„Mein Beitrag‟ mit Mino Riot: queerfeministische Utopien erschaffen

„Ich sehe meine Aufgabe darin, Utopien zu erschaffen. Sei es durch meine Musik oder mit meinem Festival. Wir kämpfen für die Utopie und wir sind die Utopie. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Denn wir handeln, lernen und wachsen ja in diesem Moment‟, sagt Mino Riot aus Saarbrücken. Ich bin sehr glücklich, dass ich mit der Rapperin, Sängerin und Aktivistin für mein Blogprojekt „Mein Beitrag‟ sprechen konnte. Unter diesem Titel stelle ich Newcomer*innen vor und wie sie sich in ihrer Kunst mit sozialen Themen beschäftigen. Sowohl in ihren Lyrics, als auch in ihrem Umfeld setzt sich Mino Riot für queerfeministisches Empowerment ein. Und das mit Wucht, Fürsorge und äußerst reflektiert.

Aufmerksam wurde ich auf Mino Riot durch die Fotografin Katja Ruge und die Rapperin Finna, die in ihrem „Fe.Male Rap Project‟ junge Hip-Hop-Künstlerinnen vorstellen. Mino Riot geht es unter anderem darum, ein vielschichtiges Frauenbild zu etablieren, das frei ist von patriarchischen Zuschreibungen. Und diese Botschaft transportiert sie in wütendem und zugleich lässigem Flow. Eloquent herausgeschleudert, aber auch mit viel Herzenswärme. „Ich bin Königin, ich bin Slut, ich bin Lady / ich bin zart, ich bin stark, ich nicht was du sagst‟, rappt sie etwa in „Riot ist Liebe‟ (featuring Mona). 

Stereotypen brechen und die eigene Geschichte neu schreiben

Mino Riot propagiert, dass „zeichnen, rappen, skaten, fighten‟ natürlich zum Skillset von Mädchen gehört. Ebenso wie auf der Bühne zu stehen und Raum einzunehmen.  Doch da derlei Selbstverständlichkeiten auch 2022 noch lange nicht in allen Köpfen und Strukturen angekommen sind, erhalten ihre Texte eine umso höhere Dringlichkeit. In ihrem Engagement bezieht sie sich stark auf FLINTA*, also auf Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Doch immer wieder fließt in ihre Songs und Aktionen auch mit ein, wie sich das Männerbild ändern darf und muss. In „Staying Soft‟ beispielsweise, einem gemeinsamen Track mit Finna, ist auch der Rapper Sayes zu hören. In seinem Feature erzählt er davon, als Mann weich und verletzlich sein zu können. Ein wunderbares Plädoyer gegen das Dogma der Härte. 

Letztlich handeln die Worte und Taten bei Mino Riot immer davon, die eigenen Bedürfnisse und Potenziale zu erkennen und auszuleben. Ohne sich von eigenen oder fremden Erwartungen ablenken zu lassen. Mir gefällt äußerst gut, wie Mino Riot immer wieder mit Stereotypen bricht. Und wie sie dabei auch ihre eigene Geschichte umschreibt. Wie sie also neue Narrative etabliert. Zum Beispiel: „Du darfst auch Rapperin sein, wenn Du introvertiert bist!‟. 

Geschärfter Blick auf politische Verhältnisse

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Mino Riot, alle Bilder fotografiert von Marius Scholz

Ihren künstlerischen Weg hatte Mino Riot zunächst als Sängerin begonnen. Doch bald hatte sie das Gefühl, dass Gesang alleine nicht ausreicht, um all ihre Facetten auszudrücken. „Ich will sanft sein. Und ich will laut sein‟, erklärt Mino Riot. Eine musikalische Heimat fand sie schließlich im Hip-Hop von Kollektiven wie Neonschwarz und von Aktivistinnen wie Sookee. „Als Role Model war und ist Sookee sehr wichtig für mich. Ich war vorher schon geoutet. Aber als ich ihre Musik gehört habe, habe ich mich noch einmal ganz anders mit Queerness identifiziert.‟ Besonders in der queerfeministischen Hip-Hop-Szene herrsche ein Geist von „einfach mitmachen‟. Für Mino Riot ein Befreiungsschlag. 

Über ihr Studium der Sozialen Arbeit schärfte sich ihr politischer Blick zusätzlich. Heute leitet sie die Fachstelle Mädchenarbeit in Saarbrücken. Das bedeutet: Da ansetzen, wo es wirkt. Vorbild sein. Angebote machen. Chancen aufzeigen. Und das alles jenseits von Musik-Hotspots wie Berlin oder Hamburg. Für Mino Riot gleichzeitig Herausforderung und Dilemma. „Einerseits wäre ich gerne an einem Ort, wo die Szene ausgeprägter ist. Andererseits braucht ja gerade die Provinz kreativen Input.‟ In ihrer saarländischen Heimat sei queerfeministischer Rap bisher wenig gefragt. Die Buchungen sind spärlich. Doch statt zu resignieren, hat Mino Riot schlichtweg ihre eigene Veranstaltung in Saarbrücken ins Leben gerufen.

Das Wallflower Boogie Festival in Saarbrücken und der Kontakt zu Sookee

Das Wallflower Boogie Festival ist ein Mix aus Konzerten, Spoken-Word-Performances, DJ-Sets und Workshops von queerfeminstischen Künstler*innen. „Damit sich Leute einfach mal trauen‟, sagt Mino Riot voller Überzeugung. Die von ihr angestrebte und auch bereits gelebte Utopie umfasst immer verschiedene Ebenen. Privat, politisch und vor allem kollektiv. Die Rapperin ist keine Einzelkämpferin. Der Crew-Charakter ist stets spürbar. Im Jahr 2020 ging das Wallflower Boogie Festival als künstlerische Wundertüte im Stream über die Bühne. Inklusive Essen, dass für alle zuhause vor den Bildschirmen von zwei feministischen Vereinen ausgeliefert wurde. 2022 sollen die Menschen dann am 8. Oktober wieder real und offline in Saarbrücken zusammenkommen.

Der Name des Festival stammt von Sookees Song „Wallflower Boogie‟, einer Solidaritätshymne für alle jene, die sich leise und beobachtend in die Welt einbringen. Mit Sookee verbindet Mino Riot viel gemeinsamer Spirit. Und eine schöne Geschichte. 2018 hatte sie Sookee gefragt, ob sie bei deren „Mortem & Makeup‟-Tour einen Support-Slot bekommen könnte. Nach erneutem Nachhaken bestritt Mino Riot schließlich das Vorprogramm. „Sie vereint für mich Softness, Realness, Awareness, DIY und Mutanfälle‟, schreibt Sookee über Mino Riot. Gemeinsam veröffentlichten die beiden 2021 den Song „Darf sein‟. Eine komplexe Zwiesprache darüber, wie verausgabend der Dauereinsatz für die gute Sache sein kann. Und wie das fortwährende Funktionieren zu innerer Entfremdung führen kann. 

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„Schimmernde Krone bei Nacht / müde lächelnd an Tagen‟

Sookee hatte 2020 beschlossen, sich aus dem Hip-Hop zurückzuziehen. In meiner Radiosendung Nachtclub Überpop hatte ich damals mit ihr über „Aufhören im Pop‟ gesprochen. Auch Mino Riot erkennt, dass ihr mehrdimensionales Engagement durchaus ambivalent ist und Risiken birgt. „Angestrengte Utopistin ist die bittere Pille / die ich mit Leidenschaft schlucke / weil nur sie mich befreit‟, rappt sie im Intro zu ihrer Debüt-EP „Vol. 1‟.

Mino Riot ist in zahlreiche Projekte involviert. Sie engagiert sich für den Safe Abortion Day in Saarbrücken und für die Initiative Tour D’Amour, die Tourbusse zu Spendenkonvois umfunktioniert. Auf DIY-Level hat sie vor kurzem einen Comic veröffentlicht. Sie hat angefangen ein Buch zu schreiben. Neue Musik, eine kleine Tour und ein Videodreh stehen an. Zudem will das Merch gesiebdruckt und das nächste Festival vorbereitet werden. Und hinzu kommt die ganz persönliche Ebene. Emotional, mental, körperlich. Sich selbst und die eigenen Privilegien hinterfragen. Und auch mit innerem Zensor und Impostor Syndrom umzugehen lernen. Stärke in der Schwäche finden. „Schimmernde Krone bei Nacht / müde lächelnd an Tagen‟, wie es in ihrer dunkel peitschenden Nummer „Königin Lagerta‟ heißt. Safe Spaces schaffen. Und es sich zugleich nicht zu gemütlich machen in der Komfortzone. Einatmen. Und ausatmen.

Mino Riot, aktivistische Rapperin mit tanzbaren Tracks

„Ich bin oft super erschöpft. Aber das ist das, wofür ich brenne. Es tut mir gut. Aber ich muss gucken, dass ich genügend Pausen mache‟, sagt Mino Riot. Obwohl sie sich auf so unterschiedlichen Ebenen einsetzt, hat die Musik für sie extrem hohe Priorität. Mino Riot sieht sich als „aktivistische Rapperin‟. Nicht als „rappende Aktivistin‟. Mittlerweile sei es ihr super wichtig, dass ihre Tracks tanzbar sind. „Die Leute sollen sich bewegen. Und Raum haben.‟ Raum für sich. Für Musik. Und für Utopie.

„Mein Beitrag‟ Teil 1: Dunya aus Hamburg

„Mein Beitrag‟ Teil 2: K.ZIA aus Brüssel / Berlin

„Mein Beitrag‟ Teil 3: Still Talk aus Köln

„Mein Beitrag‟ Teil 4: Mulay aus München / Berlin

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