Jetzt soll also endlich live mit Publikum gesaust und gebraust werden: Bereits zum 14. Mal vergibt die Popkultur-Institution RockCity Hamburg gemeinsam mit der Haspa Musik Stiftung den Musikpreis Krach+Getöse. Fünf Newcomer*innen erhalten dabei nicht nur ein Preisgeld von jeweils 1200 Euro, sondern ein individuell zugeschnittenes Förderpaket. Von Netzwerken und Medienpräsenz über Beratung bis hin zu Slots auf Festivals und in Studios. Ein hübscher Booster also für alle, die durchstarten möchten in der Branche. Zumal nach gut zwei Jahren Corona-Bremse.
Noch bis zum 28. April können sich Musiker*innen und Bands aus Hamburg und der Metropolregion bei Krach+Getöse bewerben. Und, Premiere: Diesmal ist die Preisverleihung am 21. Juni ganz real, offline und mit Menschen als smarte wie inspirierende Gala geplant. Im plüschigen Imperial Theater auf St. Pauli soll es eine bunt glitzernde Award Show geben. Mit Unterhaltung, Musik, Talk und natürlich mit Lobreden sowie Pokalen für die fünf Gewinner*innen. Angedacht war ein solches Rundum-Glücklich-Event bereits 2020.
Für Andrea Rothaug, Geschäftsführerin von RockCity Hamburg, ist Krach+Getöse gerade in diesem Jahr besonders wichtig: „Unter den besonderen Umständen, die wir 2022 mit immer noch Corona und höchst besorgniserregenden Kriegsgeschehnissen vorfinden, geben wir jungen Musikschaffenden so viel substanziellen Support, wie es eben geht. Die Auswirkungen der Krisen hinterlassen tiefe Schlaglöcher in den popkulturellen Szenen — hier und in der ganzen Welt. Mit der konkreten Unterstützung und Netzwerkarbeit für die Preisträger*innen hilft der Hamburg Music Award Krach+Getöse 2022 dem Nachwuchs wieder in die Spur.“
Yassin über MySpace und Spotify, Algorithmen und Bauchgefühl
Renommierte Künstler*innen aus dem Spannungsfeld von Pop, Indierock, Noise, Avantgarde und Hip-Hop werden die Bewerbungen bei Krach+Getöse sichten, anhören und diskutieren. Die Fachjury besteht aus Cassandra Steen, Yassin, Hendrik Otremba, Oyèmi Noize und Reimer Bustorff von der Band Kettcar. Ich freue mich sehr, dass ich mich anlässlich von Krach+Getöse mit Yassin austauschen konnte.
„Back im Game Vol. 1“ heißt sein aktuelles Album, dass Yassin gemeinsam mit Audio88 und Torky Tork veröffentlicht hat. Battle-Rap trifft da auf gesellschaftskritische Töne. Im Interview schauen wir zurück auf seine Anfänge im Hip-Hop. Es geht um DIY-Geist und seine Entwicklung als Künstler. Um MySpace und Spotify, um Fanbase und Algorithmen, um Bauchgefühl und um den Fokus auf Musik. Zudem haben wir darüber gesprochen, ob er die heutige Musikbranche mit ihrer starken Digitalisierung als Hürde oder Chance für Newcomer*innen sieht.
Wenn Du an Deine Zeit als Newcomer in den Nuller-Jahren zurückdenkst: Was war das damals für eine Energie? Welche besonderen Herausforderungen gab es für Dich? Und was waren die größten Lerneffekte?
Yassin: Als ich circa 2002 angefangen habe Musik zu „releasen“, war klar, dass das Untergrund-Musik ist. Das war auch Teil des Konzepts und das sollte bewahrt werden. Damals war die Tape-Kultur noch ziemlich präsent, weshalb wir anfangs weder an CD noch Vinyl überhaupt nur gedacht haben. Das hat sich mit der Zeit natürlich geändert, aber das Eis ist bei mir sozusagen gebrochen, bevor es tatsächlichen Kontakt mit der Musikindustrie gab. Danach kam dann MySpace, was tatsächlich alles verändert hat. Man konnte sich mit seiner Musik ohne Budget oder Musikvideos präsentieren und ganz effektiv eine Fanbase aufbauen und mit der kommunizieren.
Es war aber wie bei den Tapes alles sehr DIY und rückblickend betrachtet finde ich das auch gut so. Im Prinzip ist es heute genauso, nur dass halt kein Plattenladen und keine MySpace-Bubble mehr entscheidet, wer dich hört, sondern Algorithmen. Mir war die menschliche Empfehlung lieber. Und ich glaube, mit der kam ich besser klar, als ich heute als Newcomer mit den Algorithmen klar käme.
Digitalisierung, soziale Medien, Playlist-Pitching, Selbstvermarktung: Die Musikbranche hat sich massiv gewandelt in den vergangenen 20 Jahren. Siehst Du diese Veränderungen eher als Chance oder als Hürde für Newcomer*innen?
Yassin: Wie gesagt, ich stelle es mir schwierig vor, wenn es nicht „klappt“. Klar, es wird oft von den wenigen Fällen gesprochen, die ohne Label aus dem Stegreif einen Streaming-Hit landen oder vielleicht sogar mehr als einen. Wenn der Erfolg allerdings nicht eintritt und man auch nach zig Releases nicht auf den Radar kommt, dann ist es das sehr frustrierend, glaube ich. Anders als früher gibt es heute irgendwie keinen Plan B.
Ob jetzt TikTok, Instagram oder Spotify, das zählt für mich nicht wirklich als Alternative. Es gilt auf all den Plattformen, existierende mehrheitsfähige Konventionen einzuhalten, um überhaupt sichtbar zu werden. Vielleicht ist das eine romantisierte Sicht auf die Vergangenheit, aber ich habe den Eindruck, dass Unkonventionelles vor dem Streaming seine Nische und damit auch unmittelbar seine Bezahlung finden konnte. Denn am Ende des Tages möchten wir ja am liebsten alle so gut bezahlt werden, dass wir weitermachen können. Das sehe ich tatsächlich eher als Hürde.
Was sollten Newcomer*innen heutzutage mitbringen, um sich mit ihrer Musik durchzusetzen — sowohl mental, als auch was bestimmte Skills angeht?
Yassin: Aus eigener Erfahrung muss ich sagen, es geht nichts über eine solide Fanbase. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Hype lang genug anhält, um damit auszusorgen, ist extrem gering. Zumindest im deutschsprachigen Rap. Mir und uns hat der lange Atem mehr geholfen als jedes Interview, jede Top-Review und jede Chart-Platzierung. Das alles hat geholfen, aber ich glaube immer noch, dass der Fokus auf Musik wichtig ist, auch um sich nicht vom Geschäft die Laune verderben zu lassen.
Als Jurymitglied von Krach+Getöse: Worauf achtest Du bei Newcomer*innen besonders in Hinblick auf Musik, Lyrics, Persönlichkeit und Performance?
Yassin: Ich bin das erste Mal Mitglied einer solchen Jury und werde vermutlich viel auf mein Bauchgefühl hören. Wenn mir etwas gefällt, hat es schonmal gute Chancen. Aber ich erkenne natürlich auch, wenn etwas gute Musik ist, die einfach nur meinen persönlichen Geschmack verfehlt. Ich lasse mich überraschen.
Durch wegfallende Auftrittsmöglichkeiten bremst Corona besonders Newcomer*innen erheblich aus. Hast Du Tipps, wie sie dennoch eine Fanbase aufbauen und Reichweite gewinnen können?
Yassin: Puh. Da fragst du den Falschen. Klar, ich arbeite auch an meiner Außenwirkung, aber ohne die Bühne und ohne Releases fühle ich mich da meist fehl am Platz. Ich glaub, ein guter Anfang ist, sich anzuschauen, wie das Artists machen, die man von vorne bis hinten gut findet. Die sitzen ja im gleichen Boot wie wir. Oder zumindest in einer Yacht auf dem gleichen Meer.