Wie kommen eigentlich neue Bands in mein Leben? Auf vielen Wegen, klar. Aber meistens tauchen sie schlichtweg auf in der eigenen (zugegebener Maßen auf Pop fokussierten) Wahrnehmung. Ein Freund postet ein Video auf Facebook. Eine Freundin erzählt von einer Vorband, die sie gesehen hat. Ich lese erste kleine Sympathiebekundungen auf Blogs und in den sozialen Netzwerken. Da beginnt etwas zu kursieren.
Im „New Yorker“ gibt es die schöne Rubrik „The Talk Of The Town“ mit Notizen, Neuig- und Merkwürdigkeiten. Und dieses Stadt- oder Szenegespräch findet durchaus auch in Hamburg statt. Wenn etwas brodelt. Oder sachte wächst. Und ich liebe es, dieses Gefühl von Anfang, Aufregung und auch Risiko mitzuerleben, das dieser Phase innewohnt. Aus diesem Grund schaue ich mir wahnsinnig gerne Bands an, die ich neu für mich entdeckt habe. Die noch unbekannter sind. Die gerade erst aufbrechen in dieses weite Feld namens Öffentlichkeit. In mir regt sich dann eine Mischung aus Entdeckergeist und Mitfiebern. Hinzu kommt die Magie des Noch-Nicht-So-Routinierten.
Herr D.K. – trunkene Qualität
Ich freue mich daher sehr auf diesen Donnerstagabend im Knust, in dessen Café gleich zwei Hamburger Bands spielen, die ich bereits eine Weile auf dem Zettel habe: Herr D.K. und Botschaft.
Auf Herr D.K. stieß ich Anfang des Jahres über ihr Video zu dem Song „Weißt du wieso“ – ein schöner Schwarz-Weiß-Clip, der auf einem Live-Auftritt im Molotow basiert. Allein wegen der Location war mein Interesse natürlich schon einmal geweckt. Aber nicht nur deshalb.
Da war dieser Sound zwischen Erschöpfung und Zuversicht. Wie ich als Hörerin mit der dunklen Stimme des Sängers hinein schlurfen kann in den Song, um dann mit den Gitarren schneller mitzulaufen. Dazu die nachdenkliche, rätselhafte Lyrik. „Wenn du dich aus dir selbst vertreibst“ heißt es da. Und „Bier wird langsam zu Champagner.“ Die dekadente Variante von „Wasser zu Wein“. Das gefällt mir.
Die Nummer „Weißt du wieso“ spielt Herr D.K. an diesem Abend im Knust als erstes. Ein sehr guter Start. Ich hatte die Band bereits im Sommer bei den „Knust Acoustics“ in der reduzierten Variante erlebt. Jetzt komplett zu fünft und verstärkt auf der Bühne hat ihr Sound einen fein justierten Wumms. Der tiefe Gesang besitzt eine trunkene Qualität. Lavieren durchs Leben. Mit der Innenschau nach Außen gehen. Was ist das? Indie-Chanson, Kaschemmen-Folk, Schlendrian-Rock? Ich gehe da jedenfalls gerne mit.
Botschaft – keine Parolen, keine blöden
Der Auftritt von Herr D.K. mit seinem dunklen Charisma ergänzt sich sehr gut mit der ersten Band des Abends, Botschaft. Ich fühle mich ein wenig so, als würde ich musikalisch vom Spätsommer in den Herbst geleitet. Botschaft mit ihren hellen Gitarrenläufen, mit dem hohen Gesang, mit ihrer ganzen Popverliebheit driften hinüber auf die sonnenbeschienene Seite der Melancholie.
In der Tradition von Popbands mit Anspruch wie Die Sterne loten sie aus, wie sich das Ich im Kollektiv bewegt, wie es sich positioniert und manipuliert, wie es scheitert und strebt. Da äußert sich ein Unbehagen. Aber keine Parolen, keine blöden. Sondern klug gedacht und komplex gemacht.
Wie einst bei der so genannten Hamburger Schule bin ich angetan davon, wie sich unsexy deutsche Worte mit einem Groove kombinieren lassen. Als solle das Herz heavy pulsieren, aber das Hirn dann bitte doch noch mitdenken. „Herrschaftsfrei“ ist solch ein schön sperriges Wort. „Man kann vom Bedürfnis abstrahieren“ ist solch ein Satz. Zu finden ist er in dem Song „Niederlage“, über dessen Video ich vor einiger Zeit erstmals auf die Band aufmerksam wurde.
Bundesjugendspiele, Schützenfest, Subkulturerweckung
Wirklich berührt hat mich jedoch der neue Clip zu der Nummer „Sozialisiert in der BRD“, ein Zusammenschnitt aus Homevideos von Sänger und Gitarrist Malte Thran aus den 80er- und 90er-Jahren sowie TV-Schnipseln von MTV bis Zapfenstreich, von Kohl bis Lilo Wanders. Bundesjugendspiele, Schützenfest, Subkulturerweckung. Gemeinsam mit der Musik ist das keine Ha-Ha-Retro-Show im Best-Of-Format, sondern eher eine funky flirrende Reflexion, wohin das eigene Aufwachsen führt. „In die Karrieren sortiert“ ist eine Formulierung, die hängen bleibt.
Mir versetzt das beim Anschauen einen nostalgischen Stich. Szenen steigen auf, an die ich lange nicht gedacht habe. Weihnachtsfeste mit Musikvortrag. Die Identität zusammen puzzeln im Medienkonsum. Die Wurschtigkeit der Pubertät. Das Behütete als Privileg und das Überdenken desselben. Und ich muss an eine Freundin denken, die im Osten aufgewachsen ist. Wie selbstverständlich lebe ich eigentlich mit meinem westlichen Blick? Ich bin froh, wenn Kunst derart anregend ist.
Komplizenschaften im Popleben
Das Tolle an diesem Abend ist zudem, wie sich das Hamburger Popleben stets weiter fortschreibt. Und das auch mittels Komplizenschaften. In beiden Bands spielen diverse Musiker, die auch in andere Projekte involviert sind oder waren. Bei Herr D.K. etwa Timo Meinen von der ehemaligen Punkrockband Findus am Schlagzeug, bei Botschaft am Bass Peter Tiedeken, einst bei Station 17 und The Robocop Kraus.
Herr D.K. hat soeben seine EP „Zwischen uns“ veröffentlicht, Botschaft bringt Anfang 2019 ihr Debütalbum heraus. Ich bin und bleibe gespannt.
Das Konzert ist für die Reihe „RockCity On Air“ mitgeschnitten worden und geht am 7. November bei NDR Info auf Sendung.