Wow. Schon ist unser Arbeitswohnprojekt in Brüssel wieder vorbei. Ich befinde mich auf dem Rückweg nach Hamburg. Und auch meine Freunde Julia vom Naturkosmetikblog Beautyjagd sowie Matthias vom Gastroblog Chez Matze sind bereits abgereist. Für mich waren die vergangenen Wochen auf mehreren Ebenen inspirierend, weshalb ich hier ein kleines Fazit ziehen möchte.
Eine unserer Erkenntnisse: Ein anderes Leben ist möglich. Diese Einsicht ist zu großen Teilen durch unsere Unterkunft motiviert. Für unser Arbeitswohnprojekt haben wir uns in einer Fabriketage im Stadtteil Schaerbeek einquartiert. Unser Vermieter, der sonst in dem großzügig bemessenen und industriell geprägten Loft wohnt, ist von Haus aus Kulissenbauer fürs Theater. Und so lebten wir für eine Zeit in seinem Interieur, in seiner Gedankenwelt, seiner Aura. Allein diese andere Umgebung löste uns bereits aus gewohnten Bahnen heraus.
Arbeitswohnprojekt zwischen Recherche und Stromerlust
Hoch interessant war, wie wir drei unsere Tage gestalteten. Welchen Arbeitsrhythmus die eine und der andere wählte. Und wie wir uns jeweils die Stadt erschlossen. Je nach Mentalität überwogen Recherche oder Stromerlust. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten erzählten wir uns dann, woran wir gerade schrieben. Und was wir in den vielfältigen Brüsseler Vierteln alles entdeckt haben.
Womit wir bei einem weiteren wichtigen Faktor bei solch einem Arbeitswohnprojekt wären: der Kommunikation. Die Grundvoraussetzungen waren gut: Drei Freunde, die sich lange kennen und mögen. Und zudem drei Menschen mit Erkundungsfreude, die das Soziale ebenso lieben wie das alleinige Unterwegssein. Damit wir jedoch nicht alle drei in unseren jeweiligen Fachgebieten und Leidenschaften einschrullten und herumnerdeten, haben wir hin und wieder Workshops gemacht.
Wozu inspiriert mich der Aufenthalt? Welche Aufgaben möchte ich in den kommenden Monaten anpacken? Welche Träume habe ich im Leben? Und was für gemeinsame Aktivitäten könnten aus unserem Arbeitswohnprojekt in Zukunft erwachsen? In kurzen Einheiten von zehn, fünfzehn Minuten brainstormte jede und jeder zu derlei Fragen schreibend für sich. Im Anschluss trugen wir unsere Assoziationen vor und gaben einander Feedback. Ein toller Pool an Impulsen. Mir gefiel diese Art von gesteuerter Kommunikation sehr, da sich so die Energie und Ideenfülle in unserem Arbeitswohnprojekt noch einmal ganz anders bündeln ließ. Ich bedanke mich jedenfalls von Herzen bei Julia und Matthias für diese kreative Komplizenschaft, die gewiss ihre Fortführung findet.
Städteübergreifende Probleme für Kulturschaffende
Auf beruflicher Ebene bin ich nach wie vor hoch beglückt, wie bereichernd sich die musikalische Spurensuche in Brüssel gestaltet hat. Wie gut ich in den äußerst abwechslungsreichen Popkosmos der Stadt eintauchen konnte. Und wie offen die Szene samt ihrer Akteure ist. Diese Erfahrung bestärkt mich in meiner Philosophie, dass Musik eine ultimative verbindende Kraft besitzt. Dass sich Begegnungen oftmals unmittelbarer gestalten, wenn die Musik als Mittler fungiert.
Zugleich sind die Probleme, mit denen Kulturschaffende in Großstädten konfrontiert sind, oftmals ähnlich, stellte ich fest. Stadtteile werden gentrifiziert. Mieten steigen. In Brüssel ziehen deshalb viele Kreative derzeit in den Südwesten der Stadt, zum Beispiel nach Anderlecht. In dem rau charmanten Viertel eröffnete mit dem Volta etwa jüngst ein Musikzentrum: In einer alten Textfabrik finden sich Proberäume, Studios, eine Konzertbühne sowie Räume für Workshops. Ich habe es leider nicht bis dorthin geschafft. Aber ich brauche ja auch Gründe, um wiederzukommen.
Die Welt erkunden mit Musik
Auch den unfassbar vielen Plattenläden in Brüssel ließen sich ganze Kapitel widmen. Ich habe stellvertretend in diesem Blogpost einige Fotos von Recordstores eingefügt, die ich in den vergangenen Wochen gemacht habe. Zudem gibt es am Ende dieses Textes noch eine Linksammlung, die komprimiert alle Artikel meines Aufenthalts aufführt. Mein Brüsseler Biggy Pop-Tagebuch sozusagen.
Mich motiviert unser Arbeitswohnprojekt in Brüssel definitiv dazu, einerseits noch offener zu sein. Und andererseits meiner Intuition, meinem Know-how und meiner Stimme noch mehr zu vertrauen. Das mag zunächst paradox klingen. Aber für mich bedeutet dies im Idealzustand: Wenn ich in mir selbst zuhause bin, kann ich die Welt umso besser erkunden. Im besten Fall mit Musik, versteht sich.
Das Brüsseler Biggy Pop-Tagebuch
Kapitel 1:
Der Sound der Stadt — Brüssel und das Botanique (inkl. Konzert Alice Merton)
Kapitel 2:
Brüssel, ein Zirkus mit Musik (inkl. Konzert Rufus Wainwright)
Kapitel 3:
Tawsen — Pop und Rap aus dem Herzen Brüssels
Kapitel 4:
Kanal Centre Pompidou — von der Autogarage zur Kulturstätte
Kapitel 5:
Auf den Spuren von Jacques Brel — eine musikalische Tour durch Brüssel
Kapitel 6:
Indies Keeping Secret und Record Store Day in Brüssel (inkl. Konzerte von The Brother Brothers, Portland & Beautiful Badness)
Kapitel 7:
WBM belgische Popförderung, angesagte Bands & europäischer Geist (inkl. Konzert L’Or Du Commun)
Kapitel 8:
Introducing: Namdose, eine belgisch-französische Supergroup
Kapitel 9:
Introducing: Blu Samu, neuer Star aus Brüssels Hiphop-Boom