Hört die Signale: Lob an das Akustische in Zeiten von Corona

Am Freitag lag ich um 8.45 Uhr noch im Bett und schaltete das Radio an. Europaweit spielten Radiostationen „You’ll Never Walk Alone“ von Gerry & The Pacemakers. Ein Zeichen des Zusammenhalts während der Corona-Krise. Wie die meisten war ich in dieser Woche damit beschäftigt, mich irgendwie an das neue eingeschränkte Leben anzupassen. Ein Schwanken zwischen Angst, Unsicherheit, Genervtsein, Pragmatismus und Optimismus. Als ich dann diesen Song auf Deutschlandfunk Kultur hörte, stieg tatsächlich ein Gefühl der Verbundenheit auf. Allein zuhause, zusammen in der Musik. Und ich musste darüber nachdenken, wie wichtig in Zeiten wie diesen das Akustische ist. 

Miu Friends Stay home screenshotMit #staythefuckhome gehen alle unterschiedlich um. Dennoch lässt sich in diesen aufreibenden wie merkwürdigen Tagen eine Besinnung auf Wesentliches ausmachen. Wer sich in häusliche Isolation begeben hat, freut sich über hörbare Signale, um irgendwann nicht bloß nach dem potenziellen Pfeifen in der eigenen Lunge zu horchen. Sei es nun beim Lauschen von Platten, Playlists oder Podcasts, beim Radiohören oder Telefonieren. 

Akustische Trostpflaster für den Verzicht auf das gute wilde Leben

Musikerinnen und Musikern sowie DJs kommt während des viel zitierten Social Distancing eine besondere Rolle zu. Einerseits sind sie vom Shutdown der Kultur in der analogen Welt besonders hart getroffen. Andererseits sind es genau all die grandiosen Popkünstler, die uns jetzt akustische Nahrung liefern. Sie streamen, singen und senden. Sie können nicht anders. Zum Glück. 

Tonbandgerät Band daheim ScreenshotDas akustische Online-Angebot wächst und wächst. Hörbare Trostpflaster für den Verzicht auf das gute wilde Leben. Aus Hamburg verschickt hinaus in die Welt und hinein in die Häuser. Der Musiker Tom Klose lässt seine „Quarantunes“ aus dem heimischen Studio ertönen und Soulsängerin Miu erschafft mit Freunden mal eben den funky Ohrwurm „Stay home“. Das Team von Michelle Records hält seine legendären Schaufenster-Konzerte auch ohne Publikum am Leben und Tonbandgerät spielt uns zu viert im Splitscreen eine umgedichtete Version ihres Songs „Ich komm jetzt heim“. Das Uebel & Gefährlich präsentiert im „Survivalmode-Livestream“ tolle Electro-DJs und das leere Molotow lädt zur Depri Disko. 

#coronaoke: Lasst uns albern und absurd sein, glamourös und wahrhaftig

Apropos Molotow: Eigentlich wollte ich am heutigen Samstag mit einer Freundin im Krug auf St. Pauli essen gehen und danach den Rock ’n’ Roll-Club der Herzen am Nobistor besuchen. Hoch oben in der Skybar sollte die Karaoke Trash Night mit Nik Neandertal und VJ Wasted steigen. Stattdessen schaue ich mir im Netz nun die Menschen an, die unter dem Hashtag #coronaoke die Songs anderer singen. Befeuert wird dieser akustische (okay, und auch visuelle) Trend von berühmten Charismatikern wie Robbie Williams. Motiviert von hunderten Herzen seiner Fans interpretiert er da in bestem Partymodus etwa „Staying Alive“ von den Bee Gees. 

Singen hilft, und zwar nicht nur bühnen- und kamera-erprobten Popstars. Lieber Klang in jeder Faser statt Panik im Kopf. Da ich derzeit auf die Proben mit meinem geliebten Country-Ensemble Octavers verzichten muss, habe ich zuhause auf dem Laptop einfach ein paar der unzähligen Karaoke-Videos angeschmissen. Singalong alone. Warum nicht. Lasst uns säuseln, schreien und schmettern. Lasst uns albern und absurd sein, traurig und pathetisch, glamourös und wahrhaftig, schön und schräg. Lasst uns einen vielstimmigen Chor bilden in dieser Stadt. Selbstzensur ist verboten. Lasst es raus.

21 Uhr: You’ll never klatsch alone

Zum Einstieg für das heimische Karaoke böte sich zum Beispiel „Islands In The Stream“ an, um sich vor dem soeben gestorbenen Kenny Rogers zu verneigen. Die Country-Ikone hatte den Song zusammen mit Dolly Parton eingesungen. Somit lässt sich das Ganze sogar mit verstellten Stimmen intonieren, falls ihr alleine zuhause seid. 

Und um 21 Uhr stellen wir uns dann kollektiv auf die Balkone und hängen uns aus den Fenstern für das wohl schönste und wichtigste akustische Signal während dieser Pandemie. Das Klatschen für all jene, die den Laden am Laufen halten. Für das gesamte medizinische Personal. Aber auch für die Menschen, die in Supermärkten oder für die Müllabfuhr arbeiten. So einfach ist dieses Geräusch zu erzeugen. Und so stark hallt es durch die Straßen. In meiner Nachbarschaft spielte jemand dazu Trompete. Vielleicht singen wir bald alle zusammen abends „You’ll Never Walk Alone“. Ich wäre dabei.

Die Hamburger Musikszene lässt sich durch Spenden unterstützen:

#coronaclubrettung des Clubkombinats
#musicsupporthh von RockCity

Zum Nachhören:

Nachtclub Überpop auf NDR Info zum Thema Karaoke mit den Gästen Nik Neandertal und Patrick Siegfried Zimmer, moderiert von Andreas Moll und yours Birgit Reuther aka Biggy Pop

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