Warum am ersten Tag in Seoul nicht direkt ein Musikfestival besuchen? Ich kaufe mir also beim 7-Eleven-Convenience-Store eine T-Money-Card für die Subway. Verziert mit drei niedlichen Charakteren der Line Friends, einer vom Designer Kang Byeong Mok entwickelten Cartoon-Reihe. Popkultur steckt in Korea in jedem Detail. Einmal die Karte aufs Drehkreuz aufgelegt. Und los geht die Fahrt ins super hippe wie gehypte Stadtviertel Hongdae. Auf zur Mu:con! Organisiert wird diese Kombination aus Musik-Konferenz und Showcase-Festival von der KOCCA. Die Korea Creative Content Agency ist eine öffentliche Einrichtung, die dem Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus untersteht. Sie wurde 2009 mit dem Ziel gegründet, Koreas Popkultur in den Bereichen Musik, Mode und Entertainment zu fördern. Das Aushängeschild Mu:con ist eine Art Reeperbahn Festival. Nur kompakter und zeitlich anders sortiert. Zunächst treffen sich Business-Profis für drei Tage zu Matchmaking und Paneldiskussionen. Dann folgen Konzerte an zwei Abenden und drei Locations in Hongdae.
Ich erwische nach meiner Ankunft in Korea gerade noch den zweiten Showcase-Abend. Und direkt entdecke ich ungemein tolle wie vielfältige Musik. Meine musikalische Erkundungstour beginnt bei einer Location mit dem eingängigen Namen Shinhan Card Sol Pay Square Live Hall. Eine Konzerthalle mit einer Kapazität von gut 800 Personen. Unten vor der Bühne warten bereits zahlreiche Fans. Als Delegate werde ich allerdings sofort auf den bestuhlten Balkon geführt. Zudem wird mir eine Flasche Wasser gereicht. Sehr angenehm. Ich setze mich in die erste Reihe und habe somit einen guten Blick auf das Geschehen. Zunächst wundere ich mich, dass direkt unter mir ein Produktionsplattform mit acht Leuten und fünf Workstations aufgebaut ist. Doch als ich den guten Sound höre und vor allem die vielen beeindruckenden Visuals sehe, wundert mich dieses Aufgebot nicht mehr.
K-Pop-Newcomer Pagaehun: Riesenrad & Feuerwerk auf der Bühne
Kurz vor dem Start werde ich noch freundlich begrüßt von Jun Yeong, der seit 2018 für die KOCCA arbeitet. Wir hatten uns vor einigen Tagen bei der koreanischen Reception, dem Mu:con Mixer, auf dem Reeperbahn Festival 2024 kennengelernt. Vorgestellt hatten mich ihm die freundlichen Menschen von der Hamburger Agentur Pop-up Records. Pop ist ein people’s business. Und ich finde es absolut fantastisch, wenn sich diese Verbindungen über den gesamten Globus ausbreiten.
Der Showcase beginnt mit Pagaehun. Ein K-Pop-Newcomer, der erst vor weniger als einem Jahr bei der Firma ATCM debütierte. Mir gefallen seine hyper eingängigen Popsongs ausgesprochen gut. Er tritt mit vierköpfiger Band auf. Und stilistisch reicht sein Konzert von der super emotionalen Ballade bis zum rockigeren „Play With Me“. Mit mal melancholischem Vibe und stets höchst melodisch. Wirklich begeistert bin ich von den LED-Projektionen auf der Bühnenhinterwand. Manche mögen monieren, dass so viel Optik von der Band und ihrem Wirken ablenken könnte. Aber wie da die Animationen passend auf die einzelnen Songs abgestimmt sind, ist im wahrsten Sinne des Wortes großes Kino. Von einem Riesenrad über Street Art bis hin zu einem fulminanten Feuerwerk. Und wir sprechen hier wohlgemerkt nicht von einer Arena-Show, sondern von einer mittelgroßen Location.
Animal Divers mit hypnotischer „Electronic World Music“ & Lasershow
Wie schon bei der Show von IVE in Berlin im Juni fällt mir auf, dass die Musiker*innen sehr viel kommunizieren. Aber wo sind die Untertitel, wie ich sie von Drama-Serien aus Korea gewohnt bin? Egal, der Charme transportiert sich auch so und ist in der Regel sehr warmherzig wie aufmerksam.
Musikalisch gänzlich anders geht es weiter mit Animal Divers. Das 2017 in Seoul gegründete Duo bezeichnet seinen Sound selbst als „Electronic World Music“. Handpan und Didgeridoo korrespondieren da mit E-Gitarre, Keyboard und Electronica. Ein hypnotischer bis ultra tanzbarer Sound, der mehr Techno als Ethno ist. Und gemeinsam mit grafischen Visuals und Lasershow (!) entfesselt Animal Divers einen wilden Sog, der mich sehr gut mitnimmt. Einen schönen Kontrast bildet dann Hey Men. Seit acht Jahren macht diese Band aus Korea gemeinsam Musik. Dabei kombinieren sie reichlich Rock mit Rap, poppigen Elementen und catchy Mitsing-Phrasen.
Werbung in den Umbaupausen & ein Wiedersehen mit Indie-Band Cotoba
Die einzelnen Auftritte des Mu:con-Showcase sind im Schnitt 30 Minuten lang. Und die Umbaupausen dauern stets nur einige Minuten. Alles geht flott über die Bühne. Und zur Überbrückung laufen Werbespots, zum Beispiel von Spotify oder Bose. Kommerzielle Berührungsängste sind offenbar weniger vorhanden als in Deutschland. Obwohl da zum Beispiel beim Hurricane ja auch mittlerweile Werbung in den Pausen läuft. Eine Alternative, die zumindest zu überdenken ist bei den aktuellen Preisexplosionen und Nöten in der Live-Branche.
Für mich gibt es dann ein schönes Wiedersehen mit der wunderbaren Band Cotoba aus Seoul. Ihr elegischer, rauer und einfallsreicher Indie- und Post-Rock hat mich 2023 bereits auf dem Reeperbahn Festival beim Showcase der KOCCA überaus eingenommen. Dafne, Dyon Joo, Hyerim und Minsuh begrüßen ihre Fans auf Koreanisch, Japanisch, Englisch und — weil sie bald in Mexiko auf Tour gehen — auch auf Spanisch. Wow!
Numori, The Solutions & Einblick in globale Musikmärkte beim Networking
In Hongdae ist es mittlerweile dunkel geworden. Und das nächtliche Treiben an diesem Freitagabend verdichtet sich zusehends. Einige Gehminuten weiter sehe ich in der Musinsa Garage, einer cleanen Keller-Location, noch den letzten Song von Numori. Ein fulminater Hybrid-Sound aus K-Pop, Rock und traditionellen Klängen aus Korea. Inklusive der zwei-felligen Trommel Janggu. Mit dem Konzert von The Solutions in der dritten Locations, dem Hongdae Café, endet meine musikalische Tour über die Mu:con. Das Quartett spielt seit 2012 zusammen und ist bei dem Label Happy Robot Records unter Vertrag. Ihr Indie-Rock erinnert mal an Manchester Rave, mal an Alternative- und Grunge-Bands aus den USA.
Kurz vor dem Finale mit The Solutions besuche ich noch das Networking-Event der Mu:con oben im Hongdae Café. Mit einem leckeren Buffet und drei verschiedenen Biersorten vom Hahn zur Selbstbedienung. Dort lerne ich unter anderem Natasha Chu kennen, die in Taipeh die auf Rock spezialisierte Konzerthalle The Wall Live House betreibt. Wir unterhalten uns darüber, wie sich ihr Venue und die Livemusik von der Pandemie erholt hat. Und wie wichtig für ihr Booking die Musikszenen und Märkte in China und Südkorea sind. Tag eins in Seoul. Und ich fahre zurück zu meinem Apartment. Angefüllt mit Geschichten und Eindrücken. Und mit Musik.
Audiovisuelle Eindrücke von der Mu:con 2024 gibt es in meinem Highlight „Seoul Pop 24“ auf Instagram