Musik verschenken? Hannes Wittmer und das Prinzip „Pay What You Want“

Um keinen Preis – warum ich meine Musik verschenke“. Unter dieser Überschrift schreibt der Singersongwriter Hannes Wittmer, bisher bekannt als Spaceman Spiff, auf seinem Blog, warum er sein aktuelles Album kostenlos als Download veröffentlicht. Und auch wenn er wieder in seiner Geburtsstadt Würzburg lebt, verbuche ich Hannes Wittmer als Hamburger Künstler, da er das popmusikalische Leben der Stadt lange Jahre mit geprägt hat.

Ich hatte jüngst in einem Blogpost bereits die Frage aufgeworfen, inwiefern sich von Popmusik (noch) leben lässt. Von daher finde ich die Ausführungen von Hannes Wittmer äußerst spannend. Das Thema ist höchst präsent. Nicht nur Technik und Strukturen ändern sich. Auch ganze Genres sind im Umbruch beziehungsweise altern unterschiedlich gut. Unter dem Titel „Untergang Obercool“ prognostiziert SZ-Autor Jens-Christian Rabe in seiner Nachlese zum Rolling Stone Weekender etwa die Verrentung des Indierock. Eine schöne steile These, die zu weiteren Diskussionen anregen dürfte. Gut so.

„Eine Radikalkur von der Musikwirtschaft“

Um nicht in alten Mustern stecken zu bleiben, ist Hannes Wittmer einen mutigen Schritt gegangen. Sowohl sein neues, nun erschienenes Album „Das große Spektakel“ als auch seine Konzerttickets bietet er nach dem „Pay What You Want“-Prinzip an. Er nennt dieses Vorgehen „eine Radikalkur von der Musikwirtschaft, ihren Mechanismen und Widersprüchen.“ Seine Gründe: Hannes Wittmer möchte nicht, dass große Player wie Amazon, Apple, Google, Eventim und Spotify automatisch an seinen Songs und Live-Auftritten mitverdienen. Dies geschehe jedoch, sobald er seine Musik über gängige Vertriebswege herausbringt.

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Hannes Wittmer, fotografiert von Christoph Naumann.

Auf einer Metaebene macht sich Hannes Wittmer zudem viele Gedanken darüber, was „Leistungsdruck und Konkurrenzdenken mit unserer Gesellschaft anstellt.“ Sein „Zahl was du willst“-Ansatz ist für den Popmusiker der Versuch, jenseits von Jammerei oder Zynismus eine Alternative auszuprobieren.

Interessant finde ich, wie sich seine Wahrnehmung als Künstler mit den ersten Spenden verändert hat. Hannes Wittmer schreibt: „Ich muss nach wie vor Fahrtkosten, Studiomiete, Gagen und die Rechnung im Supermarkt zahlen, aber für mich sind die Geldbeträge, mit denen ich das alles Finanziere, nun irgendwie mehr an Vertrauen als an Erwartungen gekoppelt.“ So etwas wie ein Befreiungsschlag Richtung Empathie also.

Wie sehr schätzt eine Gesellschaft Input und Inspiration?

Es ist bemerkenswert, wie sehr sich Hannes Wittmer in diesem Prozess öffnet. Und sich dadurch auch angreifbar macht. Nicht nur er selbst reflektiere nun sein Handeln kritischer. Seine Leser, Hörer und Fans sowie Experten aus der Branche tun dies ebenfalls. Warum er zum Beispiel trotz Kapitalismuskritik noch bei Facebook sei, wollen einige wissen. Hannes Wittmer führt aus, dass er ein großes Fass aufgemacht habe und ständig neue Fragen hinzu kämen. Zum Beispiel, ob und wie er denn nun Promotion für seine neue Musik machen soll. Kein einfacher Weg also.

Für mich geht es letztlich darum, wie eine Gesellschaft Input und Inspiration wertschätzt. Also immaterielle Dienste, die Menschen zusammenbringen. Kunst ist im Endeffekt eine Art Fürsorge. So wie zum Beispiel auch Pflege oder lehrende Berufe. Warum sind diese wichtigen aufbauenden wie verbindenden Aufgaben alle tendenziell unterbezahlt? Und unterstützt Hannes Wittmer mit dem von ihm vorgeschlagenen Prozedere womöglich die offenbar schwindende Motivation, für Musik zu zahlen? Also demontiert er seine eigene Reichweite, Relevanz und (Über)Lebensgrundlage? Oder lässt sich anhand seiner Vorschläge eine andere Denkweise und somit eine neue Art der Anerkennung etablieren?

Hannes Wittmer und die Kooperation mit dem Mairisch Verlag

Auf einer konkreteren Ebene stellt sich zudem die Frage: Sollte sich Hannes Wittmers‘ Modell durchsetzen, was geschieht mit den Berufen, die rund um Veröffentlichung und Verkauf eines Albums bestehen? Mit Plattenfirmenmitarbeitern, Produktmanagern, Plattenladenbesitzern?

Was das Thema Promotion angeht, hat Hannes Wittmer Unterstützung von dem befreundeten musikaffinen Hamburger Verlag Mairisch erhalten. Mairisch-Chef Daniel Beskos sandte dieser Tage eine Mail aus, die auf das Album aufmerksam macht. Der Verleger wertet die Album-Verschenke als „Experiment, das den Fokus auf Haltung und Selbstreflexion größer und zur gleichen Zeit den Abstand zwischen ihm und seinem Publikum kleiner werden lässt.“ Und er fügt hinzu: „Wir sind gespannt, welchen Weg dies noch nimmt und unterstützen eine solche Position neugierig und aus ganzen Kräften.

„Übung im Miteinander auf kleinster Ebene“

Daniel Beskos verkündet zudem, dass es die Platte ab Februar 2019 „für alle Vinyl-Liebhaber“ in einer limitierten Auflage als LP geben wird. Vorzubestellen beim Mairisch Verlag für 20 Euro und nicht im Handel erhältlich. Ist das nun eine Hintertüre, durch die hindurch dann doch noch zu Fixpreisen Geld verdient wird? Oder handelt es sich lediglich um ein Zugeständnis an Haptik-Liebhaber und Sammler? Potenziell Aufgeregten nimmt Hannes Wittmer sofort den Wind aus den Segeln: Er kündigt an, mögliche Gewinne aus der Vinyl-Variante an „Ärzte ohne Grenzen“ zu spenden.

Letztlich passt die Herangehensweise, mit nahe stehenden Menschen zu arbeiten, gut zu dem Fazit, das Hannes Wittmer zieht. Eine „Übung im Miteinander auf kleinster Ebene“ sei seine Aktion. Wie langfristig solch ein Modell trägt und ob es auch für „größere Acts“ funktioniert, ist gewiss weiterhin zu diskutieren. Ich möchte nun aber noch erzählen, wie „Das große Spektakel“ von Hannes Wittmer überhaupt klingt.

„Das große Spektakel“ von Hannes Wittmer

Das Album startet mit „Fragen“. Eine sachte instrumentierte Lektion in Sachen Demut. Eine warmherzige Weisung, wie entbehrlich wir im großen Lauf der Dinge letztlich sind. Und wie befreiend es sein kann, wenn wir den ein oder anderen Grundsatz hinterfragen. Hannes Wittmer singt vom verlorenen Glauben an „die ewige Angst und das endlose Stapeln“. Dieser Gedanke gefällt mir sehr gut: Jene Verhaltensmuster loszuwerden, die uns hemmen.

Hannes Wittmer, Singersongwriter, Folk, musician, Album, Das große Spektakel, Cover, artwork, Hamburg, Würzburg, Mairisch VerlagSpäter, im Song „Schatten“, erklärt er wiederum, wie Ohnmacht, Angst und Einsamkeit eben auch vertraute Gefühle sind, die uns in gewisser Weise Sicherheit bieten. Und die somit schwer aufzugeben sind. Eine spannende Dynamik. Und eine ehrliche Sicht auf sich selbst.

Der Singersongwriter erzählt davon nicht moralingetränkt, sondern ganz ruhig und nah. Neben der eindringlichen wie zuversichtlichen Stimme von Hannes Wittmer prägen seine Musik Akustikgitarre, Schlagzeug, Percussion und – wenn ich richtig höre – ein Mellotron. Ein Instrument, wie es etwa bei „Strawberry Fields“ von den Beatles bereits zum Einsatz kam. Und das fein driftende Akzente setzt. Ein fantastisches Schweben.

Das Vor und Zurück in der Zweisamkeit

Hannes Wittmer ist ein poetisch Prüfender. In Songs wie „Rom“ lässt der Künstler Romantik auf Realität treffen. Und er lädt uns zum Perspektivwechsel ein. Etwa wenn er wilde Aufbruchsstimmung entfacht und direkt im Anschluss den Alltag einbrechen lässt. „Nichts kann uns aufhalten / außer ein Job / oder eine Familie“, singt er in sanftmütiger Lakonie.

Mit noch nicht tausendfach projizierten Bildern lotet Hannes Wittmer den Mikrokosmos Liebe aus. Die geerbten Zweifel. Sich zu zweit aushalten können. Eigensinn versus Paarbeziehung. Bei ihm ist die Begegnung zweier Menschen nichts Festzementiertes. Besonders gut zum Ausdruck bringt er die Unsicherheiten in „Sollbruchstelle“. In dem Song schildert er das Vor und Zurück in der Zweisamkeit. Die kleinen und großen Fluchten, die sich alle stets offen halten. Und er fragt: „Wie soll das halten / wenn wir alles perforieren?“ Dazu in der Musik ein dunkles Brodeln. Streicher und nervöse Rhythmik. Ein Taumeln. Toll.

Wie sehr lassen wir uns reizüberfluten?

Hannes Wittmer schaut sich selbst auf die Finger. Auf verpasste Chancen. Auf ungenutzte Potenziale. Da dann doch das Toastbrot gekauft und die amerikanische Serie geguckt werden will. Wie sehr wollen wir uns optimieren? Wie sehr müssen wir unsere eigenen Zügel locker lassen? Und wie sehr lassen wir uns reizüberfluten?

Derlei Fragen verhandelt Hannes Wittmer in Songs wie „Affen“ und „Satelliten“. Und wie bereits in seinen Ausführungen zum Thema Vermarktung von Musik begibt er sich weniger in eine Opferhaltung, sondern in die Position eines Suchenden.

Um sein Handeln zu beschreiben, zitiert Hannes Wittmer auf seiner Webseite die Autorin Hannah Arendt, was ich als Schlusswort ebenfalls tun möchte: „Gewonnen wird die Humanität nie in der Einsamkeit und nie dadurch, dass einer sein Werk der Öffentlichkeit übergibt. Nur wer sein Leben und seine Person mit in das Wagnis der Öffentlichkeit nimmt, kann sie erreichen.“

Biggy Pop empfiehlt:
„Sowas von egal“ (Sampler, bureau b)
Tusq: „The Great Acceleration” (Oktober Promotion)
Wiebke Colmorgen: „Plattkinner” (Junius)
Poems For Jamiro: „Human” (Schwesterherz)
Neonschwarz: „Clash“ (Audiolith Records)
Patrick Siegfried Zimmer: „Memories I – X“ (PSZ Recordings)

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