Reeperbahn Festival Fazit 2024 — zwischen Cash und Crewlove

Reeperbahn Festival, Eingang, Heiligengeistfeld, Festival Village

Noch bin ich herzerfüllt vom Norden Festival in Schleswig, das ich vier Tage lang moderieren durfte. Und schon liegt das Reeperbahn Festival an. Das heißt: sehr viel Musik, sehr viele Menschen.  Für mich ist das jedes Jahr ein überbordender wie erfüllender Mix an Input, Inspiration und Austausch mit vertrauten, neuen und lieben Leuten. In Zahlen bedeutet das für 2024: 45.000 Musik-Fans erleben 480 Konzerte sowie 40 Lesungen, Live-Podcasts und Ausstellungen in vier Tagen und Nächten in Hamburg. Zudem 240 Programmpunkte bei der Konferenz mit 400 Speaker*innen aus 52 Nationen. Wow. Speaking of Reizüberflutung. Also erst einmal locker rein und bei bestem Wetter hin zum Festival Village auf dem Heiligengeistfeld auf St. Pauli. Was mir sofort auffällt: Es sind viele junge Leute am Start zwischen Bühnen und Flatstock-Posterausstellung, zwischen Skateboard-Halfpipe und 3D-Druck-Container. Das liegt unter anderem daran, dass die Jugendkultur-Konferenz TINCON mittlerweile an das Reeperbahn Festival angedockt ist. Ein kluger Zug.

Diskutiert die Branche doch aktuell intensiv die Frage: Wie lässt sich das junge Publikum nach der Erfahrungslücke der Pandemie-Jahre und in der aktuell herausfordernden Krisenlage wieder für Popkultur begeistern. Und zwar sowohl für den Besuch von Konzerten, Festivals und Club-Veranstaltungen, als auch für ein Berufsleben im Pop-Business. Beim Panel „Generationswechsel in der Musikbranche“ erzählt etwa Ralph Christoph, Gründer der c/o pop in Köln, wie sie ihre Convention nach Corona gezielt auf junge Menschen ausgerichtet haben. Und wie es auch schlichtweg die Aufgabe älterer Profis ist, engagierten Nachwuchs zu finden und diesen einzubinden. Es geht also darum, Know-how weiterzugeben und zugleich auf junge Perspektiven zu vertrauen.

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Moonpools aus Basel beim Reeperbahn Festival auf dem Spielbudenplatz im Herzen von Hamburg, fotografiert von Biggy Pop, Titelbild von Robin Schmiedebach Photography

Wo steht die Branche und welche Aufgaben gilt es, in Zukunft anzugehen?

Die Themenpalette der Talks beim Reeperbahn Festival reicht von Nachhaltigkeit bis KI, von Machtmissbrauch in der Musikbranche bis zur Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte, von Resilienz im Pop bis zu politischem Engagement in Zeiten des Rechtsrucks. Eine tolle Bandbreite.

Ein starker Fokus liegt in diesem Jahr auf der übergreifenden Frage: Wo steht die Branche derzeit und welche Aufgaben gilt es, in Zukunft anzugehen? Diskussionsgrundlage ist dabei die zum Reeperbahn Festival frisch veröffentlichte Studie „Musikwirtschaft in Deutschland 2024“. Daher kommt das im Titel dieses Blogposts wegen der schönen Alliteration etwas salopp angekündigte „Cash“. Es geht also um Geld, Gewinne, Ökonomie, vor allem aber um die Lebensgrundlage von fast 156.000 Erwerbstätigen, die von der Popbranche leben. Also auch um: faire Bezahlung.

Laut der Musikwirtschaftsstudie sind die Umsätze von 2019 bis 2023 von 14,8 auf 17,4 Milliarden Euro gestiegen. Ein Zuwachs von 18 Prozent. Die Ergebnisse zeigen also erst einmal, dass die Musikbranche nicht nur ein kulturell wichtiger Faktor in der Gesellschaft ist, sondern auch ein ökonomischer. Beim Get-Together „Soundcheck Hamburg“ erklärt Kultursenator Carsten Brosda allerdings auch, dass die Erlöse innerhalb der Branche gerechter verteilt werden müssen. Sodass das Geld auch tatsächlich bei den Musikschaffenden ankommt. Das heißt: die Zahlen sehen nicht für alle gleichermaßen so rosig aus, wie auf den ersten Blick vermuten lässt.

Deep Dive in die Studie „Musikwirtschaft in Deutschland 2024“

In dem Panel „Alles ist Zahl“, das ich auf dem Reeperbahn Festival moderiere, machen wir mit einer toll besetzen Runde noch einmal einen Deep Dive hinein in die Studie. Birgit Böcher vom Verband Deutscher Musikverlage und Georg Sobbe vom Bundesverband der Musikindustrie betonen, wie wichtig diese Zahlen sind, um sich auch gegenüber der Politik als einflussreiche Größe zu positionieren. Christian Gerlach von der Veranstaltungsagentur Neuland und Musikmanagerin Tina Krug (Honey & Spice) geben spannende Einblicke in ein immer zahlengetriebeneres Arbeiten – von der Streaming-Analyse bis zu Ticketverkäufen. Ihre Devise: Zahlen für die eigenen Strategien nutzen. Aber zugleich Ruhe bewahren. Und vor allem an die Artists und ihre Entwicklung glauben.

Der Tenor insgesamt: Durch Corona ist der Branche der Wert valider Zahlen noch einmal bewusster geworden. Zum Beispiel wenn es um die Legitimierung von Förderungen geht. Und die Musikwirtschaft ist insgesamt enger zusammengerückt. Der große Wunsch ist daher, nicht zu dem Hauen und Stechen der vorpandemischen Jahre zurückzukehren. Sondern: Trotz Preisdruck und Inflation in und zwischen den Teilbereichen vom Instrumentenhandel bis zu Recorded Music besser zu kooperieren und zu kommunizieren.

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Das letzte Reeperbahn Festival am Nobistor-Standort des Molotow: Pip Blom im Backyard

Keychange-Studie zur Geschlechtergerechtigkeit stimmt nachdenklich

Und noch eine wichtige Umfrage wird im Zuge des Reeperbahn Festivals veröffentlicht: die dritte Keychange-Marktforschungsstudie zur Geschlechtervielfalt im deutschen Musikmarkt. Die Ergebnisse stimmen nachdenklich: FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter-, Trans- & Agender) glauben noch nicht an eine Chancengleichheit in der Branche. „Die befragten Akteur*innen bewerten die Situation weiterhin überwiegend kritisch, zum Teil sogar kritischer als bei der Studie vor drei Jahren“, erklärt die Initiative Keychange, die sich seit Jahren für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Popindustrie einsetzt.

Ein weiteres Resultat: „In Bezug auf gesundheitliche Themen wie Menstruation und Menopause ergab die Studie, dass knapp vier von zehn der Befragten Einschränkungen in ihrem Berufsleben wahrnehmen, in den meisten Unternehmen aber nicht offen darüber gesprochen wird.“ Ich sag mal so: Luft nach oben.

Konzerte von Bibi Club bis Pip Blom, von Moonpools bis Beth McCarthy

Wo Keychange allerdings bereits sicht- und hörbare Erfolge zu verzeichnen hat, ist die Repräsentation von FLINTA*-Personen auf den Bühnen. Beim Reeperbahn Festival 2024 erlebe ich, ohne es bewusst geplant zu haben, fast ausschließlich Bands, in denen mindestens eine Frau am Start ist. Bibi Club aus Kanada mit ihren Indie-Pop-Oden zwischen Schreddern und Schwelgen. Soffie mit starker Stimme, klarer Haltung und ihrer Utopie „Frühling“. Pip Blom aus den Niederlanden, die nachmittags charmant wie impulsiv in den Molotow-Backyard hineinkrachen. Die Schweizer Shoegaze-Gruppe Moonpools, die druckvoll verträumt den Sonnenuntergang auf dem Spielbudenplatz verstärkt. Die immer wundervoller werdenden Willow Parlo aus Hamburg mit ihrem hypnotischen Dreampop. Oder die höchst show-agile und für den Anchor Award nominierte Beth McCarthy, die mal eben sämtliche Pop-Personas von Avril Lavigne über Pink bis Miley Cyrus in sich vereint und zu etwas Eigenem überhöht.

Das Reeperbahn Festival ist für mich besonders spannend, wenn ich neue Ideen und leidenschaftliche kritische, kluge Menschen kennenlernen kann. Sehr anregend ist zum Beispiel das Panel „Collective Empowerment – von feministischen Musikkollektiven lernen“. Eyob Öder vom Berliner DJ-Kollektiv xcuse:u und Yung Womb von der Hamburger Slic Unit erzählen von ihrem Engagement zwischen Passion und Professionalisierung, zwischen steigenden Preisen und Solidarität, zwischen Clubsterben und eigenen Safe Spaces.

Panel „Wo ist die Crewlove?“ zur Lage von Selbstständigen

Der Wunsch nach Gemeinschaft äußerst sich auch sehr stark auf dem zweiten Panel, das ich auf dem Reeperbahn Festival moderiere. Unter dem Titel „Wo ist die Crewlove?“ rede ich mit tollen Expert*innen über die Lage von Selbstständigen in der Musikbranche. Marcus Pohl, Gründer der Produktionsfirma Artist Alliances, setzt stark darauf, Kompetenz und Selbstbewusstsein der Freelancer*innen in Sachen Preiskalkulation und Verhandlungen zu erhöhen. Sein Credo: nicht um wortwörtlich jeden Preis jeden Job annehmen. Johannes Everke vom Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft fordert mehr Rechtssicherheit seitens der Politik für die Arbeit von Freien.

Eine Möglichkeit für mehr Crewlove und Absicherung möchte Tontechniker Timo Bittner bieten. Mit „viele“ gründet er derzeit eine Genossenschaft, die Technikschaffende fest anstellt. Das soll Entlastung bieten in Sachen Administration und Lohndumping verhindern. Musikerin und Labelbetreiberin Lina Holzrichter wiederum stellt das Artist-Netzwerk D-Popkultur vor, das freien Musiker*innen eine stärkere kollektive Stimme verleiht.

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Korean Reception vorm Mojo Café beim Reeperbahn Festival

Receptions, Receptions, Receptions vom Hamburg-Haus bis nach Korea

Das Reeperbahn Festival bietet ganz unterschiedliche Ebenen, um sich mit der Musikwelt zu verbinden. Im Hamburg-Haus, das dieses Jahr im Häkken mitten auf dem Kiez beheimatet ist, präsentiert etwa die feine Agentur Backseat ihr Portfolio mit den famosen Musikerinnen Ami Warning und Betti Kruse. Bei strahlender Sonne wiederum tauche ich ein in die wundervolle Diversity-Crowd von RockCity Hamburg. Gemeinsam mit Carsten Brosda schauen sie auf ihre Aktivitäten der vergangenen Monate zurück und geben einen Ausblick auf die Konferenz Operation Ton Ende Oktober 2024. Ich gucke auch beim frühabendlichen Brunch des bayerischen Popverbands vorbei. Und beim „S(ch)nacken mit der Initiative Musik“ geht es dann auf Bundesebene weiter.

450 Acts aus mehr als 30 Nationen treten beim Reeperbahn Festival mit Konzerten in 80 Spielstätten auf. Und diverse Länder richten mit ihren Export-Büros für Musik eigene Receptions aus. Ich besuche seit Jahren auf jeden Fall den koreanischen Empfang, den die Organisationen Mu:con und Kocca gemeinsam mit der Hamburger Agentur Pop up ausrichten. Sehr ausführlich tausche ich mich da aus über eines meiner Lieblingsthemen: K-Pop und K-Culture.

Das neue Musik Treffen Hamburg versammelt die Szene vor der Komet Bar

Neu in diesem Jahr: die Alternativ-Veranstaltung Musik Treffen Hamburg, bei der sich die hiesige Szene und Subkultur in Clubs präsentiert, die nicht am Reeperbahn Festival teilnehmen. Von der Hedi übers Hafenklang bis zum Pudel. Der Empfang des Musik Treffen Hamburg vor der Komet Bar gerät zum freundlichen Who is who vieler toller Personen, die das Musikleben der Stadt am Laufen halten. Allerdings haben Die-Hard-Musikfans auch schon angemerkt, wie schade es ist, dass sie die Konzerte des Musik Treffen Hamburg nicht besuchen können, da sie bereits einen Reeperbahn-Festival-Pass haben. Und zu viel sei eben zu viel. Nächstes Jahr soll es eine Fortsetzung geben. Es bleibt also interessant.

Und sonst? Der an das Reeperbahn Festival angedockte extra Irrsinn: Linkin Park veranstalten mit ihrem Label Warner mal eben eine Drohnen-Show über dem Kiez, um auf ihr neues Album hinzuweisen. Und K.I.Z. starten kurzfristig am Millerntor den Vorverkauf für ihr „Nur für Frauen“-Konzert und sorgen für die wohl längste Schlange bei diesem Festival.

Von Powerhouse Alli Neumann bis Spirit Animal Kate Nash

Zudem drei bis fünf besonders schöne Ereignisse: Charisma-Powerhouse Alli Neumann erhält den Keychange-Inspiration-Award. Und sie spielt im Rahmen des Reeperbahn Festivals in der Elbphilharmonie. Die grandiose Uche Yara, die ich beim Reeperbahn Festival 2023 für mich entdeckt habe, gewinnt den VUT Indie Award als beste Newcomerin. Und Kate Nash ist mittlerweile so etwas wie das Spirit Animal des Reeperbahn Festivals. Am Samstag gibt sie direkt zwei Konzerte. Inklusive Bad in der Menge auf dem Spielbudenplatz und Dirty-Dancing-Einlage in der Großen Freiheit.

Ich muss mich jetzt erst einmal ausruhen, all die Musik und all die Eindrücke wirken lassen und verbleibe inspiriert sowie gelassen mit Lyrics der hinreißenden Betti Kruse: „Alles hat seine Zeit / Und seinen Beat“.

Audiovisuelle Eindrücke vom Reeperbahn Festival 2024 gibt es in meinen Highlights auf Instagram 

Biggy Pop bei Facebook

Die lieben Kolleg*innen:

Stets empfehlenswert sind die Artikel und der Content der super sympathischen Menschen von Musicspots, zum Beispiel auf Instagram

Immer wieder begegne ich auf dem Reeperbahn Festival auch Anke vom Blog Nimmst du mich mit, schaut doch mal bei ihr vorbei

Das Hamburger Abendblatt, allen voran mein lieber Kollege Tino, hat auf dem Reeperbahn Festival einen Pop-up-Podcast-Container bespielt und tolle Interviews mit Menschen aus der Branche geführt

Reeperbahn Festival 2021 Fazit — von der Schlange in die Zukunft

3G Desk, Eingang, Festival Village

„Ich habe verschiedene Möglichkeiten, auf Umbruchzeiten zu reagieren“, erklärt Transformationsforscherin Maja Göpel auf dem diesjährigen Reeperbahn Festival. Und dass die Gesellschaftswissenschaftlerin zu dieser sehr besonderen 16. Ausgabe eingeladen wurde, ist äußerst passend. Denn Maja Göpel thematisiert Wut und Unsicherheit, aber auch Optimismus angesichts all der Veränderungen, die derzeit geschehen. Sie stellt sicher geglaubte Garantien und Gesetzmäßigkeiten in Frage. Und ihr zukunftsoffener Ansatz, die Verhältnisse jetzt gemeinsam gestalten zu müssen, lässt sich auf ganz unterschiedliche Ebenen übertragen. Auf globale Herausforderungen wie eine nachhaltige Klimapolitik, für die am Freitag allein in Hamburg 80.000 Menschen auf die Straße gingen. Aber auch auf kleinere Kontexte wie das Reeperbahn Festival, das von Mittwoch bis Samstag auf und um St. Pauli über diverse Bühnen ging. Für Livekonzerte von gut 250 Acts aus 27 Ländern wurden mehr als 20.000 Tickets verkauft. Hinzu kamen rund 2000 Delegierte aus der Musikbranche, die ebenfalls die Konferenz des Reeperbahn Festivals besuchten. 

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Maja Göpel bei der Eröffnung des Reeperbahn Festivals 2021 – fotografiert von Niklas Heinecke.

Ist es sinnvoll, eine Veranstaltung wie das Reeperbahn Festival im zweiten Corona-Jahr so anzugehen, als gelten die Strukturen der Vor-Pandemie-Zeit letztlich noch immer? Also: Rein in den Club, Konzert erleben, auf zum nächsten Club. Hier und da hineingucken. Entdeckungen machen. Sich treiben lassen. Dieses alt hergebrachte Modell stieß aufgrund der Hygiene-Maßgaben in den Spielstätten schnell enorm an seine Grenzen. Wenn die Clubs nur mit 40 bis 60 Prozent Kapazität bespielt werden dürfen, ist vor allem bei kleinen Läden wie Häkken, Molotow oder Indra sehr bald Einlassstopp angesagt. 2021 wird wohl als das „Jahr der Schlange“ in die Geschichte des Reeperbahn Festivals eingehen. Das zeichnete sich bereits zum Auftakt am Mittwoch ab. 

Geduldsproben im Sturm- und Regenkanal

Vor dem Festival Village auf dem Heiligengeistfeld kringelte sich eine Schnecke an Menschen hin zum 3G-Desk. Diese Container waren quasi die Corona-Vorstufe vor der eigentlichen Ausgabe der Festivalbändchen. Gegen Test, Impf- oder Genesenennachweis erhielt jede und jeder ein zweites Extraband, um die Veranstaltung sicherer besuchen zu können. Die Sonne schien freundlich herab. Und so wurde das Warten fröhlich in Kauf genommen angesichts erster bekannter Gesichter, die beim Anstehen auftauchten. Und angesichts der Vorfreude auf viel kommende Livemusik. 

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Anstehen für Musik: Schlange vorm Nochtspeicher – fotografiert von Lidija Delovska.

Die Musikfans waren eindeutig hungrig und hoch motiviert, sich endlich wieder mit möglichst vielen Konzerten vollzupumpen. Den Popspeicher aufladen. Den Sound spüren. Zumal im vergangenen Jahr nur eine noch wesentlich reduziertere Variante des Festivals realisiert worden war. Allerdings wurde die Geduld selbst der gelassensten Personen auf eine harte Probe gestellt. Schließlich betrug das Verhältnis von Schlangestehen und Musikgenuss an manchen Festival-Abenden in etwa 80 zu 20 Prozent. Einige gaben sogar ganz auf. Denn als am Donnerstag das Wetter kippte, war es zunehmend schwer, das Ganze als munteren Ausnahmezustand zu interpretieren. Eine Dreiviertelstunde stand ich zum Beispiel vor dem Mojo Club an. Dort hatten findige Architekten eigens einen Sturm- und Regenkanal gebaut, um die Kleidung der Anwesenden zu testen. Ironiemodus off. 

Endlich wieder ein Indoor-Konzert im Stehen

Belohnt wurde ich im Anschluss allerdings mit meinem ersten Steh-Indoor-Konzert seit 18 Monaten. Die Hip-Hop-Formation Glauque aus dem belgischen Namur präsentierte eine eindringliche Show, die den ganzen Körper in Schwingung versetzte. Geschmeidiger französischer Rap-Flow traf da auf einen komplexen Band-Sound, der akzentuierte Beats mit avantgardistischen Eskapaden verknüpfte. Das Publikum stand auf Abstand in Reihen. Und dennoch fühlte es sich beim umjubelten Ende des Auftritts endlich ansatzweise wieder so an, als entstehe da ein kollektiver Organismus im Groove. Etwas, das größer und dynamischer ist als das Individuum. Jenes Gefühl, dass sich auf dem Sofa via Stream (noch) nicht herstellen lässt. Und ich musste zudem natürlich sehr an meinen Aufenthalt in Brüssel denken, wo ich 2019 einen Monat in die Musikszene eintauchen konnte. Weitere solcher Pop-Blog-Residenzen hatte ich für 2020 und 2021 geplant. Es sollte anders kommen. Aber: Die Zukunft steht nach wie vor und erneut weit offen. 

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Musik, Kunst, Verweilen: Blick aufs Festival Village auf dem Heiligengeistfeld – fotografiert von Christian Hedel.

Wie flexibel sind wir? Wie viel Frust lässt sich hinnehmen? Welche Alternativen lassen sich ausloten? Und wohin möchte ich meine Energie lenken? Diese Fragen funktionieren für mich im Großen wie im Kleinen. Da ich keine Lust auf weiteres langes Schlangestehen hatte, wurde das Reeperbahn Festival für mich hauptsächlich zum Open-Air-Event. Auf der Ausweich-Location Draußen im Grünen in Planten un Blomen sah ich zum Beispiel ein äußerst launiges Konzert von Scott Matthew und seiner Band. Der australische Singer-Songwriter entzückte uns vor allem mit seinen leicht verpeilten Rotwein-Ansagen sowie seinen Cover-Versionen. Mitsingen zur fein arrangierten Folk-Variante von Whitney Houstons „I Wanna Dance With Somebody“? Warum nicht. Strahlt die mit bunten Blumen bepflanzte Parkbühne doch ohnehin leichten Fernsehgarten-Charme aus. 

Das Wagnis eines Festivals in Corona-Zeiten

Solch beglückende Eindrücke am Rande des Festivals täuschten aber nicht darüber hinweg, dass das Geschehen eigentlich auf der gut zwei Kilometer entfernten Reeperbahn stattfinden sollte. Und am Spielbudenplatz stand das Docks wie der pinke Elefant im Raum. Ebenso wie die Große Freiheit 36 hatte der Club an seiner Aussenfassade ein Forum für Verschwörungserzählungen geboten. Zahlreiche Veranstaltende aus der Musikbranche hatten daraufhin gemeinsam erklärt, die Zusammenarbeit vorerst aufzukündigen. Eine gute und richtige Entscheidung. Corona hat uns auch konsequenter darin gemacht, mit wem wir Zeit verbringen und welches Verhalten wir dulden wollen. Mit allen Folgen. Wenn zwei Spielstätten fehlen, die vor Corona jeweils mehr als 1000 Menschen aufnehmen konnten, reißt das schlichtweg eine große Lücke in die Festival-Planung. 

App Reeperbahn Festival
Nachricht aus der App des Reeperbahn Festivals.

Hätten weitere Spielstätten direkt auf St. Pauli gefunden werden können? Wurden insgesamt zu viele Tickets verkauft? Hätte die Kommunikation besser gesteuert werden können? Zu Recht beschwerten sich die Besucher*innen in den sozialen Netzwerken über mangelnde Ansagen in der Festival-App und vor den Spielstätten selbst. Mit den organisatorischen Problemen wird sich das Reeperbahn Festival gewiss in den kommenden Wochen und Monaten beschäftigen. Zugleich sei aber ein riesengroßes Lob ausgesprochen, dass sich das Team in der höchst dynamischen Corona-Lage zwischen 2- und 3G-Verordnungen überhaupt auf das Wagnis eines viertägigen Veranstaltung eingelassen hat. Und die erlebten Überlastungen schieben womöglich auch weitere Fragen und Prozesse an.

Dieser gewisse Buzz in Hamburg

Wie lassen sich generell neue Räume für Pop- und Subkultur erschließen? Inwiefern lässt sich Clubkultur während und nach Corona neu denken? Wie viel Wachstum für eine Veranstaltung wie das Reeperbahn Festival ist künftig sinnvoll? Ein Zurück zur alten Normalität jedenfalls wird und kann es nicht geben. Diesen Standpunkt machte Kultursenator Carsten Brosda während des Reeperbahn Festivals gleich mehrfach deutlich. Etwa beim „Soundcheck Hamburg“, dem Empfang der Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft im Grünen Jäger. Oder bei der Reception des Verbands RockCity Hamburg vor dessen Büro zwischen Schanze und Karoviertel. 

Schnaps, Reception, RockCity, Hamburg
Schnaps und gute Worte gab’s bei RockCity.

Überhaupt: das sogenannte Netzwerken. Ich habe es beim diesjährigen Reeperbahn Festival enorm genossen, so vielen Menschen leibhaftig zu begegnen. Entweder bei Branchenveranstaltungen und Länderempfängen tagsüber, bei Konzerten oder einfach so auf der Straße. Es war wieder dieser gewisse Buzz zu spüren. Dieses gemeinschaftliche Energie. Ich habe mit Leuten gesprochen, die ich bisher nur vom Telefon oder Zoom-Call kannte. Oder die ich wirklich lange nicht im echten Leben gesehen hatte. Was mich zudem richtig glücklich gemacht hat: Menschen kennenlernen. Einfach so. Im Flow. Weil man einander vorgestellt wurde. Oder weil man schlichtweg nebeneinander stand. Wer bist Du? Was machst Du? Was bewegt Dich? Wunderbar.

Nettes Netzwerken: Musikbranche meets Minigolf

Eine meiner liebsten Off-Zusammenkünfte des Festivals fand dieses Jahr ebenfalls wieder statt: Das Nett-Working des Hamburger Labels Euphorie und der Veranstaltungsagentur Koralle Blau. Diesmal wurde, wie es sich für richtige Business-Anbahnungen gehört, Golf gespielt. Nun gut: Minigolf. Im Nieselregen. Mit einem Schläger für ein fünfköpfiges Team. Ohne Caddy. Dafür mit reichlich Flaschenbier und noch mehr guter Laune. Meine Crew „So heiß wie ein Vulkan“ hat weder eine Flasche Crémant noch das schöne GiGaGolf-Copyshop-Shirt gewonnen. Aber das Herz — und auch das Adressbuch — war danach wieder etwas voller. Was auch daran liegt, dass die Gastgeber es stets verstehen, die Menschen miteinander in Verbindung zu bringen. Wer ankommt, wir in einem Team bunt zusammengewürftelt. Ganz simpel und doch so effektiv.

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Pressekonferenz der Initiative Keychange im East Hotel auf St. Pauli – fotografiert von Lidija Delovska.

Wie wollen wir miteinander leben? Im Konferenzteil des Reeperbahn Festivals wurde diese Frage aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Vom Austausch über Mental Health bis zu politischen Panels, mit Diskussionen über Fördermodelle bis hin zur Debatte über Kunstfreiheit. Ich selbst habe am Donnerstag eine Pressekonferenz von Keychange moderiert. Die Initiative hat gemeinsam mit der MaLisa Stiftung eine Studie zum Thema „Geschlechtervielfalt in der Musikbranche“ vorgestellt. Und was soll ich sagen? Es ist noch reichlich Luft nach oben. Viele gefühlte Wahrheiten vom Gender-Pay-Gap bis zu Old-Boys-Clubs wurden aufs Ernüchterndste bestätigt. Zum Beispiel: 96 Prozent der Frauen, aber nur 65 Prozent der Männer im Popbusiness haben schon einmal geschlechtsspezifische Erfahrungen gemacht. Dabei wurden 78 Prozent der Frauen mit unangemessenen Witze oder Kommentaren konfrontiert. 

Keychange-Studie: Die jüngere Generation fordert Diversität ein

Elisabeth Furtwängler, auch bekannt als Musikerin Kerfor, berichtete auf dem Panel von der Arbeit der MaLisa-Stiftung, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter Maria gegründet hat. Ein Fokus liegt dabei auf der Wirkmacht von audiovisuellen Angeboten. Also von jener Realität, mit der vor allem die jüngere Generation sehr selbstverständlich aufwächst. Gleichzeitig, so ergab die Studie, legen gerade die 16- bis 29-Jährigen verstärkt Wert auf Diversität bei Musikangeboten. Ein Ergebnis, das als Mahnung an Unternehmen der Branche gelten darf, nicht in traditionellen Monokulturen zu verharren. Reeperbahn-Festival-Geschäftsführer Alexander Schulz sieht dabei nicht nur die Veranstaltenden in der Pflicht, sondern auch die Verantwortlichen für Radioprogramme und Playlisten. 

Merle Bremer, Projektleiterin bei Keychange, erläuterte wiederum die Bedeutung der Quote, um eine langfristige Geschlechtergerechtigkeit auf den Weg zu bringen. Mit ihrer Pledge strebt die Initiative an, dass mindestens 50 Prozent weibliche und non-binäre Artists auf und hinter der Bühne sowie in der Musikbranche insgesamt aktiv sind. Das Reeperbahn Festival treibt dieses Anliegen maßgeblich voran. Und so habe ich auch dieses Jahr starke Künstlerinnen erlebt. Etwa das isländische Hip-Hop-Kollektiv Daughters Of Reykjavik, das Rap, Tanz, Fashion, Freude und Attitüde aufs Unterhaltsamste vereint. 

Jada, Sängerin, Dänemark, Band, Indra, Hamburg
Jada mit Band im Indra beim Reeperbahn Festival.

Glück in Musik — große Popmomente im kleinen Indra

Auch die dänische Sängerin Jada sorgte im kleinen Indra für große Popmomente. Mit Band und drei Background-Sängerinnen lieferte sie eine Show ab, die irgendwo zwischen Destiny’s Child und Indie-Rock changierte. Ich war sofort schockverliebt in ihre Stimme. Und in das Selbstverständnis, mit dem Jada stolz ihren schönen dicken Körper im engen Latexoutfit präsentierte. In ihrer Heimat Dänemark gilt Jada bereits als Sensation, hierzulande will sie erst noch entdeckt werden. 

Volker Bertelmann, Hauschka, Pianist, Talk, Schmidtchen, Hamburg
Volker Bertelmann alias Hauschka beim Talk im Schmidtchen.

Aber wie genau lässt sich Erfolg überhaupt messen? Und was bedeutet Anerkennung für einen einzelnen Künstler? Am Freitag sprach Pianist Volker Bertelmann alias Hauschka äußerst inspirierend darüber, inwiefern Karriere, Auszeichnungen und persönliches Glück überhaupt zusammenhängen. 2017 war er gemeinsam mit Komponist Dustin O’Halloran für einen Oscar nominiert. Für den Soundtrack zum Filmdrama „Lion — der lange Weg nach Hause“. Sich nicht auf Zurückweisungen fokussieren, sondern auf das eigene Schaffen. Auf das Machen. Auf die Kunst. Das ist eine seiner Erkenntnisse. Zudem: Nicht zwingend allen gefallen wollen. Das Ego nicht zu sehr ans Ruder lassen. Sich professionelle Unterstützung holen und austauschen. Mich beeindruckt diese Art von selbstbewusster Demut. Gepaart mit einem Vertrauen darauf, dass sich positive Fügungen ergeben werden. Die Dinge sind im Fluss. Mit Steinen und Stromschnellen, aber auch mit Energie und Schönheit. Und mit Musik sowieso.

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Yard Act, Band, Post punk, Leeds, Anchor Award, Hamburg
Herzlichen Glückwunsch: Die Post-Punk-Band Yard Act aus Leeds gewinnt den Anchor Award 2021 – fotografiert von Mirko Hannemann.

Reeperbahn Festival — Fazit 2019: Lasst uns reden

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Vier Tage Reeperbahn Festival sind vorüber. Und all die erlebten Konzerte, aber vor allem all die Begegnungen rotieren in mir. Bei der 14. Ausgabe der stetig wachsenden Hamburger Clubsause ging es für mich diesmal vor allem um eines: Kommunikation. Wenn, wie in diesem Jahr, mehr als 50.000 Popfans und darunter 5900 Konferenzteilnehmer zu Konzerten, Kunstprogramm und Diskussionsrunden zusammenkommen, stellt sich ganz automatisch die Frage: Wie tauschen sich all diese Menschen aus?

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Reeperbahn Festival Village, fotografiert von Dario Dumancic (Titelbild von Stephan Wallocha)

Der Einstieg in diese gesprächsintensive Welt namens Reeperbahn Festival war für mich ein Termin, der gar nicht auf dem offiziellen Programm stand: das Nett-Working des Labels Euphorie, der Booking-Agentur Koralle Blau, des Clubs Uebel & Gefährlich sowie weiterer blitzgescheiter Musikakteure aus Hamburg. Was kann einer Großveranstaltung eigentlich Besseres passieren, als dass sich die wirklich coolen Kids an die Sache ranhängen? Solche Off-Aktionen adeln meiner Ansicht nach jedes Mainstream-Event. 

Reeperbahn Festival: vieles in Bewegung gekommen

Das Nett-Working-Team hatte im Guerilla-Style vor den Kiosk an der Reeperbahn Nr. 5 geladen. Als ich dort am frühen Nachmittag ankam, war der Bürgersteig bereits voller munter plaudernder Leute. Ich brauche immer einen Moment, um mich an solch große Ansammlungen zu gewöhnen. Aber die Gastgeber haben alle Eintreffenden so herzlich willkommen geheißen, dass der Übergang wirklich leicht fiel. Das ist für mich eine enorme Qualität: Kontakt aufbauen. Einander wirklich wahrnehmen. Menschen in Verbindung bringen. Und dann war da noch: Sonne. Ein erstes Alster. Und ein zweites. Offene Gesichter. Und sehr lustige Unterhaltungen.

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Neu im Festival Village: die tolle Skate-Disco im Autoscooter vom Rollerskate Jam, fotografiert von Lisa Meinen

Für mich ist bei diesem Reeperbahn Festival vieles in Bewegung gekommen. Sowohl persönlich als auch inhaltlich. Den größten Einfluss hatte meiner Ansicht nach die internationale Initiative Keychange, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt: Bis 2022 sollen ebenso viele weibliche, trans- und non-binäre Künstlerinnen und Künstler auf den Bühnen musizieren, singen, reden, ausrasten und sich zeigen wie Männer.

Keychange und die Folgen

Aus verschiedenen Gründen stand ich einer Quotenregelung lange Zeit mit gemischten Gefühlen gegenüber. Geht es nicht um die Musik an sich, unabhängig von wem sie kommt? Und liefert eine 50/50-Regelung nicht all den Gestrigen noch mehr Argumente, dass eine Frau dann eben nur aufgrund der Statistik und nicht wegen ihrer Qualifikation dort steht, spielt, spricht? 

Wie sich das Reeperbahn Festival in den vergangenen Jahren entwickelt hat, ist jedoch ein äußerst gutes Beispiel dafür, dass eine Quote zu Hundert Prozent sinnvoll ist als Übergangslösung hin zu einer ganz selbstverständlichen Gleichberechtigung. Was für ein Segen, wenn sich Pop derart ausdrücklich mit gesellschaftlich wichtigen Prozessen verbindet. Mich persönlich hat es extrem inspiriert, bei der Eröffnungsveranstaltung engagierte und empathische Ladies wie Charlotte Roche, Peaches und Kate Nash zu erleben. Der Tonfall ändert sich. Die Themen ebenso. Auch in all den Gesprächen, die ich im Laufe des Reeperbahn Festivals geführt habe. 

Der Festival Award Helga: vehementes Querdenkertum

Noch nie habe ich mich in so kurzer Zeit mit so vielen verschiedenen Menschen geballt  und kontrovers über Gleichberechtigung ausgetauscht: Wie überfällig dieser Ausgleich ist. Wie sich Männer in dieser Bewegung positionieren. Und dass „Frauenmusik“ bitte ein für allemal wirklich kein eigenes Genre ist. The times they are a-changin’. Und wie das nun mal so ist bei aufbrechenden Strukturen: Die Kommunikation gestaltet sich in diesem Prozess mitunter ebenfalls durchaus eruptiv. Zu erleben war das unter anderem bei der Verleihung des Festival-Awards Helga am Donnerstag im Imperial Theater. 

Helga Award, Carsten Schumacher, Bernd Begemann, Imperial Theater
Carsten Schumacher und Bernd Begemann moderierten im Imperial Theater den Helga Award

Ich war in diesem Jahr Teil der Jury für die Kategorie „Inspirierendste Festivalidee“. Gewonnen hat das alínæ lumr, das in der ostdeutschen Provinz mit einem bunt-diversen Programm gegen kulturelle Ödnis und braune Versumpfung ansteuert. Das vehemente Querdenkertum des alínæ lumr-Teams zeigte sich auf der Bühne überdeutlich: Jene, die den Preis entgegennahmen, merkten mit Nachdruck an, dass doch zwei Frauen im nächsten Jahr den Award moderieren könnten. Die beiden Gastgeber Carsten Schumacher und Bernd Begemann, die den Helga auch in diesem Jahr mit gewohnt anarchischer Euphorie angeschoben haben, reagierten erst einmal sichtlich und hörbar verdutzt. Keine angenehme Situation.  

Mir erschien das ganze Szenario wie eine Familienfeier, bei der einiges Ungesagte auf den Tisch kommt: Das anfangs gut gelaunte Fest kippt in den Konflikt, geht aber dennoch weiter. Ob Provokation das Mittel der Wahl sein muss, sei dahingestellt. Und vor allem der teils harsche Tonfall hat mich noch nachdenklicher gestimmt, wie Menschen miteinander umgehen. Und inwiefern die Aggressivität so mancher Diskussion in den sozialen Medien auch vor der eigenen Filterblase sowie dem realen Leben nicht halt macht. Aber langfristig betrachtet kann durch das Tohuwabohu bei den Helga Awards ja durchaus eine konstruktive Kraft entstehen. Ich bin gespannt darauf. 

Bausa statt Foals: Die Schonfrist ist vorbei

Kommunikation kann immer wieder auch schief laufen. Gerade, wenn so viele unterschiedliche Akteure beteiligt sind. So rief es enorme Verwunderung hervor, dass auf der Warner-Nacht am Freitag nach dem krankheitsbedingten Ausfall der Band Foals als Ersatz der Rapper Bausa auftrat. Dessen teils heftig sexistische sowie homophobe Texte laufen der Botschaft der Keychange-Initiative diametral entgegen. Die Kollegen von Kaput — Magazin für Insolvenz und Pop haben auf Facebook eine Aussage des Reeperbahn Festivals veröffentlicht. Das Festival-Team erklärt: Sie halten es für einen Fehler, dass Bausa in der Warner Music Night auftritt. 

Das Statement besagt weiter: „Bausa wurde von Warner Music nach der kurzfristigen Absage der Indie-Band Foals ohne Rücksprache mit uns oder dem Team des Docks als Spielstätte nachträglich in das Line-Up der Warner Music Night genommen. In der vergangenen 14-jährigen engen Zusammenarbeit mit Warner Music wurden wir bislang in die Auswahl aller Künstler*innen einbezogen. Eine Vorgehensweise wie diese hätten wir uns trotz der Kurzfristigkeit auch für diesen Künstler gewünscht.“ Dass sich das Reeperbahn Festival derart ausdrücklich gegenüber einem Majorlabel und wichtigen Partner positioniert, finde ich überraschend — und stark. Die Schonfrist ist definitiv vorbei.

Doors Open, Reeperbahn Festival, Operettenhaus, St. Pauli

Clubkultur als Basis: „Molotow must stay“

All diese Prozesse können auf dem Reeperbahn Festival jedoch nur in Gang kommen mit all den grandios arbeitenden Clubs als Grundlage. Das Molotow wählte seine ganz eigene Art der Kommunikation: über Buttons und Aufkleber, die das Team eifrig verteilte. Leider ist der Slogan „Molotow must stay“, der während der Diskussion um die Esso-Häuser entstand, auch am Standort Nobistor wieder aktuell. Steigende Mieten bedeuten eine extrem unsichere Zukunft für das weit über Hamburg hinaus bekannte Zuhause von Indie und Rock. 

Was tun? Das Molotow selbst empfiehlt zunächst: „Geht mehr auf Konzerte. Kauft Merch und versucht so, eine vielfältige Clubkultur am Leben zu erhalten. Das gilt im Übrigen nicht nur für das Molotow, sondern für alle Subkultur-Clubs, die aktive Newcomer-Förderung und spannende Programme abseits des Mainstreams auf die Beine stellen.“ Denn im Endeffekt sind mit dem (nach wie vor) vielfältigen Programm in Hamburg jeden Tag Entdeckungen wie auf dem Reeperbahn Festival zu machen.

Welche Band fandest Du am besten — und warum?

Das ist natürlich integraler Bestandteil des Reeperbahn Festivals: All die Gespräche mit Freunden über Musik. Welche Band fandest Du am besten — und warum? Mich haben unter anderem die Niederländer Feng Suave mit ihrem traumwandlerischen Softrock fasziniert: Die Band spielte ihre Instrumente einfach mit einer unglaublich feinsinnigen Chemie. Wie beglückend sich Stimmen ineinander verweben und aneinander reiben können, durfte ich bei Ider im Häkken erleben. Und der Australier Dobby hat mit seinem frischen Old-School-Rap einfach extrem toll mit dem Publikum kommuniziert. Flow auf und vor der Bühne.

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Dobby in der Molotow Skybar

Das Reeperbahn Festival ist ein Driften durch musikalische und emotionale Zustände. Dahinschmelzen bei Celeste im Imperial Theater. Weinen bei Anna Ternheim in der Elbphilharmonie. Staunen bei The Hormones im Nochtspeicher. Und Ausrasten zu Rebecca Lou im Indra. 

Anna Ternheim, Kaiser Quartett, Elbphilharmonie
Anna Ternheim und das Kaiser Quartett in der Elbphilharmonie, fotografiert von Florian Trykowski

Panels moderieren: „30 Years Of Wacken“

Am Donnerstag habe ich dann zum ersten Mal den Seitenwechsel vollzogen und saß selbst auf der Bühne, um zwei Panels zu moderieren. Und, was soll ich sagen: Es hat unfassbar viel Spaß gemacht. Mit den Festivalgründern Thomas Jensen und Holger Hübner sprach ich im gut gefüllten Schmidtchen über „30 Years Of Wacken“. Mich beeindruckt immer wieder, wenn Menschen mit einer gewissen Punk-Attitüde mit Projekten anfangen und diese dann leidenschaftsgetrieben wachsen. Dieses Machen und Tun, so erzählte Holger, sei nach wie vor das beste Prinzip. Sprich: Planen und Reflektieren gehören natürlich dazu, aber letztlich muss irgendwann das Ausprobieren folgen. 

Das Gespräch habe ich nicht alleine geführt, sondern gemeinsam mit Jon Chapple vom britischen Musikbusinessmagazin IQ. Und das ist ein weiterer Effekt des Reeperbahn Festivals und seiner angegliederten Konferenz: Fachleute aus der ganzen Welt kommen zusammen, reden miteinander, arbeiten gemeinsam. Besonders gefreut hat mich, dass Jon beim International Music Journalism Award des Reeperbahn Festivals zum besten Musikbusinessjournalisten gekürt wurde. Herzlichen Glückwunsch!

Session zu Online-Marketing von Live Events

Mein zweites Panel in einer Suite des Onyx Hotels drehte sich um „Concerts, Content & Communication“, also um Strategien in der digitalen Kommunikation und im Online-Marketing von Live Events. In die Runde konnte ich auch diverse Anregungen aus der Music Business Summer School einbringen, die dem Reeperbahn Festival vorgelagert ist. Ich bin nach wie vor begeistert, wie klug das Konferenz-Team das Panel zusammengestellt hat. 

Meine Fragen gingen an Festival-Profi András Berta aus Ungarn, PR-Stratege Thomas Bohnet aus München und Marketing-Experte Moritz Bremer von Neuland Concerts. Eine beruhigende Erkenntnis aus der Session kam von András: Trotz all der Datenanalyse im Online-Bereich sei die Kommunikation im Live-Bereich nach wie vor ein People’s Business. Sprich: Reden hilft nach wie vor. Thank god!

Magische Momente mit Peaches, Kate Nash und Alyona Alyona

Und dann gab es beim Reeperbahn Festival noch diese magischen Momente, die das Zwischenmenschliche feiern. Jede und jeder wird da seine ganz eigene Geschichte erzählen können. Für mich war es der Moment, als die Jury beim Anchor Award gemeinsam Bowies „Moonage Daydream“ spielte — und Peaches zusammen mit Kate Nash auf einmal ins Publikum stürmte.

Peaches, Anchor Award
Peaches beim Anchor Award, fotografiert von Nadine Wenzlick

Die beiden suchten sich ausgerechnet unsere Sitzreihe aus, um mitten in der Menge ein Arme wedelndes Happening zu starten. Als Peaches auf mich zukam, fühlte ich mich wie ein fünfjähriges Kind, an dessen Geburtstag gerade eine riesige tolle Torte hereingetragen wird. Als sie dann direkt neben mir zur Party animierte, schwankte meine Mimik munter zwischen OMG OMG OMG und Honigkuchenpferdgrinsen. 

Und das Empowerment riss nicht ab: Die ukrainische Rapperin Alyona Alyona gewann den Anchor Award. Eine Persönlichkeit, die im positiven Sinne mehrfach Grenzen überschreitet. Die mit ihren Lyrics nicht auf Nummer sicher geht. Und gerade deshalb zum Austausch anregt. Also: Lasst uns weiter reden. Und natürlich Musik hören. 

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Alyona Alyona meets Biggy Pop, fotografiert von Anne Kleinfeld

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Zum Weiterlesen mein Blick aufs vergangene Jahr:

Reeperbahn Festival 2018, Tag 4 – Finale und Fazit

Reeperbahn Festival 2018, Tag 4 – Finale und Fazit

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All die Musik und all die Menschen, all die Gespräche, Gesichter und Geschichten driften noch drunter und drüber durch Hirn und Herz am Tag nach dem Reeperbahn Festival. Langsam runterkommen. Zeit, Bilanz zu ziehen.

Die Organisation

Auch im 13. Jahr dieser Clubsause denke ich: Wow, was für eine logistische Meisterleistung. An vier Tagen und Nächten gibt es auf St. Pauli rund 500 Konzerte plus Hunderte weitere Veranstaltungen aus Kunst, Film und Konferenzteil an 90 Locations, die hoch professionalisiert bespielt werden. Das Reeperbahn Festival 2018 erlangt zudem einen neuen Besucherrekord: 45.000 Popfans und Konferenzteilnehmer kamen auf den Kiez.

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Gesehen auf einer Jeansjacke im Molotow

Und was mit hundertprozentiger Gewissheit eintritt: der Faktor Zufall. Etwa das kurzfristig krankheitsbedingt abgesagte Konzert von Ibeyi in der Elbphilharmonie. All das will geregelt und kommuniziert werden. Sollte es für solche großen Acts wie beim Theater eine zweite Besetzung geben? Wäre das noch Rock ’n‘ Roll? Aber wäre es nicht auch unfassbar cool, hätte ein Hamburger Newcomer im Großen Saal spontan als Ersatz zur Wandergitarre greifen können?

Die Besucher

Mich faszinieren Festivals immer besonders, wenn jede und jeder dort seine und ihre Nische finden kann. Und durch das Reeperbahn Festival führen Tausende individuelle Wege. Vermutlich würde es gegen Trilliarden Persönlichkeitsrechte verstoßen, die Einlassbänder mit einem Tracker (ähnlich wie bei Vogelbeobachtungen) auszustatten. Aber vier Tage und Nächte lang die Bahnen der Besucher zu verfolgen, wäre extrem spannend. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis allein gibt es bereits die unterschiedlichsten Verhaltensweisen zu betrachten.

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Queen Zee im Backyard des Molotow

Die Superorganisierte wechselt mit Stundenplan im Halbstundentakt von einer Band zur nächsten. Die Netzwerkerin ist zu so vielen Meet & Greets eingeladen, das sie erwägt, Tupperschüsseln mitzubringen, um sich die nächsten Monate von den Festivalhäppchen zu ernähren.

Der Ergebnisoffene lässt sich treiben und trudelt von diversen Vor-der-Türe-Schnacks zu Konzerten und zurück. Der Geschäftsmann arbeitet sich von Termin zu Termin und hat maximal drei Bands gesehen. Die Genrefixierte grast sämtliche Hip-Hop-Acts beim Reeperbahn Festival ab. Der Energieeffiziente bleibt die gesamte Festivalzeit im Molotow und vergnügt sich dort vor mittlerweile vier Bühnen (quasi ein Hurricane Festival auf kleinstem Raum). Die Erschöpfte nimmt sich am Freitag einen Festival-Off-Day, um am Samstag ausgeruht in den Endspurt gehen zu können. Und dann gibt es noch die Ticketbesitzerin, deren freier Wille über das Programm siegt – im Stile von: „Es ist so schönes Wetter, ich lege mich jetzt an den Elbstrand“.

Persönlichkeiten 2018

Zwei Menschen sind für mich beim Reeperbahn Festival 2018 herausragend präsent. Beide sind mit ihrem Auftreten und ihren Aussagen so etwas wie der „Talk Of The Festival“. Sie erschaffen einen positiven Buzz. Die Rede ist von Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda und Linda Perry, Sängerin und Songschreiberin der 4 Non Blondes sowie Produzentin, Labelmanagerin und in diesem Jahr Mitglied in der Jury des Newcomer-Awards Anchor.

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Artwork beim Anchor Award

Carsten Brosda gibt optisch im Anzug den seriösen Politiker, ist aber in seinen Worten ein freiheitsliebender Geist. Auf dem Festival ruft er Rede um Rede emphatisch und euphorisierend dazu auf, unsere demokratischen Werte zu verteidigen und mit der Kraft der Musik unseren diversen, offenen Lebensstil zu beflügeln.

Als Gegenbeispiel zu einem freiheitlichen Dasein nennt er einen Vorfall aus den USA: Auf dem Plattencover zu „Songs Of Resistance“ von Marc Ribot will eine Sängerin, die an einem der Songs beteiligt ist, nicht namentlich genannt werden. Sie hat Angst, dass ihre Inhalte der Trump-Regierung missfallen und ihr das Visum entzogen wird. Und Brosda fragt sich: „Wo leben wir eigentlich?“ In was für – im negativen Sinne – irren Zeiten? Bei der Verleihung des Anchor Awards am Samstagabend im St. Pauli Theater wünscht er sich für uns alle vor allem eines: „being different without fear“. Diese Formulierung wiederholt Brosda mehrfach. Starker Applaus.

Linda Perry, das personifizierte „Don’t Fuck With Me“

Definitiv anders – und furchtlos – ist Linda Perry. Die schmale Frau mit dem markanten Hut ist beim Reeperbahn Festival auf Panels und in Interviews zu erleben. Sie ist die Stimme, die permanent sagt: „Aber der Kaiser ist doch nackt“. Eine radikale Wahrheitssucherin und -aussprecherin. Das personifizierte „Don’t Fuck With Me“.

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Die Jury des Anchor Award (v.l.): Linda Perry, Cassandra Steen, Tony Visconti, Skye Edwards und Jason Bentley

Ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht zuletzt ihrer famosen Kratzbürstigkeit zu verdanken ist, dass es mit Faces On TV sowie Tamino beim Anchor 2018 direkt zwei Gewinner gibt. Recht unverblümt macht Perry bei der Verleihung deutlich, dass sie von allen acht Nominierten, die die Jury im Laufe des Festivals live erlebt hat, mehr erwartet. An Performance. An Energie. Rock ’n‘ Roll sei schließlich kein 9-to-5-Job. Ihre Ansprüche seien hoch. Auch an sich selbst.

Linda Perry ist ein zähes Biest. Eine Naturgewalt. Einerseits blafft sie den Moderator an, ob er Angst vor ihr habe. Andererseits sorgt sie mit ihrem Auftritt bei der Anchor-Gala für meinen intensivsten Gänsehaut-Moment des Festivals. Gemeinsam mit den Sängerinnen Skye Edwards von Morcheeba und Cassandra Steen von Glashaus interpretiert sie – am Flügel spielend und begleitet vom wunderbaren Kaiser Quartett – ihren Hit „What’s Up“. Eine zarte Reprise. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, vor lauter Schönheit nicht loszuheulen.

Entwicklungen

Das Reeperbahn Festival zeigt zunehmend Haltung zu gesellschaftlichen, aber auch brancheninternen Themen. Das gefällt mir.

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Metronomy beim Anchor Award

Der Anchor Award ist – vor allem im Vergleich zum eingestellten, auf Verkaufszahlen basierenden Echo – ein guter Impuls in der Landschaft der Poppreise. Wieso ständig das ohnehin schon Exzellente auszeichnen, wenn doch das Künftige unterstützt werden kann? Der Anchor ist geschmackvoll inszeniert und gehaltvoll in der Auseinandersetzung mit Musik. Das zeigt allein die offensichtliche Uneinigkeit der Jury. Was kann Popkultur denn besseres passieren, als dass sie Anlass zu beherzten Diskussionen ist. Dass sie nicht egal ist. Dass sie lebt.

Mehr Musikerinnen auf den Bühnen

Fantastischer Weise deutlich spürbar sind die Auswirkungen des Keychange-Programms, das der britische Musikfonds PRS Foundation 2017 initiiert hat. Mehr als 100 Musikfestivals aus Europa und Kanada, darunter das Reeperbahn Festival, haben sich verpflichtet, dass 50 Prozent der musikalisch Mitwirkenden bis 2022 Frauen sein sollen. Sprich: mehr Musikerinnen auf den Bühnen. Das heißt vor allem: mehr Abwechslung. Top.

Zu erleben ist das am Samstag zum Beispiel bei den estnischen Rapperinnen von Hoax. Im Karatekeller des Molotow hauen die beiden hochfrequent ihren Sprechgesang heraus. Wut und Humor, Power und Skills. Die Menge feiert das. Yeah!

Ideen fürs Reeperbahn Festival 2019

So ein verdichtetes Popkultur-Erlebnis wie das Reeperbahn Festival wirft bei mir sofort das Kopfkino an, was noch alles möglich wäre. Von daher anbei einige Ideen, Anregungen und Wünsche meinerseits für das Reeperbahn Festival 2019.

1. Noch mehr Vielfalt

Ich wünsche mir noch mehr stilistische Vielfalt, mehr abgefahrenen Kram und vor allem noch mehr Input aus anderen Ländern – ungewohnte Rhythmen, überraschende Melodien, noch mehr unterschiedliche Sprachen aus Südamerika, Afrika und Asien.

2. Kuratierte Abende

Helen Schepers von der Fahrradgarderobe, die ich beim Helga Award kennenlerne, erzählt mir von einem Jazzfestival in den Niederlanden, auf dem einzelne Musiker Abende kuratieren. Eine sehr schöne Idee. Ich wünsche mir als neues Fangirl eine Nacht mit Künstlern, die Linda Perry auswählt. Ein Abend von Jarvis Cocker oder Damon Albarn fände ich ebenfalls fein. Bitte denken Sie groß.

3. Hamburg-Abend

Im Hamburg-Haus im St. Pauli Museum haben sich beim Reeperbahn Festival 2018 hiesige Labels wie Backseat und hfn music präsentiert. Sehr gut ist das. Wie wäre es zudem mit einem Abend ausschließlich mit Acts aus Hamburg? So hätten Besucher von außerhalb die Chance, geballt Talente aus der Hansestadt zu erleben.

4. Open Stage

Das Reeperbahn Festival arbeitet mittlerweile derart professionell, dass mir ein wenig das anarchische Moment fehlt. Wie wäre es als kleines Guerilla-Element mit einer Open Stage am Mittwochabend? Bands könnten sich vor Ort anmelden und werden nach dem Losverfahren auf die Bühne gebeten. Eine Jury oder das Publikum wählt den Gewinner, der dann am nächsten Tag einen Slot im Festival-Programm erhält.

5. Internationale Blogger Battle

Da ich selbst gerade angefangen habe, über Popmusik in Hamburg zu bloggen, bin ich natürlich sehr dafür, dieses Medium zu pushen. Wie wäre es also beim Reeperbahn Festival 2019 mit einer internationalen Blogger Battle? Schreiber (und Podcaster) aus verschiedenen Ländern berichten aus ihrer ganz individuellen Perspektive über das Festival. Ich stelle mir das äußerst inspirierend vor.

6. Schlafbärenquartier

Das Reeperbahn Festival ist in manchen Momenten einfach nur fordernd, ja anstrengend. Mitunter möchte ich als Besucherin einfach nur eine halbe Stunde Ruhe haben, um mich dann wieder frisch auf all die neue Musik einlassen zu können. Wie wäre es daher mit einem (akustisch abgeschotteten oder mit Noise-Cancelling-Headphones versehenen) Ruheraum, einer Chilloutarea, einem Entspannungsseparee? Oder, wie ich es nennen würde, einem Schlafbärenquartier? Gerne mit Massage-Einheit. Danke.

See you next year

Ich jedenfalls bin sehr gespannt auf das Reeperbahn Festival 2019. Jetzt ist ja erstmal ein Jahr Zeit, um sich auszuruhen.

Zum Nachgucken

Wer tolle Fotos vom Reeperbahn Festival sehen möchte, dem seien die Instagram-Accounts von Charles Engelken und Stefan Malzkorn empfohlen.

Zum Nachlesen – mein Reeperbahn Festival 2018
Klaus Voormann: Vernissage zum Reeperbahn Festival
Tag 1 – positiver Schockzustand
Tag 2 – preisverdächtig
Tag 3 – Nachdenken über Musikjournalismus

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