Ich sehe zwei Frauen Hinterkopf an Hinterkopf. Ihre Haare sind in einer Computeranimation miteinander verbunden. Die beiden wirken wie eine Einheit. Wie ein Bergmassiv. Die Blicke sind klar und ruhig. Irgendwo zwischen Melancholie und Zuversicht. Das Artwork ziert das Cover des neuen zweiten Albums von Poems For Jamiro. Das Starke, Kantige des Bildes gefällt mir sehr.
Der Mix aus fotografierten Gesichtern und verfremdetem Haar, gestaltet von 2erpack-Studios, entfaltet eine faszinierende wie irritierende Wirkung. Und in Kombination mit dem Titel der Platte – „Human“ – entsteht ein toller Kontrast. Eine Diskrepanz, die Fragen aufwirft. Wie menschlich sind wir (noch)? Und wie sehr sind wir bereits mit der Technik verwachsen?
Der optische Eindruck setzt sich in der Musik fort. Die Hamburger Musikerinnen Nina Müller und Laila Nysten kombinieren analoge Instrumente wie Piano und Violine mit Synthesizer-Sound. Das Organische trifft auf das Elektrische. Auch im Gesang der beiden. Mal tönen ihre Stimmen so nah und pur, als säßen sie neben mir auf dem Sofa. Dann wiederum laden sie ihren Gesang mit Hall und Effekten auf, als flögen sie mit einem durch digitale Welten.
Im Titelsong „Human“ verschachteln Nina und Laila ihren Gesang zum Teil in schöner Komplexität, um ihn an anderer Stelle eher in chorische Höhen zu schrauben. In dieser Nummer sind Dynamik und Ideenreichtum, die Poems For Jamiro erzeugen, besonders fein zu erleben. Das Schlagzeugspiel von Helge Preuss erzeugt streckenweise eine treibende, tribalartige Kraft. Dann wiederum fährt der Sound zurück und schafft Raum für Fragiles.
„I can hear the silence fall“
Dieses geschickt wechselnde Arrangement aus Innehalten und Aufbruch passt gut zu dem Heilungsprozess, der in den Lyrics von „Human“ geschildert wird. Ich stehe sehr auf eigensinnige sprachliche Bilder, die ihre Magie erst allmählich offenbaren. Verse wie „I can hear the silence fall“ oder „I’m setting sails underneath the waves“ sprechen mehr an als nur den Kopf, sondern wirken in tiefer liegenden Schichten nach.
Der Text des Album-Openers „Never Get Home“ ist zwar direkter verfasst, lässt sich aber auf verschiedene Weise interpretieren. Zum einen als Liebeslied. Zum anderen als Ode an das blinde gegenseitige Vertrauen, dass sich die Künstlerinnen vor allem auf Reisen entgegenbringen.
„Larger Than Life“ von den Backstreet Boys
Der Presseinfo entnehme ich, dass Poems For Jamiro mit ihrer Musik bereits durch zahlreiche Länder getourt ist – von Österreich bis nach England, von Dänemark bis nach Island. Die Tatsache, dass die beiden auf Englisch singen, erschließt ein internationales Publikum gewiss zusätzlich. Aber letztlich überzeugt natürlich die Musik.
Eindrücklich zu hören ist das zum Beispiel in „Let The T-Rex Sleep“ – so etwas wie ein Bond-Song, zu dem der Agent nicht steif an der Bar, sondern auf der Tanzfläche eines Clubs ermittelt. Und „Larger Than Life“ von den Backstreet Boys in eine elegante wie cool knisternde Tanznummer zu verwandeln, ist eine sehr hübscher augenzwinkernde Hommage zum Abschluss des Albums.
Poems For Jamiro, Gewinnerinnen bei „Krach + Getöse“
Wie das überhaupt funktionieren kann, im Musikgeschäft erfolgreich und zugleich eigenständig zu agieren, hat Poems For Jamiro unter anderem bei RockCity Hamburg gelernt, dem hiesigen Zentrum für Popularmusik. 2014 gewannen Laila und Nina dessen Förderpreis „Krach + Getöse“, der Coaching und Kontakte, Konzerte und Studioaufenthalte bietet. Damals war Poems For Jamiro als akustisches Singer-Songwriter-Duo gestartet.
Ich bin immer wieder beeindruckt, wenn Künstlerinnen und Künstler ihre Ausrichtung ändern, ergänzen und erweitern, sprich: wenn sie sich weiterentwickeln. Das zeugt für mich von Mut und Lebendigkeit. Und das Ergebnis ist im Fall von „Human“ ein vielfältiges und zugleich homogen klingendes Album, das das Intime mit dem Orchestralen kunstvoll verquickt.
Für mich besitzen die Eigenkompositionen eine unglaublich große Weite. Als würde die Musik über eine offene Fläche wehen. Mit dem Himmel als Limit.
„Human“ von Poems For Jamiro erscheint am 19.10.2018 bei Bosworth Creative.
Poems For Jamiro live in Hamburg: 24. Februar, Knust
Diese Woche sonst noch neu in Hamburg:
Alli Neumann: „Hohes Fieber“ (EP, Jive Music), unter anderem angekündigt von den Kollegen von The Mellow Music.
Weiterhin schön und gut und aktuell:
Neonschwarz: „Clash“ (Audiolith Records)
Patrick Siegfried Zimmer: „Memories I – X“ (PSZ Recordings)