Biggy Pop — Take Five: neue Bands aus Hamburg

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Es ist mal wieder Zeit für eine Ausgabe von „Biggy Pop — Take Five“. Diesmal geht es um neue, neu zusammengewürfelte und noch unbekanntere Bands aus Hamburg, die mir in der jüngeren Vergangenheit aufgefallen sind. Und denen ich ein größeres Publikum wünsche. Da ihre Musik eine besondere Energie vermittelt. Eine Haltung. Etwas Interessantes. Allen gemein ist ein ausgeprägter Sinn für gemeinsames Musizieren und die inspirierende Verbundenheit in einer Szene. Ein kollektiver Spirit, der Eigensinn keineswegs ausschließt. Das gefällt mir sehr gut. Die Bandbreite reicht dabei von Rock bis Pop. Im Einzelnen wird die Rede sein von Dunya, Roller Derby, Pony Royale sowie Klebe. Und von Onemillionsteps, die gar nicht „neu“ sind, aber dennoch jetzt erst an ihrem Debütalbum arbeiten. Ein ewig schwelender Geheimtipp sozusagen, den es neu zu entdecken gilt.

Dunya: Dunkelheit, Intensität und Wärme

Die Band Dunya habe ich diesen Sommer live im Molotow Backyard auf St. Pauli gesehen. Das Quintett war als Vorband für die Garage-Rock-Herren Hawel / McPhail gebucht, mit denen sie sich die Plattenfirma La Pochette Surprise teilen. Und wie bei anderen Konzerten dieses enorm umtriebigen Hamburger Labels erlebten wir auch diesmal eine äußerst positive Überraschung. Dunya umweht ein sehr heutiger Retro-Charme. Mit ruhiger Kraft entfesselt die Band einen psychedelischen Sound, der mitunter durchzogen ist von orientalischen Melodielinien. Verzerrte Gitarren werden ins Orchestrale überführt, fallen aber auch wieder zurück in die Reduktion, wo spannungsgeladene Details dann umso mehr schillern dürfen. Eine atmosphärische Dichte, die getragen und beflügelt wird von Banu Sengüls starkem elegischen Gesang. Da liegt so viel Dunkelheit, Intensität und Wärme in ihrer Stimme, dass wir alle schockverliebt sind.

Die Sängerin und Gitarristin singt auf Englisch und Türkisch, woher auch der Bandname stammt (auf Deutsch: Welt). Und sie erzählt unter anderem von der Verbundenheit des Menschen mit der Natur. In dem Song „Toprak“ plädiert Dunya dafür, die kleinen Wunder der Erde wertzuschätzen. Den Gesang der Vögel. Den Geschmack von Himbeeren. Eine Schönheit, die stets auch das Vergängliche in sich birgt. Denn wir sind ja alle nur zu Gast auf diesem Planeten. Zu finden ist die Nummer auf der selbstbetitelten Debüt-EP, die Dunya im Frühjahr diesen Jahres veröffentlicht hat. Ich freue mich schon darauf, mehr von dieser Band zu hören.

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Dunya, pic by Lukas Drude.

Roller Derby: geschmeidiger Drive

Vor einigen Wochen schrieb mich Philine Meyer an, um mir ihre Band Roller Derby vorzustellen. Mir gefällt dieser direkte Angang und Austausch sehr gut. Warum nicht ohne Umwege die Verbindung herstellen? Seit Oktober 2020 hat das Trio sechs Singles veröffentlicht. Es sind dunkle somnambule Sphären, die Gitarrist Manuel Romero Soria, Basist Max Nielsen und Philine Meyer an Keyboards und Gesang erschaffen. Mal breitet sich der Sound wie in Zeitlupe aus, etwa bei der Nummer „Underwater“. Ein Song wie „Can’t See You“ wiederum entfaltet einen geschmeidigen Drive, der sich durchaus zum Soundtrack für das namensgebende Rollschuhfahren eignet. Zu dem energischen Kontaktsport Roller Derby hat die Band keinen unmittelbaren Bezug, erzählt mir Philine per Mail. Vielmehr kontrastiert das Raue des Rollschuhsports die Leichtfüßigkeit der Musik. Ein schönes Spannungsfeld, das sich da eröffnet. Mit ihrem hoch melodischen Dream Pop bedient Roller Derby einen gewissen nostalgischen Wohlfühlfaktor. Und auch ihre handgedruckten T-Shirts verbinden zeitgenössische Illustrationen mit Retro-Look.

Ästhetisch erfreut zudem das Video zur aktuellen Single „Something True“, das der brasilianische Filmemacher Gustavo Tissot gedreht hat. Detailverliebt inszeniert er da Schauspielerin Viniele Lopes, die sich zartbitteren Tagträumen hingibt. Ein schattig dahinziehender Song über Liebe und Wahrhaftigkeit, in dem Philines Gesang — auf Englisch und Französisch — besonders eindringlich und abgründig strahlt. Mit ihrem letztlich wunderbar zeitlos klingenden Indiepop war Roller Derby in den vergangenen Monaten für Molotow und Hebebühne, beim Hamburger Kultursommer und beim Südwärts Festival in Wilhelmsburg gebucht. Mittlerweile arbeitet die Band mit dem Konzertveranstalter Karsten Jahnke zusammen. Und im kommenden Jahr geht es zum großen Showcasefestival SX/SW in die USA. Ich bin sehr gespannt, was da noch passieren wird.  

Roller Derby, Band
Roller Derby, pic by Martha Wurmus.

Pony Royale: brüchiger Indie-Pop

Dass sich eine Band neu formiert, bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie jung ist. Denn Aufbruch ist in jedem Alter möglich. Und die Liebe zur Musik erlischt ja nicht zwangsläufig jenseits der 40. Mitunter kommt zwischendurch einfach sehr viel Leben dazwischen. Broterwerb, Familie, sich orientieren und ernähren. Mit Pony Royale hat sich nun ein Trio zusammengefunden, dass sich zu zwei Drittel aus der einstigen Band Camping zusammensetzt. Eine Gruppe, die Mitte der 90er-Jahre im Windschatten der sogenannten Hamburger Schule segelte. Ihr Album „Gas und Freizeit Shop“ aus dem Jahr 1996 habe ich immer wieder sehr gerne gehört. Ein Song wie „Sommerhaus“ lotete in seiner spröden Eingängigkeit alternative romantische Lebensentwürfe aus. Und die Nummer „Du hast einen guten Haarschnitt“ fing perfekt den damaligen Zeitgeist ein. Irgendwo zwischen Sehnsucht, Tristesse und Distinktion.

Auf dieser schönen Platte spielte das Schlagzeug noch die wunderbare Sandra Zettpunkt. Später übernahm dann Tilmann Zuper die Drums. Und mit diesem hat Camping-Sänger und Songschreiber Thomas Mydlach nun Pony Royale gegründet. „Mehr als 20 Jahre und sieben Kinder später“, wie es in der Bandbio heißt. Komplettiert wird die Band von Roland Strehl am Bass, der auch schon lange in der Hamburger Szene unterwegs ist und in den Nuller-Jahren mit der Formation Zuhause feinen Gitarrenpop produziert hat. Von Pony Royale sind erst vier Songs als Demo-Versionen auf Bandcamp zu hören. Aber diese Rough-Mixe zeigen bereits, dass all das bereits gelebte Leben stark ins Songwriting einfließt. In brüchigen wie treibenden Indiepop-Songs singt Thomas Mydlach mit zärtlicher Lakonie von Trauer, Abschied und Älterwerden. Mit einer Nummer wie „Für eine bessere Welt“ zeigt Pony Royale aber auch politisch ganz klare Kante gegen Rechts. Am 10. Dezember spielt die Band ein allererstes Konzert in der Astra Stube. Ein erster Schritt nach draußen — aufregend.

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Pony Royale, pic by Melanie Dreysse.

klebe: entschleunigte Spannung

Auch die Hamburger Musikerin Liza Ohm ist keineswegs eine Unbekannte in der Hamburger Szene. Mit ihrem Projekt klebe hat sie sich jedoch noch einmal äußerst facettenreich gewandelt. Hin zu einem vielschichtigen Popsound, der mit seinen tiefsinnigen Texten transparent und berührend die Seele durchzieht. Noch gibt es nur wenige Songs von klebe zu hören. Doch diese Nummern nehmen so komplex und seismographisch Schwingungen und Stimmungen auf, dass ich sehr zuversichtlich bin: Da folgen ganz gewiss noch weitere tolle Lieder. In „Es ist Frühling“ erzählt Liza aus der Sicht der Angehörigen von Menschen, die an Depressionen erkrankt sind. Sehr klug transportiert sie Hoffnung und Erschöpfung gleichermaßen. Die Nummer richtet sich letztlich auch gegen eine Schönwettereuphorie im Sinne von „Ach, kann doch nicht so schlimm sein‟. Lizas schwebende Stimme ist dabei eingebettet in einen komplexen Kosmos aus Chören und Keyboardklängen, die eine entschleunigte Spannung entfalten.

In dem Song „Spazieren gehen“ wiederum thematisiert sie die Einsamkeit im Lockdown. „Seid Montag lächelt niemand mehr / im öffentlichen Nahverkehr‟, singt Liza alias klebe. Eine Künstlerin, die für ihre ruhigen Beobachtungen pointierte Bilder findet. Da überrascht es nicht, dass klebe dieses Jahr auch den Nachwuchs-Preis Krach + Getöse des Vereins RockCity Hamburg gewonnen hat. „Independent, edgy, lässig und dabei immer deep“, urteilte die Jury. klebe hat diesen Sommer zahlreiche Konzerte gespielt, etwa beim Dockville Festival. Bei der sechsten Ausgabe des Knust Guesthouse im August 2021 hat sie ihre Musik erstmals mit Band präsentiert und dafür eine regelrechte Hamburger Supergroup zusammengestellt: Dorothee Möller von The Girl & The Ghost, Tim Jaacks und Adam Basedow, der die Songs von klebe auch produziert. Am 26. November veröffentlicht klebe eine weitere Single. Und zudem wird sie bald neue Songs aufnehmen. Vorfreude!

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Liza Ohm, pic by Roscha Naleppa.

Onemillionsteps: rau groovende Energie

Die Berliner Firma Listen Collective, die Label, Musikverlag und PR-Agentur vereint, hat ein sehr schönes Portfolio feinsinniger Künstlerinnen und Künstler vorzuweisen. Etwa Sängerin und Multiinstrumentalistin CATT, die ich zu ihrem Album „Why, Why“ für das Hamburger Abendblatt interviewt habe. Oder Maria Basel aus Wuppertal und Elena Steri aus Nürnberg, die wir dieses Jahr beim Knust Guesthouse begrüßen durften. Vor einigen Wochen stellte mir Listen Collective nun den Song „When You’re Gone“ der Hamburger Formation Onemillionsteps vor. Auch wenn die Band bereits einige Jahre in wechselnden Besetzungen zusammen spielt, steht nun erst das Debütalbum an. Das liegt unter anderem daran, dass Nora Oertel (Gitarre, Gesang), Jonas Teichmann (Bass) und Max Schneider (Schlagzeug), die das aktuelle Trio ausmachen, in diverse andere popmusikalische und kreative Projekte eingebunden sind.

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Max Schneider, Nora Oertel und Jonas Teichmann, pic by onemillionsteps.

Nach einigen ruhigeren Jahren hat die Band nun 2021 verstärkt Singles als Vorboten für den Erstling veröffentlicht. Und der Wandel vom Folk- zum dynamischeren Indiepop ist deutlich zu hören. Zum Beispiel in „When You’re Gone“. Das Stück ist ein Abgesang auf toxische Beziehungen. Ein entschiedenes Stopp-Schild im Song-Format. Der Song erinnert mich in seiner rauen und doch groovenden Energie an „Heavy Cross“ von Gossip. Toll! Die im Oktober erschienene Nummer „Space Divinity“ wiederum schraubt sich immer wieder wie ein Spirale hoch, um sich dann in dunklen Sphären zu entladen. „Dieser Song ist beides: Dein Freund in einer existentiellen Krise und dein Drill-Instructor auf dem Dancefloor“, schreibt die Band auf ihrer Facebook-Seite. Immer wieder schön, wie vielseitig Musik doch funktioniert.  

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Biggy Pop — Take Five: fünf neue Songs aus Hamburg

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Die Uhren sind umgestellt. Der Abend kommt früher. Der Herbst ist die ideale Zeit, sich Geschichten erzählen zu lassen. In dieser Ausgabe meiner Reihe „Biggy Pop — Take Five“ stelle ich fünf neue Lieder vor, die in Hamburg erschienen sind. Welche Stories bergen diese Songs? Was sagen sie aus über die Gegenwart? Inwiefern liefern sie Denkanstöße? Und was für Fantasien beflügeln sie? Mit dabei sind Stücke von fluppe, Die Cigaretten, Lina Maly, Poems For Jamiro und The Kecks.

fluppe — „Aals“ 

fluppe, Aals, Single, Song, Musik, Hamburg, Pop, Take FiveMich faszinieren Geschichten, die stets eine gewisse Rätselhaftigkeit behalten. So ergeht es mir mit „Aals“ von der Hamburger Band fluppe. Mir gefällt das Bild, das Sänger Josef Endicott spröde sprechsingend entwirft: Wie Aale in den Morast hinabgleiten. Weit unten dem Aas begegnen. Dem, was halb zersetzt übrigbleibt. Zum einen lässt sich die Nummer verstehen als (kapitalistischer) Kreislauf von Fressen und Gefressen werden, wie die Band selbst erklärt. Für mich steckt in „Aals“ aber noch eine andere Deutung. „An der Oberfläche ist die Spannung manipuliert“, heißt es in der Mitte des Songs. Für mich transportieren die Lyrics den Wunsch, das allzu Offensichtliche zu verlassen. Tiefgang zu suchen, bedeutet aber immer auch, in die Dunkelheit zu gehen. Zu forschen in unwirtlichen Lebensräumen. Nicht immer klar sehen zu können. Und sich auch mit der eigenen Sterblichkeit zu befassen.

Passend dazu die Musik: eine düstere Dringlichkeit. Auch etwas Unbehagliches. Hinaus aus der Komfortzone. Schubladen lassen sich aufziehen und halb wieder schließen, um daraufhin neue zu öffnen. Post-Punk, Indie-Rock, German Angst, Hamburg Untergrund. Hauptsache, es bewegt. Und das tut Josef Endicott gemeinsam mit Gitarrist Christian Klindworth, Bassist Lars Brunkhorst und Schlagzeuger Antoine Laval. Zu finden ist „Aals“ auf der EP „Billstedt“, die diesen Oktober bei den Hamburger Labels Chateau Lala (digital) und La Pochette Surprise (Tape) erschienen ist. 

Die Cigaretten — „Psychose“

Die Cigaretten, Psychose, fünf neue Lieder, Single, Song, Musik, Pop, Take FiveMit Geschichten, in denen jemand mit Plüschtieren spricht, kriegt man mich ja sofort. Bei der Hamburger Band Die Cigaretten werden die soften Gefährten zu einer Art Ersatzfamilie, während die reale brutal wegzubrechen scheint. Ein Mädchen berät sich in ihrem Zimmer mit ihren Stofftieren. „Doch von unten hört man das Geschrei / etwas bricht in ihr entzwei“, heißt es in „Psychose“. Eine Grunge-Nummer, die zwischen Nachdenklichkeit und Eruption, zwischen Verzweiflung und Wut changiert.

Mir gefällt das Schlaglichtartige des Songs sehr. Wie da mit wenigen Sätzen ein düsteres Panorama entfesselt wird. Ein sozialer Abgrund, der sich aufgrund der Kürze umso heftiger und dunkler auftut. Zu hören ist „Psychose“ auf der EP „Crashkid“, die Die Cigaretten dieser Tage bei Audiolith Records veröffentlicht haben. Besonders beeindruckend ist auch das psychedelisch-filigrane Cover-Artwork von Ruscha Voormann, der Tochter von Illustrator Klaus Voormann.  

Lina Maly — „Fühl“ feat. Antje Schomaker

Lina Maly, Fühl, Antje Schomaker, fünf neue Lieder, Single, Song, Musik, Hamburg, Pop, Take Five„Fühl“ ist ein Song, der nach Intimität und Rückzug klingt. Die Hamburger Sängerin Lina Maly erzählt von Vertrautheit und Geborgenheit. Bei ihr driften diese Begriffe jedoch nicht ins Teezettelchenhafte ab. Vielmehr lässt sie diese vermeintlich einfachen Gefühle vielschichtig schillern. Mit warmer sachter Stimme und puristischem Arrangement zur Gitarre singt Lina Maly von feinen Augenblicken der Nähe, aber auch von deren Flüchtigkeit: „Doch dieses wundersame Schweigen hat kein Bleiben / und manche Dinge sind nur schön, wenn man weiß, sie vergehen.“

Ein Lied, als kommt man nach einem Herbstspaziergang nach Hause. Wenn sich eine wohlige Ruhe ausbreitet. Durch das behutsam angelegte Duett mit Antje Schomaker erhält „Fühl“ weitere schön leuchtende Nuancen. Den Song hat Lina Maly im September auf ihrer EP „Hush Hush / Hamburg“ herausgebracht — und zwar auf ihrem eigenen Label Drei Tulpen Records.  

Poems For Jamiro — „Change“

Poems For Jamiro, Change, fünf neue Lieder, Single, Song, Musik, Hamburg, Pop, Take FiveMit ruhiger Kraft erzählt das Hamburger Duo Poems For Jamiro von Veränderung. „Change“ ist ein eindringlicher Popsongs, der dafür plädiert, sich Zeit zu lassen, um Wandel zu bewirken. „At the very right time in the very right place / we make a change“. Mich spricht der Text sehr an. Denn häufig habe ich das Gefühl, dass ich für Neujustierungen zunächst eine gewisse Gärphase brauche. Und auf einmal fühlen sich Zeit und Ort genau richtig an, um Dinge mit frischem Wind anzugehen. Eine Art innerer Shift, der dazu beiträgt, anders auf Situationen, Menschen und sich selbst zu blicken. Mir gefällt es sehr gut, wie klug und bedacht die Sängerinnen und Multiinstrumentalistinnen Nina Müller und Laila Nysten all die Prozesse verdichten, die zu nachhaltigen Veränderungen führen. Schmerz anerkennen, Vergangenes loslassen, Eigenverantwortung übernehmen.

Ihr poppiger Appell, der noch verstärkt wird durch energetische Drumbeats, lässt sich sowohl auf persönlicher Ebene lesen als auch gesellschaftlich. Und gerade in der aktuellen Corona-Krise, in der sich vieles nach überfordernder Stagnation anfühlt, vermittelt Poems For Jamiro mit „Change“ einen hoffnungsvollen Spirit. Ihre Single ist im Oktober bei dem Hamburger Label Popup Records erschienen.  

The Kecks — „All For Me“

The Kecks, All For Me, Single, Song, Musik, Hamburg, Pop, Take FiveDie merkwürdigen und dunklen Seiten der Liebe lotet die Hamburger Band The Kecks aus. „All For Me“ besitzt eine elegante Melodramatik, wie ich sie etwa bei Jarvis Cocker und Pulp liebe. Andererseits bricht in dem Song auch immer wieder etwas Rohes hervor, das an der Seele reißt. Eine düster-romantische Indie-Ballade, deren Lyrics mich an diesen Blumfeld-Vers erinnern: „Wir sind politisch und sexuell anders denkend“.

„If that seems strange / well, I can’t really help it / cause we’re not arranged like the others“, singt Lennart Uschmann. Und die Gitarre scheint seine Ausführungen ohne Worte fortzusetzen. Erst schlendernd, dann ausbrechend. Das Video zu „All For Me“ unterstreicht den theatralen Charakter der Nummer. Im Stil der Commedia dell’arte betreten maskierte Figuren die Bühne und verfallen allmählich den Obsessionen, von denen Uschmann singt. Das Surreale wird ausgestellt wie in einem Museum. Uschmanns weiß geschminktes Gesicht ist zudem eine feine Verneigung vor David Bowies Verwandlungen zum Harlekin. Ganz bewusst veröffentlichen The Kecks ihre Musik übrigens nach dem DIY-Prinzip. Also: Vorhang auf für diesen tollen Song. 

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„Biggy Pop — Take Five“: Popmomente der Zehnerjahre

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Tschüs Zehnerjahre. Ahoi 20er. Ob sie nun wild, ruhig oder komplex werden mögen. In meiner Reihe „Biggy Pop — Take Five“ geht es heute um prägende persönliche Popmomente des vergangenen Jahrzehnts. Letztlich gibt es Hunderte und Tausende solcher Situationen, die musikalisch aufgeladen sind. Die bewegend, lehrreich und herzerweiternd waren. Aber womöglich bleiben jene Erlebnisse am ehesten in Erinnerung, die überdeutlich zeigen: Musik verbindet. 

Flight Of The Conchords in Kopenhagen: Die Reise zum Nerd

2010 war für mich das Jahr des Nerds. Ich überlegte, mit „Nerdship“ eine Singlebörse für merkwürdige Menschen zu eröffnen. Ich schrieb fürs Hamburger Abendblatt eine Geschichte über die Kultur des Kauzigen mit der Überschrift: „Im Informationszeitalter sind wir die Alpha-Männchen“. Ich kaufte trotz guter Augen eine Brille mit schwarzem Gestell, um meinen inneren Nerd zu kanalisieren. Und noch lieber als „The Big Bang Theory“ schaute ich „Flight Of The Conchords“. Jene Serie über zwei Neuseeländer in New York, die sich als Singer-Songwriter durchschlagen, aber so arm sind, dass sie sich eine Kaffeetasse teilen müssen. Ihre grandiosen Parodien auf Popsongs und Musikstile könnten einen natürlich zu der These verleiten: Es gibt nichts Neues mehr. Es bleibt nur noch, sich über Altes lustig zu machen. Aber da ich ja Kulturoptimistin bin, waren Flight Of The Conchords für mich einfach ein schön-schrulliger Auftakt der Zehnerjahre. Eine Aufforderung, quer auf die Dinge zu blicken.

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Beim Auflegen mit dem Radiokollektiv Das Draht in der Hasenschaukel auf St. Pauli 2010. Die Bar schloss 2016

Um dieses Lebensgefühl zu feiern, fuhren wir zu viert nach Kopenhagen, um unsere Underdog-Helden Flight Of The Conchords live zu erleben. In meinem Fotoalbum nannte ich die Reise den All-Girl-Nerd-Weekender. Unser Auto fing kurz vor Lübeck an, Geräusche zu machen. Ein Zwischenstopp bei einer Werkstatt am Wegesrand ergab, dass wir mit einem Mietwagen weiterfahren mussten. In Kopenhagen stellte sich heraus, dass es einen Buchungsfehler gab, weshalb wir ersatzweise in einem unglaublich versifften Bed And Breakfast einquartiert wurden. Die Stadt war teuer und ausgebucht. Also blieben wir. Am Kühlschrank hingen Fotos unserer Vermieterin Ulla aus besseren Tagen. Und wir überlegten, was wohl in der Zwischenzeit passiert sein mag. Warum irgendwann die Kraft fehlte, sich und die Wohnung zu sortieren. Wir stromerten durch die pittoreske Stadt. Unbeschwerte Tage voller neu wachsender Witze. Von dem Konzert im Falconer Salen weiß ich nur noch, dass wir relativ weit weg von der Bühne saßen. Dass es lustig, aber nicht weltbewegend war. Die guten Momente hatten wir bereits vorher geschaffen. 

Pulp und Sufjan Stevens beim Primavera Festival: Nostalgie und Neues

Im Jahr 2011 reisten wir zum Primavera nach Barcelona. Anlass war, dass die von uns verehrten Pulp ihr erstes Reunion-Konzert für das Festival angekündigt hatten. Wir waren also so alt geworden, dass wir Bands aus unserer Vergangenheit neu aufleben lassen wollten. Dass wir ein Gefühl von Aufbruch suchten, dass uns in den 1990er-Jahren prägte. „Let’s all meet up in the year 2000“, sang Jarvis Cocker damals. Wie weit das schon wieder weg schien. Und so standen wir um halb zwei nachts in der spanischen Sommernacht auf dem Asphaltboden des Open-Air-Geländes inmitten von Fans, die aus Manchester angereist waren. Und wir schrieen die Verse mit, als müssten wir ihre Gültigkeit lautstark in den dunklen Himmel meißeln. „Wanna live with common people like you.“ War das nun das Ende der Ironie und der Anfang der absoluten Retromania? Oder ein Abschied, der Platz machte für etwas Neues? Für Sufjan Stevens zum Beispiel, der ebenfalls auf dem Festival spielte.

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Fly me to the moon: Sufjan Stevens beim Primavera Festival 2011.

Keinen Künstler habe im Laufe der Zehnerjahre mehr angehört, schätze ich. Damals war ich noch kein Hardcore-Fan, aber wir stellten uns für sein Indoor-Konzert in einer Art Messehalle an. Und als er mit seinem Konzert begann, verschob sich etwas in mir. Einer dieser Popmomente, der abgespeichert bleibt, weil sich etwas öffnete. Verwirrend und beglückend und überwältigend. Die Band startete. Und ich fing an zu weinen. Heulen ist wohl das bessere Wort. Ich konnte ebenso wenig aufhören wie der Typ in der Reihe hinter mir. Eine spezielle Energie lag im Raum. Sufjan Stevens trug Engelsflügel. Und bunte Luftballons stiegen mit den Harmonien und der Melancholie und der Hoffnung empor. Ich bin immer wieder zutiefst dankbar, wenn sich solche magischen Popmomente ereignen. Nicht planbar. Und wunderschön.

Nils Koppruch: Abschiede und Weiterwirken

Die Zehnerjahre waren die Dekade, in der der Tod Einzug hielt. Privat und popkulturell. Die einfache Erkenntnis bleibt: Trauer ist letztlich der Auftrag, noch intensiver und bedachter zu leben. Noch freudvoller. Noch verzeihender. Noch leichter. Genannt sei an dieser Stelle Nils Koppruch. Gestorben am 10. Oktober 2012. Ich hatte noch nie einen Nachruf geschrieben über jemanden, den ich persönlich kannte. An diesem Tag bei der Zeitung zog ich mich in ein Einzelbüro zurück und hörte seine Lieder. Ich erinnerte mich an ein Kaffeetrinken an der Wohlwillstraße auf St. Pauli. Eine Stunde Wahrhaftigkeit, nach der andere ihr Leben lang suchen. Offener Blick unter Stirnfransen. Dieses Tiefe und Verschmitzte.

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Vernissage in der Galerie Oberfett mit Bildern von Nils Koppruch 2017

Immer wieder kommen Menschen zusammen, um sich von den Bildern inspirieren zu lassen, die Nils Koppruch geschaffen hat. Musikalisch und als Maler. Da war zum Beispiel dieser Abend in der Galerie Oberfett in Altona im September 2017, wo die Werke von Nils Koppruch zu einer einmaligen Ausstellung zusammengetragen wurden. Aus Wohn- und Kinderzimmern, Küchen, Büros und Cafés brachten Freunde und Fans seine Kunst herbei. Hirsche, Vögel und Wale. Badende und Angler. Nackte und Trinkende. Aus der Zeit und ins Leben gefallen. Und immer wieder singen Menschen seine Lieder. So zum Beispiel die Band Staring Girl bei einem Konzert im Knust Anfang 2019. Das Gute bleibt. Und verbindet. Nils Koppruch wusste das, als er sang: „Und erzähl mir die Stille, / mach, dass ich weiß, du bist immer noch da, / auch wenn du schweigst.“ 

Tonbandgerät in New York: Wegbegleitung durch die Zehnerjahre

Die gesamten Zehnerjahre durfte ich das Hamburger Quartett Tonbandgerät auf ganz unterschiedlichen Ebenen begleiten. Die nahbare Poesie von Texterin Sophia Poppensieker und der unmittelbare Gesang von Ole Specht hatten bei mir bereits 2008 mit dem Song „Ozean“ einen feinen Nerv getroffen. Isa Poppensieker am Bass und Jakob Sudau am Schlagzeug komplettieren diese ultimativ sympathische Band. Irgendwie strahlten die vier für mich schon immer eine verspielte Reife aus. Offen, neugierig und zugleich reflektiert. Und ich freue mich riesig, wie Tonbandgerät nach und nach gewachsen ist mit ihrem federleichten tiefgängigen Pop. Und wie gut sie nach wie vor miteinander wirken. Mit „Zwischen all dem Lärm“ ist 2018 das nun mehr dritte Album erschienen, das „die Geräte“ in diesem Jahrzehnt veröffentlicht haben.

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Auf der Brooklyn Bridge 2014

Einer meiner liebsten Popmomente mit Tonbandgerät ist ihr Auftritt in einer Schule in New York im Frühling 2014. Die Band war im Auftrag des Goethe Instituts auf Tour durch die USA. Mit Nightliner und allem drum und dran. Ich hatte bei Freunden in der Nähe übernachtet und lief am Morgen hoch nach Harlem, um Ole, Sophia, Isa und Jakob in der Aula der High School zu treffen. Das junge Publikum wurde mit den typischen gelben Schulbussen aus der Umgebung angekarrt. Die Schülerinnen und Schüler hatten die Songs von Tonbandgerät vorher im Unterricht durchgenommen. Und da standen sie die amerikanischen Fans dann mit ihren selbst gemalten Schildern, schrieen und sangen die Verse mit. „Es ist alles wieder da / nur irgendwann anders.“ Am Tag zuvor war ich mit der Band durch Manhattan und über die Brooklyn Bridge gelaufen. Etwas Vertrautes im Anderswo. Und Zeugnis dessen, wohin die eigene Schaffenskraft einen führen kann. 

Molotow: Tanzen im guten wilden Hamburg

Freunde dieses Blog wissen, dass ich großer Fan des Molotow Musikclubs bin. Der Laden steht für sehr vieles, was in dieser Stadt popkulturell schlecht läuft und gleichzeitig besonders toll ist. Verdrängung, Gentrifizierung, Unsicherheit und Arbeiten unter prekären Bedingungen einerseits. Und andererseits Solidarität, Ideenreichtum und das gute wilde Leben. Häufig habe ich bereits über Nächte im Molotow geschrieben. Über famose Festivals wie die Burger Invasion zum Beispiel. Oder über besondere Konzerte wie den Record-Release-Abend von Die Höchste Eisenbahn. Die Zehnerjahre sind für das 1990 gegründete Molotow die wohl bewegendste Dekade gewesen. 2013 der Auszug aus den Esso-Häusern. Der Umzug in ein Interimsquartier an der Holstenstraße. Und schließlich im Herbst 2014 der Einzug des Molotow in das jetzige Quartier am Nobistor — ein mehrgeschossige Entdeckeroase in Sachen Rock ’n‘ Roll. Und ein Zuhause für alle musikalischen Wahlverwandten.

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Eingangsbereich des Molotow im Frühjahr 2015

Oft sind es für mich die kleinen Popmomente, die mich immer wieder aufs Neue verbinden mit diesem Ort. Die Möglichkeit zum Beispiel, sich im Halbdunkel tanzend zu verlieren. Und die Musik noch einmal anders zu finden. Intensiver. Aufregender. Soghafter. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich im Molotow das erste Mal „Red Eyes“ von The War On Drugs hörte — erschienen auf ihrem 2014er-Album „Lost In The Dream“. Verloren im Traum. Das Keyboard setzt ein. Die Gitarren kommen hinzu. Der Gesang startet unaufgeregt. Der Sound deutet die Euphorie bereits an. „I won’t get lost inside it all, I’m on my way.“ Zwischenzeitig explodiert dann der gesamte Song ganz sanft aufs Schönste. Und mit ihm die Tanzfläche. Das Herz sowieso.

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Biggy Pop – Take Five: Meine Hamburger Pop-Woche

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Bei „Biggy Pop – Take Five“ geht es heute um meine ganz persönliche Popwoche, aus der ich fünf Aspekte herausgepickt habe. Und das war gar nicht so einfach. Denn in dem Zeitfenster, in dem wir uns gerade befinden, ist schlichtweg irre viel los.

Die Sommerferien sind vorbei. Das musikalische Leben nimmt auch jenseits von Open Airs wieder Fahrt auf. Und bevor das Reeperbahn Festival popkulturell alles in einem großen Strudel absorbiert, bitten Veranstalter und Netzwerker noch einmal um unsere bestenfalls ungeteilte Aufmerksamkeit. Tage und vor allem Abende, an denen ich mich hervorragend fünfteilen könnte, ohne dass es in Hamburg langweilig würde.

Die hier herausgestellten Punkte von „Biggy Pop – Take Five“ sollen vor allem abbilden, wie vielfältig die hiesige Szene agiert. Und beim Lesen möchte ich definitiv dazu anregen, rauszugehen und mitzumischen. Viel Spaß!

1. Sommerfest von Clubkombinat und Popup Records

Auf dem Gelände von Sommer in Altona mit seinem hübschen Zirkuszelt lud die Bahrenfelder Plattenfirma Popup Records am Montag gemeinsam mit dem Clubkombinat Hamburg zum Sommerfest. Ein lauschiges Hallo von rund 300 passionierten Pop-Arbeitern und Musik-Nerds in unmittelbarer Nähe zur Reeperbahn.

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Für mich hatte der Abend noch eine besondere Bedeutung. Denn das Clubkombinat, das sich für die Belange der Hamburger Spielstätten einsetzt, feiert in diesem Jahr seinen 15. Geburtstag — und ich durfte eine vierteilige Dokumentation zum Jubiläum verfassen. Zudem erzählt ein Film die Geschichte des Vereins, dessen Dreh ich journalistisch begleitet habe. 

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Fotos: Clubkombinat

An diesem Abend wurde jedoch nicht nur getrunken und geredet, sondern auch öffentlich diskutiert. Unter dem Titel „15 Jahre Clubkombinat — Music was my first love“ unterhielten sich Susanne „Leo“ Leonhard (Docks/Prinzenbar), Claudia Mohr (Waagenbau), Holger Jass (Ex-Onkel Pö) und der Rapper Das Bo. Moderiert wurde der Talk von meiner grandiosen NDR-Kollegin Siri Keil, die mit mir zum Team des neuen Formats Nachtclub Überpop gehört. Ich liebe es, wenn auf einem Fleck derart geballtes Pop-Engagement zusammenkommt. 

2. MusicHHwomen MeetUp

Unglaublich viel popkulturelle Kompetenz und Leidenschaft war am Dienstag beim Netzwerktreffen der Initiative MusicHHwomen zu erleben. Bei schwül-dampfenden Höchsttemperaturen versammelten sich Popkünstlerinnen und Musiker, Journalistinnen, PR-Fachfrauen, Veranstalterinnen, Labelmitarbeiterinnen, Bookerinnen, Technikerinnen und Musikmalocherinnen unterm Dach der Bar Kleiner Donner in der Schanze. Die Community hat sich 2017 mit dem Ziel gegründet, all den coolen Ladies aus dem Business eine Plattform zu bieten. Der Verein RockCity Hamburg, treibende Kraft hinter diesem Netzwerk, bot einen ersten Einblick in die MusicHHwomen-Datenbank, die offiziell zum Reeperbahn Festival gelauncht wird. 

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Ich bin immer wieder stark beeindruckt, welch konstruktive Atmosphäre das RockCity-Team zu erzeugen versteht. An diesem Abend durfte ich als eine von vier Speakerinnen von meinem Werdegang als Musikjournalistin und Texterin erzählen. Im Anschluss wurden wir Expertinnen an Tische gesetzt, um individuell Fragen zu beantworten. Ich bin ganz baff, mit wie viel Elan und Persönlichkeit zahlreiche Frauen in die Branche drängen. Dutzende inspirierende Gespräche und Kurz-Coachings später radelte ich erfüllt nach Hause.

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Doreen Schimk von Warner Music im Gespräch, fotografiert von Julia Schwendtner (ebenso obiges Foto)

Besonders nachhaltig bin ich von den anderen Speakerinnen und ihren Geschichten begeistert: Die einflussreiche Musikmanagerin Rita Flügge-Timm erzählte klug davon, wie sie ihren Weg ins Musikgeschäft fand und welche Begegnungen von Falco über Roger Cicero bis zu Udo Lindenberg sie in ihrem Schaffen geprägt haben. Promotion-Powerhouse Doreen Schimk von Warner Music berichtete leidenschaftlich von ihrer Flucht aus der DDR 1988, vom Engagement in der Roten Flora bis hin zu ihrer heutigen Major-Position mit Dutzenden Mitarbeitern. Und Pianistin Gudrun Lehmann schilderte aufschlussreich, warum sie bevorzugt Musik für Filme und Serien komponiert — und weshalb sie sich für Pro Quote Film einsetzt. Moderiert wurde diese anregende Sause von Sängerin Sarajane.

3. Neue Konzertorte für Hamburg

Das altehrwürdige Hansa Theater ist eigentlich ein Ort für bunte Varieté-Abende mit dressierten Tieren und bauchredenden Menschen, mit Artisten und Clowns. Jetzt haben sich die Betreiber Thomas Collien und Ulrich Waller entschlossen, das Haus am Steindamm nahe des Hauptbahnhofs erstmals für Konzerte zu öffnen. Gemeinsam mit dem Musikjournalisten Stefan Krulle gründeten sie den St. George Club — benannt nach dem Viertel, in dem das plüschige Theater mit seinen knapp 500 Sitzen beheimatet ist. Den Anfang machte am Mittwoch — bei gefühlt 50 Grad Raumtemperatur — der Jazztrompeter Nils Wülker mit seiner Band. Ein eindringliches Konzert, dessen guter Sound große Lust macht auf mehr Musik im Hansa Theater. 

Ich freue mich immer, wenn sich in der Stadt weitere Spielstätten finden, wo Pop zu erleben ist. Von daher bin ich sehr gespannt auf die neue Open-Air-Fläche, die nun für die Saison 2020 angekündigt wurde. Im Juli nächsten Jahres will STP Hamburg Konzerte auf dem Gelände vor dem Volksparkstadion eine Reihe von Konzerten mit bis zu 20.000 Besuchern veranstalten. Als erste bestätigte Show treten am 11. Juli 2019 die Rapper Alligatoah, Pimpulsiv, DNP und Sudden alias Trailerpark auf. Eingeweiht wurde das Areal bereits im August 2017 mit einem ausverkauften Konzert der dänischen Band Volbeat. Weitere Ankündigungen sollen in den kommenden Wochen folgen.

4. Aktuelle Alben aus Hamburg

Onejiru, Record, Cover, Higher Than High, Singer, Hamburg, KeniaWie rührig die Hamburger Pop-Szene ist, lässt sich zum Glück nicht nur an Arbeiten im Hintergrund ablesen, sondern auch an neuen Veröffentlichungen. In der Popkolumne des Hamburger Abendblatts schreibe ich über die aktuellen Alben von Sängerin und Aktivistin Onejiru, von Slacker-Queen Ilgen-Nur, von der Soul-Supergroup namens Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen sowie von Keele, deren Album ich zudem bereits auf dem Blog besprochen habe.

5. Auflegen auf der Hedi

Für mich ist es immer ein ganz besonderes Erlebnis, auf der Barkasse Frau Hedi Musik aufzulegen. Meistens agiere ich solo als Biggy Pop — natürlich immer verstärkt durch ein tolles Skipper- und Barteam.

DJ, Biggy Pop, Frau Hedi, boat, cruise, Hamburg, Harbour, Club, PartyDiesen Samstag geht es jedoch mit meinem heiß geliebten Radiokollektiv Das Draht an Bord. Normalerweise produzieren wir journalistisch kuratierte Sendungen für das Internetradio Byte FM. Ab 19.30 Uhr geht es mit Soul, Hiphop, Indierock und Pop aber wogend  über die Elbe. Ich liebe es, die Atmosphäre unter den Anwesenden musikalisch aufzugreifen und mit meinem Set zu euphorisieren. Außerdem: Hafen und Herzblut, Schnaps und Sound — mehr Sommer geht kaum. Kommt gerne vorbei, es gibt noch Karten. 

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Biggy Pop – Take Five: Hamburger Songs mit Haltung

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Yeah, Yeah, Yeah! Mein Blog über Popmusik in Hamburg feiert ein kleines feines Jubiläum – den 50. Eintrag. Und aus diesem Anlass habe ich mir eine neues Format überlegt, das ich in unregelmäßigen Abständen präsentieren möchte: Biggy Pop – Take Five.

Die Idee entstand, weil täglich viel neue Songs und Alben sowie zahlreiche Musik-Infos bei mir eintreffen. Mit Biggy Pop – Take Five möchte ich diese popkulturelle Fülle unter verschiedenen Schwerpunkten bündeln. Das können mal fünf spannende Neuigkeiten aus der Hamburger Szene sein, mal fünf kuriose Konzertbeobachtungen, mal fünf interessante Aussagen von Musikern, mal eine Vorschau auf fünf besondere Festivals, mal fünf Tresenweisheiten. Ihr versteht.

Take Five: Songs, die kritisch und konstruktiv auf unsere Zeit blicken

Anfangen möchte ich mit fünf aktuellen Songs aus Hamburg, die meines Erachtens nach kritisch und konstruktiv auf unsere Zeit blicken. Also, I proudly present Biggy Pop – Take Five: Hamburger Songs mit Haltung.

1. Die Goldenen Zitronen: „Katakombe“ („More Than A Feeling“, Buback)

More Than A Feeling, Buback, Die Goldenen Zitronen, Pop, HaltungZugegeben, es ist fast schon vermessen, bei einem Album der Goldenen Zitronen nur einen einzigen Song mit Haltung auswählen zu wollen. Daher fiel mir auch bei „More Than A Feeling“ die Auswahl schwer. Die 13. Platte der Hamburger erscheint am 8. Februar beim Label Buback. Und die querdenkende wie -spielende Crew um Schorsch Kamerun analysiert und assoziiert sich da grandios nervös groovend durch unsere Gegenwart – vom Trump’schen Mauerbau bis zum Hamburger G20-Gipfel.

Stellvertretend für die elf neuen Stücke habe ich mich für den Opener „Katakombe“ entschieden. Unheilvoll dröhnt da der Bass. Und wütend proklamiert Schorsch Kamerun. Er schlüpft in die Stimmen der anderen. Jener, die ihre Fremdenfeindlichkeit mit Lügen zu rechtfertigen versuchen. Gegengeschnitten sind die, die die stumpfen Plattitüden ganz klar hinterfragen und kommentieren. „Sicher das?“ Der Song reproduziert die überreizte Atmosphäre, in der Diskussionen mittlerweile real und online geführt werden dieser Tage. Ein dunkles diskursives Rave-Stück. Und Schorsch Kamerun als Rufer in einer schwarz-weißen Wüste. Eine dringliche Aufforderung, die Hassenden nicht einfach reden zu lassen.

2. Dendemann: „Keine Parolen“ („da nich für!“, Vertigo Berlin)

da nich für, vertigo, Dendemann, Pop, HaltungDendemann, Dickschiff aus der Hamburger Rapszene, mittlerweile Wahlberliner, haut uns im lässigen Flow unsere eigene Bequemlichkeit um die Ohren. „Keine Parolen“ ist zu hören auf seinem neuen Album „da nich für!“, das Ende Januar bei Vertigo Berlin veröffentlicht wurde. Sounds und Beats erzeugen für mich einen beklemmenden Sog. Und der Titel ist so doppeldeutig wie die alltägliche Doppelmoral, die sich eingeschlichen hat. Wenn ich „Dende“ richtig verstehe, moniert er Folgendes: Natürlich will der aufgeklärte Großstädter keine Parolen vom rechten Rand. Aber bei jenen, die sich in ihrem Leben eingerichtet haben, mangelt es häufig an der Bereitschaft, mit eigenen Statements, mit klaren Prinzipien und beherzt artikulierten Haltungen dem erstarkenden Rechtspopulismus entgegenzutreten.

„Unser Rückgrat ist stufenlos verstellbar“, rappt Dende smart, rau und mahnend. Zudem: „Wenig Ehre, viel Desinteresse, kaum Anstand, immer Gästeliste“. Und mit einem hübschen Dreh twistet Dendemann vom Lamento des saturierten Bürgers hinein in den Hit „Alles was ich will (ist die Regierung stürzen)“ aus dem Jahr 1990 von Die Goldenen Zitronen (siehe oben). In „Keine Parolen“ klingt das Goldies-Zitat allerdings arg verzögert und phlegmatisch. Leute, so wird das nichts mit der Revolution.

3. Botschaft: „Herrschaftsfrei“ („Musik verändert nichts“, Tapete Records)

Botschaft, Tapete, Musik verändert nichts, Pop, HaltungIn einem softeren Drive, aber nicht minder gehaltvoll kommt die Selbst- und Sozialkritik bei der Hamburger Band Botschaft daher. Am 8. Februar erscheint bei Tapete Records ihr Debütalbum „Musik verändert nichts“. Das klingt ja zunächst einmal desillusioniert. Der ultrapoppige, leicht schwebende Sound des Quintetts entfaltet seine Wirkung in Kombination mit den Lyrics von Sänger Malte Thran jedoch subtiler. Ein Song wie „Herrschaftsfrei“ erzählt meiner Ansicht nach davon, wie die Gesellschaft und ihre moralischen Vorstellungen bis in unsere innigsten Beziehungen vordringen. Wie selbst unser intimstes Fühlen von Hierarchien durchzogen ist. „Aus Abhängigkeit schöpfst du Vertrauen“, singt Thran. Gibt es sie also, die wahre Liebe, oder ist das alles ein Resultat der Umstände? Muss ich noch weiter drüber nachdenken.

4. Disarstar: „Alice im Wunderland“ („Bohemien“, Warner Music)

Disarstar, Warner, Bohemien, Pop, HaltungMit seinen Aussagen direkt auf die Zwölf gibt uns der Hamburger Rapper Disarstar, dessen Album „Bohemien“ am 15. Februar bei Warner Music veröffentlicht wird. Vorab hat er bereits die Single „Alice im Wunderland“ ausgekoppelt. Der junge Hiphopper ist keiner, der auf Bling, Posen und Drogen setzt, sondern auf Sprechgesang mit Bewusstsein. Zum Magengrubenbeat redet Disarstar – unverkennbar – AfD-Politikerin Alice Weidel ins Gewissen. „Lass das mit der Festung Europa / Geh‘ doch wieder ins Büro zu Goldman Sachs / Und spiel‘ Poker, Alice“, rappt Disarstar mit tiefem Wumms. Ich bin positiv überrascht, dass ein Majorlabel einen derart meinungsstarken Künstler herausbringt und sich somit deutlich positioniert. Und so beginnt der Infotext zu „Bohemien“ auch mit der Ansage: „Unpolitisch sein? In der heutigen Zeit? Absolut keine Option.“ Word.

5. Neonschwarz: „Der Opi aus dem 2. Stock“ („Clash“, Audiolith)

Clash, Audiolith, Neonschwarz, Pop, HaltungClash“ von den Hamburger Hiphoppern Neonschwarz ist schon seit vergangenen Herbst draußen, aber nicht minder aktuell. „Der Opi aus dem 2. Stock“ ist das Gegenteil von einem Partytrack, sondern eine nachdenkliche Rap-Nummer. Piano- und Bläser-Einschübe zu versiert verschlepptem Beat. Toll arrangiert, ernstes Thema. Marie Curry und ihre Crew erzählen von einem alten Mann, Opfer des Nationalsozialismus, Überlebender des Zweiten Weltkriegs, der traumatisiert und vereinsamt in seiner Wohnung lebt. Er ist schockiert, wie viele die Geschichte verdrängen. Und wie das alte Gedankengut neu erstarkt. Neonschwarz gibt ihm eine Stimme. Never forget.

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