häufig wie lange gestreamt wurde, wie sich einzelne Videos auf Youtube entwickeln, wie häufig ein Song im Radio gespielt wird, wie oft Hörer den Track über Shazam abfragen und und und. Hinzu kommen Auswertungen der Social-Media-Kanäle des Musikers. Diese Daten dienen dazu, das Potenzial des Künstlers sowie dessen Fan-Struktur zu ermitteln. Vor allem aber kann die Marketing-Abteilung mit Hilfe dieses Monitorings fortwährend laufende und kommende Kampagnen optimieren.
Solche daten-getriebenen Kampagnen mögen dem intuitiv agierenden Popfan erst einmal unromantisch erscheinen. Aber letztlich geht es ja im besten Fall darum, dass der Musiker gehört wird und seinen Lebensunterhalt verdienen kann. „Der Künstler sollte immer im Mittelpunkt stehen.“ Diese Aussage stammt von Nina Stepanek, Deputy Director Marketing International bei Warner Music, die anhand von Superstar Ed Sheeran sehr anschaulich deutlich macht, wie vielfältig eine Marketing-Kampagne im Pop abläuft. Diesmal für ein Album, das je nach Genre zum Glück doch noch seine Hörer findet.
Die Kampagne zu Ed Sheerans Album „÷“
Seit 23 Monaten läuft die Kampagne zu Ed Sheerans Album „÷“ nun, erläutert Nina. Angefangen mit einem Showcase in Hamburg im November 2016 über den Vorverkaufsstart zur Tour bis zu digitaler Anzeigenschaltung sowie Video- und Instagram-Aktionen. Dass eine Kampagne so lange so hochtourig läuft, sei ungewöhnlich, erzählt Nina. Bei einem wie Ed Sheeran, der vom Singer-Songwriter in Pubs einen erstaunlichen Aufstieg hingelegt hat, funktioniert aber offenbar einiges anders.
Sehr interessant finde ich zum Beispiel, dass vor dem Album zwei Singles gleichzeitig veröffentlicht wurden – „Shape Of You“ und „Castle On The Hill“. Spannend ist zudem die Überlegung, mit „÷“ im Marketing mehr in die Breite zu gehen und die etwas älteren Hörer abzuholen, nachdem Warner Music mit dem Vorgängeralbum „ד offensichtlich bereits eine junge Zielgruppe erreicht hatte. Die Plattenfirma kooperierte zu diesem Zweck verstärkt mit dem Medium Fernsehen, in diesem Fall unter anderem mit dem Sender Vox, wo Ed Sheeran in kleinen Clips vor und nach den Werbeblöcken erschien.
Überrascht hat mich, mit welchem Feingefühl das Marketing betrieben wird. „Bei der Ed-Sheeran-Kampagne ist ständig etwas passiert. Wir haben aber auch sehr genau die Social-Media-Kommentare beobachtet, um zu sehen, ob wir zu viel Input produzieren, also ob wir zurückfahren müssen, um Luft zu schaffen“, erklärt Nina.
Als kleineres Label mit Glaubwürdigkeit punkten
Sehr gut gefällt mir, dass im Wechsel mit Nina, die ja ein Major Label vertritt, eine Plattenfirmenchefin aus dem Indie-Bereich spricht. Marit Posch ist studierte Juristin und hat klassischen Gesang studiert, bevor sie anfing, im Electro-Bereich zu arbeiten. Das ist – nebenbei bemerkt – etwas, das ich an der Musikbranche sehr liebe: Es gibt keinen Parade-Einstieg ins Business. Und viele Menschen im Pop kommen mit spannenden Biografien um die Ecke, die ich so nicht erwartet hätte.
Marit ist Mitbetreiberin von Monkeytown Records, die unter anderem den Electro-Act Modeselektor veröffentlichen. Sie erläutert, dass sie drei Viertel der Aufgaben, die bei einem großen Label auf verschiedene Abteilungen verteilt werden, selbst erledigt. Etwa Media-Kooperationen und Streaming-Management. Zwar analysiere sie auch Daten, aber längst nicht so umfangreich wie ein Major. Dafür reichen die Kapazitäten einfach nicht aus.
Doch obwohl sie viel spitzer kalkulieren müsse, gebe es eben auch effektive Marketing-Mittel, die im Electro-Bereich eine gute Wirkung erzielen. Remixe anderer Künstler zum Beispiel. Zudem könne ein Indie-Label stärker mit Glaubwürdigkeit punkten und sich so selbst als Marke aufbauen. Das sei das große Ziel: Dass Fans die Platten wegen des Labels kaufen, das als eine Art musikalisches Gütesiegel fungiert.
Nach diesem kompakten und informationsreichen Seminarblock ist bei der Music Business Summer School eine knackige Mittagspause angesagt. Die Teilnehmer, die selbst im Booking, bei Veranstaltern oder Verlagen und bei Plattenfirmen arbeiten, treffen sich auf dem sonnendurchfluteten Balkon der Hamburg Media School zu Essen und Kaffee, zum Durchpusten und Reden. Eine anregende Atmosphäre.
Arndt Scheffler von white label eCommerce spricht über Ticketing
Am Nachmittag geht es für mich in der Music Business Summer School weiter mit dem Bereich Live Entertainment. Und mit einem Vortrag von Arndt Scheffler, der 2012 die Firma white label eCommerce mitbegründet hat. Das Hamburger Unternehmen ist spezialisiert auf verschiedene, individuell zugeschnittene Lösungen, um online Tickets zu verkaufen. Dementsprechend referiert Arndt über das Ticketing und dessen Entwicklungen.
Natürlich sei eine technisch einwandfrei laufende Benutzeroberfläche entscheidend für Ticketverkäufe. Keiner sitzt schließlich gerne vor einer Server-Fehlermeldung. Aber was für ihn entscheidend ist: der Content. Der Erfolg liegt für Arndt ganz klar darin, dass verschiedenen Partner vom Künstler über das Management bis hin zum Veranstalter noch enger zusammenarbeiten, um zielgruppenspezifische Angebote zu machen.
Als innovatives Beispiel nennt er die Beautymesse Glow, die kontinuierlich mit ihrer Fanbase kommuniziere. Und die nicht nur Tickets für die jungen Besucherinnen der Messe anbietet, sondern auch Karten für eine Entspannungslounge, in der die Eltern verweilen können.
Ein Fazit der Music Business Summer School: keine Angst vor Veränderung
Die Zukunft liegt für Arndt zudem ganz klar im Digitalen, vor allem in Ticket-Apps auf dem Smartphone und – weiter noch – im Bereich künstliche Intelligenz. Und wie die Marketing-Frauen zuvor ist er ein regelrechter Analyse- und Auswertungsfreak. Für ihn sind diese Tools ein Mittel, um aus Fehlern zu lernen, um reagieren zu können, um sich zu verbessern und um wach zu bleiben.
Sein Credo ist es, nicht an bewährten Strategien festzuhalten und keine Angst vor Veränderung zu haben. Das finde ich überaus inspirierend. Natürlich wird auch sehr viel Unsinn mit neuer Technologie angestellt. Aber dieser positive Ansatz gefällt mir sehr gut, da er über rein daten-getriebenes Verhalten dann doch wieder beim Menschen landet. Und im besten Fall bei der Musik.