Acht Stunden Inspiration: „Burger Invasion“ im Molotow

Ich liebe das Molotow. Vor allem, wenn in dem Club auf St. Pauli ein Festival stattfindet. Wenn also auf allen drei Stockwerken Bands spielen und DJs auflegen. Ich fühle mich dann immer wie in einem Pop-Zauberwürfel. Ständig wechseln die Ebenen, die Farben, der Sound. Kästchen für Kästchen, Raum für Raum, Bühne für Bühne gilt es zu erkunden. Und bei jeder Bewegung ergeben sich neue Kombinationen, andere Muster, ungewohnte Einblicke. Sehr schön ist das. Eine Art aufregende Geborgenheit.

Burger Invasion, Burger Records, Label, Festival, Molotow, Club, St. Pauli, Hamburg, Merchandise, Flyer, Records, Tapes An diesem Samstag öffnet das Molotow seine Türe für die „Burger Invasion“. Zwar gibt es im Hinterhof tatsächlich Bulettenbrötchen vom Team des nahe gelegenen Lokals Grilly Idol. Doch der Name stammt eigentlich von der 2007 gegründeten kalifornischen Plattenfirma Burger Records, die für feinen Schrammel- und Schlonzrock sowie herzöffnenden Powerpop steht. Die Hamburger Veranstalter Sebastian Tim und Timotheus Wiesmann sind Fans des Labels, das seine Musik bevorzugt auf Kassetten veröffentlicht.

Sofort muss ich daran denken, wie ich in den 80er- und 90er-Jahren mit meinen TDK-Tapes an der Stereoanlage meiner Eltern sitze, um Musik von Freunden zu überspielen, Songs aus dem Radio aufzunehmen oder Mixe zu machen und um Cover zu basteln. Die ganze Sache spricht meine nostalgische Seite an und verströmt zudem ein sehr sympathisches Flair von Do-It-Yourself-Kultur.

„Burger Invasion“, Komplizenschaften weit über die Stadtgrenzen hinaus

Sebastian Tim und Timotheus Wiesmann jedenfalls haben im Austausch mit den Burger-Records-Gründern Sean Bohrman and Lee Rickard nun zum zweiten Mal ein Programm mit lokalen und internationalen Bands zusammengestellt – eben die „Burger Invasion“. Mir gefällt es sehr gut, wie da Komplizenschaften weit über die Stadtgrenzen hinaus geknüpft werden. Ein gutes Mittel, damit die Popkultur in Hamburg nicht im provinziellen Lokalpatriotismus versandet.

Bereits draußen vor dem Club am Ende der Reeperbahn kündet ein Poster von der großen Sause: Ein Burger sendet wie ein Raumschiff in einschlägigen Science-Fiction-Filmen einen Lichtstrahl auf die Erde. Ich muss sehr lachen über dieses größenwahnsinnige wie angenehm spackige Artwork. Gut gelaunt entern wir also am Nachmittag das Molotow – um den Laden acht Stunden später wieder zu verlassen. Ein Clubbesuch als Tagwerk. Eine Schicht lang Shows und Schnacken, Menschen und Magie, Treppen auf und ab, an die Bar, aufs Klo, in den Hinterhof, Luft schnappen, Leute treffen, Gucken und Lächeln, Hören und Driften, Spüren und Tanzen.

Lichtscheues Gesindel wollen wir sein

Wir gleiten sanft hinein in die Invasion mit My Friend Peter aus Graz, die in der Skybar im zweiten Stock einen entschleunigt groovenden Pop mit hübsch verpeilter Aura spielen. Die Sonne scheint prall durch die Fenster. Unten zieht der Kiez grell vorbei.

Burger Invasion, Burger Records, Label, Festival, Molotow, Club, St. Pauli, Hamburg, Band, Juniore, France, Sixties, Rock Bei den Franzosen von Juniore im Erdgeschoss-Saal zieht dann doch jemand die Vorhänge zu. Passt auch besser zu dem sixties-inspirierten Psychedelic-Rock des Trios. Lichtscheues Gesindel wollen wir sein. Und die Band hat ohnehin ihre eigene Sonne mitgebracht. Der Keyboarder und Gitarrist trägt eine goldene Maske, die ins nachmittägliche Dunkel hinein funkelt. Die Kasseler Combo Catch As Catch Can wiederum macht im Karatekeller ohnehin vergessen, dass draußen noch Tag ist. Garagenrock in der räudigsten Ecke des Pop-Zauberwürfels. Angekommen im Ausgehmodus.

Feinripp-Remmidemmi mit Blondie-Charme

Immer weiter lassen wir uns verwirren und durchströmen von der Vielfalt, dem Krach, dem Schillernden der Musik. Toller eruptiver Gesang von der Formation Erregung Öffentlicher Erregung aus Hamburg und Berlin. Roher Rock ’n‘ Roll-Schub an nackter Haut von der Rotterdamer Band Iguana Death Cult. Und linkische Lieblichkeit mit den hyperharmonischen Popmelodien der New Yorker Cut Worms. Zudem eine einnehmende Wolke aus Hall von den Texanern Holy Wave. Hochtouriger Punkrock mit gutem Schreifaktor von Häxxan aus Tel Aviv. Und Feinripp-Remmidemmi mit Blondie-Charme der Abriss-Rock ’n‘ Roller Amyl And The Sniffers aus Australien.

Burger Invasion, Burger Records, Label, Festival, Molotow, Club, St. Pauli, Hamburg, Band, Garagerock, Rick McPhail, Frehn Hawel Eine spannende Entdeckung, die der Pop-Zauberwürfel Molotow für mich bei der „Burger Invasion“ hervorbringt: Tocotronic-Gitarrist Rick McPhail kann vorzüglich Schlagzeug spielen und präsentiert gemeinsam mit Hamburgs Frehn Hawel einen famos krachenden wie akzentuiert wütenden Garagenrock im Karatekeller. Hawels Tipp: „Nie das Handtuch vergessen bei einem Auftritt in dieser Schwitzbude!“

Fenster, eine sanft Grenzen sprengende Band

Restlos begeistert mich das Konzert von Fenster in der Skybar, eine sanft Grenzen sprengende Band aus Deutschland, den USA, Frankreich und England. Ich finde es unfassbar interessant, diesem Quartett zuzuhören, wie sie da eine Popmusik produzieren, die schwelgerisch betört und sphärisch entführt, die Tempi wechselt und Pausen lässt, in denen die eigenen Assoziationen atmen können. Das Fenster weit offen. Humorvoll, einfallsreich, wunderschön. Hinter mir stehen einige Typen, die in regelmäßigen Abständen fasziniert ein einziges Wort wiederholen: „geil“. Stimmt.

Hinzu kommt: Sängerin JJ Weihl lebt in New York. Und wenn ich mir die so heiß geliebte Stadt als Mensch vorstellen sollte, käme vermutlich solch eine eigensinnige und hoch charismatische Person dabei heraus. Wie sie dasteht mit ihrem weiß-rosa gestreiften Kleid und ihren weißen Boots und dem halb blonden Haar. Plus ihr facettenreicher Gesang – geil.

„Labskaus, Diggi!“

Aus diesem Himmel geht es dann noch einmal hinab in den Keller, zum amüsanten wie durchpustenden Abschluss dieser irrlichternden Invasion. Das Duo Swearing At Motorists aus Dayton, Ohio / Hamburg ist ein Gitarre-Schlagzeug-Inferno, das nicht nur mit wilden Songs über Pizza und Liebe besticht, sondern auch durch komödiantisches Potential. „Labskaus, Diggi!“ Diesen freudigen Ausruf von Sänger Dave Doughman möchte ich mir auf ein T-Shirt drucken lassen. Auf seiner Brust wiederum prangt ein alt vertrauter Spruch: „Ich bin neu in der Hamburger Schule“. Genau. Und es gibt Bier als Pausenbrot. Bei dieser Tages- und Nachtschicht „Burger Invasion“ im Molotow. Satt und glücklich radeln wir nach Hause.

Follow my blog with Bloglovin