Heute gibt es mal wieder einen Blogpost aus meiner Reihe „Biggy Pop — Take Five“. Zum Auftakt dieses Formats hatte ich zum Beispiel fünf Hamburger Songs mit Haltung vorgestellt. Diesmal geht es um popkulturelle Ereignisse, die ich diese Woche besucht habe. Und um Musik, die mir aufgefallen ist.
1. Klimastreik: Protest und Popkultur mit Teesy und Deichkind
Am Freitagmittag war ich beim Klimastreik in der Hamburger Innenstadt. Zehntausende gingen auf die Straße, um unter dem Motto #neustartklima für verbesserte Klimaschutzziele zu demonstrieren. Unter anderem stellten verschiedene Gruppen der Initiative „Fridays For Future“ ihre Arbeit vor. Und eine Landwirtin von der Nordseeinsel Pellworm erzählte von ihrer Situation sowie ihrem Engagement zum Klimaschutz. Mit den drastischen Worten: „Wir saufen als erstes ab.“
Spannend finde ich als Musikjournalistin natürlich, wie sich auf solch einer Demonstration Protest und Popkultur verschränken. Nach wie vor. Auch wenn diese Verbindung diversifizierter stattfindet als früher. Es gibt eben nicht mehr den identitätsstiftenden, Generationen einenden Protestsong wie etwa Woody Guthries „This Land Is Your Land“ aus dem Jahr 1944.
Mich freut es aber zu sehen, wie Popmusik durchaus als Motivator fungieren kann, sich aus dem Alltag herauszuschälen. Und einige Stunden Zeit in eine Sache zu investieren, die größer ist als man selbst. Beim Marsch durch die City liefen Protestklassiker wie „Another Brick In The Wall“ von Pink Floyd und „Beds Are Burning“ von Midnight Oil. Doch auch zeitgenössische Popnummern fanden ihren Weg ins Streikrepertoire. Zum Beispiel „Hurra die Welt geht unter“ von der Berliner Hip-Hop-Formation K.I.Z. und Sänger Henning May aus dem Jahr 2015.
Die Widersprüche unserer Konsumgesellschaft bringt die Hamburger Crew Deichkind derzeit mit „Dinge“ auf den Punkt: „Wer Dinge hat, muss Dinge zeigen / Dinge bringen zum Schweigen / Dinge explodieren, Dinge kleiden / Dinge haben Macht, Dinge-Power“.
Verse wie diese ertönten, als der Protestzug gerade zwischen Hamburger Hauptbahnhof und Spitalerstraße entlangzog. Ein Shopping-Epizentrum, zusätzlich verdichtet durch den mit Rabatten lockenden „Black Friday“. Tüten mit Markenaufdrucken neben Schildern mit Klima-Botschaften. Menschen, die kaufen. Menschen, die laufen. Ich finde es sehr gut, wenn in einer Großstadt solche Gleichzeitigkeiten geschehen. Wenn Dinge aufbrechen und zum Vorschein kommen können.
Am Nachmittag trat Deichkind dann zur Abschlusskundgebung des Klimastreiks noch auf einer Bühne auf der Willy-Brandt-Straße auf. Im Vorprogramm sang und rappte Teesy aus Berlin. Seine Soulstimme hatte durchaus wärmende Wirkung bei den winterlichen Temperaturen. Er kündigte an, dass er keine konkreten Protestlieder habe, aber viel Liebe geben könnte. Und letztlich kommt es bei so einer großen Zusammenkunft ja auch darauf an, eine kollektive positive Energie zu erzeugen.
2. June Cocó in der Hebebühne
Die Welt braucht pure Poesie, die uns mit feinen Fäden aus dem Klein-Klein herauszieht. Die uns umgarnt und verbindet. Die uns in andere Gefilde bringt. Die uns transparenter und tiefer schwingen lässt. Das Pop solch eine Wirkung haben kann, durfte ich am Freitagabend beim Konzert von June Cocó in der Hebebühne in Altona erleben. Am Freitag hat die Leipziger Musikerin ihr Album „Fantasies & Fine Lines“ veröffentlicht. Und wie auch ihre Platte begann ihr Konzert mit Vogelstimmen, in die sie nach und nach sachte Beats, Pianospiel und Gesang mischte.
June Cocó ist eine Persönlichkeit, die so eigensinnig, federleicht und stark wirkt wie ihre Musik. Wie eine Balletttänzerin des Pop. Voller Fokus und zugleich im Flow. Ich mag sehr, wie sie offensichtlich ganz verschiedene Einflüsse in ihr Album geholt hat. Einerseits hat sie bei den Aufnahmen in Berlin verschiedene Musiker ins Studio geladen, erzählte June Cocó. Andererseits hat sie sich mit ihren Instrumenten, mit ihren Gedanken und Gefühlen in eine Hütte im Wald zurückgezogen. Bei geöffneten Fenster sei viel hereingeweht. Eben auch besagte Vogelstimmen. Zudem habe sie Meditation für sich entdeckt, sagte June Cocó.
Dieses frei Atmende ist ihrem elektronisch präparierten Pianopop deutlich anzuhören. Und ihrer Stimme. Die erkundetet das dunkel Gründelnde ebenso wie das hoch Irrlichternde. Irgendwo im wundervollen Spektrum zwischen Kate Bush und Tori Amos. Immer wieder vervielfältigte sie ihren live produzierten Sound mit der Loop-Station, sodass sie mit sich selbst im Chor sang. Sodass sie ihr eigenes Orchester war. Ein Konzert, dass intensiv berührte. Und dass sehr meiner saisonalen Stimmung entsprach, wie ich sie jüngst hier auf dem Blog bei Biggy Pop beschrieben habe.
Als Support spielte übrigens Laila, eine Hälfte des Hamburger Duos Poems For Jamiro. Gezupfte und gestrichene Geige, Loop-Station, Piano und Gesang. Die perfekte Einstimmung für diesen schönen Abend, der übrigens im kleinen Raum der Hebebühne stattfand — dem Vogelnest. Die Wohnzimmeratmosphäre mit auf Sesseln und Stühlen lauschendem Publikum hat die hohe Intimität der Auftritte gewiss noch verstärkt. Ein Besuch in dieser relativ neuen Hamburger Spielstätte lohnt sich definitiv. Zwischen Fabrik und Monkeys Musikclub ist da gerade einiges im Werden in Sachen Popkultur in Altona.
3. Preise für Musikclubs: Gängeviertel, Logo und der Jazz
Apropos Clubkultur: Die Initiative Musik hat diesen Mittwoch in Berlin den Spielstättenpreis Applaus verliehen. Nach Hamburg gehen Auszeichnungen und finanzielle Unterstützung an das Gängeviertel und das Logo. Zudem prämiert werden die Hip-Hop-Veranstalter Grossstattraum sowie drei Jazz-Projekte: die Jazzkonzerte der Jazz Federation Hamburg, das JazzLab sowie der Jazzraum. Herzlichen Glückwunsch!
Noch mehr Trophäen gibt es beim Hamburger Club Award einzuheimsen, der am 23. Januar im Docks verliehen wird. Diese Woche fiel der Startschuss für die Bewerbungsphase. Das heißt: Hamburger Veranstalterinnen und Clubbetreiber können sich bis zum 16. Dezember für Kategorien wie „Musikclub des Jahres“ oder „Club des Jahres mit der stärksten Newcomerförderung“ bewerben. Ich bin erneut Teil der Jury und bin sehr gespannt auf die Einreichungen. Über das Ergebnis werde ich natürlich hier bei Biggy Pop berichten.
4. Clouds Hill Festival mit Konni Kaas, Gone Is Gone und Teenage Fanclub
Ein besonders inspirierender Musikort ist das Clouds Hill Studio, das Johann Scheerer in Rothenburgsort betreibt. Auf dem Blog habe ich im Februar 2019 bereits über diese pulsierende popkulturelle Herzkammer geschrieben. Zum achten Mal hat das Clouds Hill nun zu einem Festival in seine Räume geladen.

In den beiden Studios traten im Wechsel erlesene Acts auf: Der Brite Joe Gideon, bekannt von seiner einstigen Band Bikini Atoll, betonte mit seinen spröden Postrock-Oden die tragisch-merkwürdigen Seiten des Lebens. Er machte mit seiner Band die inneren Störgeräusche hörbar, die in uns allen arbeiten. Sehr schön. Anfang 2020 erscheint sein Solo-Album auf dem Label von Clouds Hill.
Deantoni Parks wiederum spielte sich fulminant in einen experimentellen Rhythmus-Rausch. Der New Yorker Künstler kombiniert in seinem Projekt Technoself digitale Kompositionen mit analogem Schlagzeugspiel. Muster, Brüche, Wiederholungen und Aufbrüche. Toll.
Im ausladenden Flur des Clouds Hill wiederum präsentierte Konni Kaas von den Färöer Inseln ihre fein akzentuierten Songs am Piano. Ihre Klänge mischten sich mit den Gesprächen der Gäste. Mit dem Klirren und Kippen an der Bar. Eine offene Stimmung, die Begegnungen ermöglichte. Ernster Austausch. Kurze Plaudereien. Und dann wieder: Musik. Kontrastprogramm. Mit Gone Is Gone pustete uns eine Hardrock-Supergroup amtlich durch. Mit Sänger Troy Sanders (Mastodon), Troy Van Leeuwen (Queens Of The Stone Age) an der Gitarre und Tony Hajjar (At The Drive-In) am Schlagzeug haben sich da einige Koryphäen in Sachen „gepflegtes Brett“ versammelt.
Absolut beeindruckend, wen Johann Scheerer da mit seinem Studio, seiner Arbeit und seinem charismatischen Team nach Hamburg holt. Als Gastgeber ist er freundlich präsent, ohne sich über Gebühr ins Rampenlicht zu stellen. Kurz und zugleich mit viel Wärme stellte er seine Gäste vor, um den Raum dann schnell der Kunst zu überlassen. So auch beim Überraschungsgast des Abends: Teenage Fanclub.

Johann erzählte, das die schottische Band nach dem Festival im Clouds Hill mit den Aufnahmen zu ihrem neuen Album anfängt. Warum? „It’s a fucking great studio“, wie Sänger und Gitarrist Norman Blake lachend ins Mikro rief.
Mich freut es immer außerordentlich, wenn sich Bands nicht auf ihrem Alte-Weiße-Mucker-Legendenstatus ausruhen, sondern nach wie vor mit Verve dabei sind. Und wie ich da so zwei Meter entfernt auf Augenhöhe mit den Indierock-Heroen der 90er-Jahre stand, faszinierte mich vor allem ihre Spielfreude. Was für einen Spaß zum Beispiel Gitarrist Raymond McGinley mit seiner neuen Fender-Gitarre und seinem Wah-Wah-Effektgerät hatte. Wie viel Energie das Quartett in ihr kurzes Set legte. Und wie sie immer wieder grinsend umherschauten.
Nach den Konzerten versammeln sich alle im Flur. Und zu den funky Tunes des Rollerskate-Jam-DJ-Teams begann ausgelassener Tanz auf dem Teppich. Verschwitzt und glücklich liefen wir schließlich durch die kalte Nacht zum 3er-Bus, um nachhause zu fahren. Und um wieder einmal dankbar zu sein, in der Nähe solch grandioser Musikorte zu wohnen.
5. Biggy Pop — Musiktipp: Joseh und sein neues Album „Entropy“
Pop in Hamburg lebt in unterschiedlichen Nischen, schillert in verschiedenen Facetten. Und die Stadt bringt immer wieder neue Künstler hervor. Daher gibt es zum Abschluss dieses Blogposts als fünften Punkt von „Biggy Pop — Take Five“ einen Musiktipp.
Diese Woche erreichte mich das Album „Entropy“ des Hamburger Singersongwriters Joseh. Ein Folkpopwerk von sanftem Bombast und von impulsiver Wärme, das mir vor allem aufgrund seiner akzentuierten Rhythmik gefällt. Zudem mag ich es, wenn im Pop weniger gängige Instrumente zum Einsatz kommen — etwa eine Harfe oder das relativ neu entwickelte Sansula, bei dem Lamellen über einem Trommelfell gespielt werden.
Beheimatet ist der Musiker auf dem 2017 gegründeten Hamburger Label Superlaut. Ich habe die Betreiber Bernd Hocke und Sabrina Frahm vor einigen Wochen auf dem Release-Konzert von Soulsängerin Miu im Gruenspan kennengelernt. Zwei für die Sache brennende Menschen, die für Joseh eine besondere Release-Show realisiert haben — gemeinsam mit den Hamburger Virtual-Reality-Experten von Noys VR. Snippets von Josehs Musik wurden da in Kombination mit Düften und Berührungen in einem virtuellen Dschungel zum Leben erweckt. Aufregende neue Welt.