Laut sein, klug sein: Releasekonzert von Leto im Hafenklang

Leto, Punk, Postpunk, Band, Label, Rookie Records, Goldener Salon, Hafenklang, Hamburg

In diesen Tagen ist es wichtig laut zu sein. Lauter. Aber auch klüger. Empathischer. Musik kann ein Beitrag dazu sein. Sie kann anregen und auffordern. Wie zum Beispiel der Song „Karma“, den die Hamburger Postpunkband Leto bei ihrem Albumreleasekonzert im Hamburger Hafenklang spielt. Die Nummer basiert auf einem Erlebnis in einem Regionalzug, in dem die Musiker Zeuge von rassistischen Kommentaren wurden.

Verwirrung und Anspannung, Ohnmacht und Wut hat das Quartett in ein Stück von presslufthammerartiger Intensität verpackt. Dazu die Zeilen: „Die Welt geht vor die Hunde / Ich würd ja helfen, nur nicht heute / Ich kann es nicht mehr schlucken / Mich nicht mehr weiter ducken / Jedes Wort ein Schlag / Life hits me hard, life hits me hard“.

Klar, es ist „nur ein Lied“. Aber ich bin an diesem Abend froh um dieses Ventil. Ich bin dankbar für den Goldenen Salon, diesen bunten Ort, der seine Besucher im wahrsten Sinne des Wortes zusammenschweißt. Stufe für Stufe, die ich zum Club hinauf steige, erhöht sich die Wärme, die Dichte an Aufklebern an den Wänden, die Intensität des Sounds.

Zweieinhalb Jahre hat Leto am Debüt „Vor die Hunde“ gearbeitet

Die Stimmung unter der Discokugel ist familiär. Zweieinhalb Jahre hat Leto an dem Debütalbum „Vor die Hunde“ gearbeitet. Sänger und Gitarrist Jannes spricht und winkt so honigkuchenglücklich in den Saal, dass es ein herrlicher Kontrast ist zur Wucht der Musik. Die Nummern von Leto preschen melodiös geradeaus, getrieben vom Berserkerbeat von Schlagzeuger Pascal. Mitunter gibt es Breaks in den Songs, die eine tolle Spannung aufbauen. Davon hätte ich mir noch ein paar mehr gewünscht. Schön vielschichtig gepackt werde ich wiederum, wenn Jannes sowie Bassist Paul und Gitarrist Phill sich alle drei an die Mikros klemmen und mehrstimmig singen. Diese versierte Energie überträgt sich alsbald auch auf das Publikum, das näherrückt, tanzt, mitsingt.

Nach der Show fällt sich die Band in die Arme, was noch einmal unterstreicht, wie besonders und verbindend dieser Moment ist. Im Anschluss dann schweiß- und endorphinüberströmt runter von der Bühne und hin zu den Plattenfirmeneltern Anne und Jürgen von Rookie Records, die Leto unter Vertrag genommen haben. Dieses hoch sympathische Label feiert übrigens am 10. November seinen 22. Geburtstag. Ebenfalls im Goldenen Salon des Hafenklangs. Erneut eine gute Gelegenheit, laut zu sein. Miteinander.

Leto live: Do 20.9., 20 Uhr, im Grünen Jäger beim „Reeperbahn Festival“

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„Reeperbahn Festival“ 2018: Biggy Pops tierische Top Ten

"Reeperbahn Festival", Fox, Pop, Hamburg

Jetzt kommt die Zeit, in der die Tiere wieder hinein wollen. Heute früh bin ich bereits von einer kompakten Spinne, einem langbeinigen Exemplar sowie diversen Marienkäfern begrüßt worden. Partytime!

Es wird kälter. Die Tiere sind unruhig. Sie dürfen wieder in die Clubs, ohne dass dieser Einkehrtrieb vom Rausgehzwang unterdrückt wird. Dach und Druck statt Himmel und Heiterkeit.

Passend zu diesem aufkommenden Indoor-Feeling hat die große Hamburger Club-Sause, dasReeperbahn Festival“, nun seinen Timetable für die tollen Tage vom 19. bis 22. September veröffentlicht. Und weil ich heute ohnehin schon über Tiere nachdachte und da ich ja nun irgendwie mal anfangen möchte mit dem Durchhören der vielen angekündigten Festival-Acts, ziehe ich einfach die nun folgende Kategorie an den Haaren beziehungsweise am Fell herbei.

Hier ist sie also:
Biggy Pops Top Ten der tierischen Teilnehmer des „Reeperbahn Festivals“.

Jaguwar: Mi 29.9., 23.20 Uhr, Nochtspeicher

Das Raubtier mit der arty Schreibweise. Ich habe diese Berliner Band Anfang des Jahres bereits in meiner Radiosendung Das Draht auf Byte FM gespielt. Damals war soeben ihr Debütalbum „Ringthing“ beim Hamburger Label Tapete Records erschienen. Ich mag den hall-verliebten, halb ausgetüfftelten, halb hingebretterten Sound des Trios. Der Gesang von Oyèmi Noize lässt mich kurz an Juliana Hatfield denken. Ein Tier, in dessen Adern Wave und Noise und Rock und Pop pulsiert. Und das sich beim Gitarrenspiel gerne auf die Pfoten guckt. Das klingt dunkel und zugleich von der Sonne geküsst.

Goat Girl: Mi 19.9., 0 Uhr, Häkken & Do 20.9., 21.30 Uhr, Knust

Yeah, yeah, yeah! Vier Ladies aus London, die sich dem bockigen Ziegentum im allerbesten Sinne verschrieben haben: Die Hufe gewetzt und das Fell struppig spielt Goat Girl einen coolen, lasziven und angenehm spröden Mix aus Indierock, Sixtiesbeat, Jingle-Jangle-Pop und Postpunk. Als Roller-Derby-Fangirl liebe ich Kampfnamen. Und mit Clottie Cream, Rosy Bones, Naima Jelly and L.E.D. sind bei dieser Band vier Premium-Pseudonyme am Start. Besonders amüsant finde ich das Video zu „The Man“, in dem Goat Girl die Beatles-Hysterie geschlechterumgedreht nachspielen: Auf der Bühne rocken die Ziegen, flennend am Zaun davor hängen die Typen. Mäh, mäh! Ich bin gespannt, wie das beim „Reeperbahn Festival“ so zugehen wird.

DeWolff: Do 20.9., 17 Uhr, Molotow Backyard & Fr 21.9., 22.30 Uhr, Knust

Aahuuuu! Meister Isegrim heult gerne laut. Doch als ich DeWolff das erste Mal 2017 beim Festival „Sommer in Altona“ im Zirkuszelt sah, spielte die Band aus den Niederlanden wegen Lärmschutzauflagen das wohl leiseste Konzert ihrer Geschichte. Ich freue mich daher schon sehr darauf, das Trio mit ihrem psychedelischen Südstaatenrock im wortwörtlichen Sinne aufgedreht zu erleben. Ich verspreche mir nicht weniger davon als ein Biest, das gerne im Dreck wühlt und sich im Sound verbeißt.

Lion: Do, 20.9., 21 Uhr, St. Pauli Kirche

Mitunter sind Klischees ja auch was Feines. Wer sich im Popkontext eine Person mit dem Künstlernamen Lion vorstellt, könnte flugs bei Beth Lowen landen – blondbraune Mähne, lauernder Blick und kraftvoller Auftritt. Das Wichtigste jedoch: Diese Löwin besitzt eine Stimme, die nicht sanft schnurrt, sondern wild und rau aus den tiefsten Tiefen emporsteigt. Die Australierin, die es nach England verschlagen hat, ist eine unberechenbare Musikerin, die sich mal scheinbar dösend dem Singer-Songwriter-Sound hingibt, um dann blitzschnell mit der Pranke des Rock ’n‘ Roll zuzuschlagen. Wer sich auf Safari in die St. Pauli Kirche wagt, dürfte dort also eher Aufschrei als Andacht finden.

The Dogs: Do 20.9., 23 Uhr, Karatekeller im Molotow

Und wo wir schon bei Stereotypen sind: Bei einer Band, die The Dogs heißt, stelle ich mir ein paar räudige Typen mit dicken Koteletten und verschwitzten T-Shirts vor, die sich irgendwo zwischen Britpop und Punk bewegen, viel Bier trinken und noch mehr davon verschütten. Nun ja, knapp vorbei ist auch daneben. Die norwegischen Hunde, von denen an dieser Stelle die Rede sein soll, sind äußerst adrette Erscheinungen mit schwarzen Hemden und schnieke zurückgekämmten Haaren. Wenn ich mir ihre Songs zwischen Garagen- und Punkrock so anhöre, beschleicht mich allerdings der Verdacht, dass es live durchaus wüst zugehen könnte bei diesem Rudel. Die Frage ist nur: Sechs kläffende Köter im Karatekeller des Molotow – wo soll da noch das Publikum hin?

Walrus: Fr 21.9., 14 Uhr, Kukuun

Wenn sich Walrösser an Land hieven, machen sie einen recht schwerfälligen Eindruck. Im Wasser hingegen gleiten sie elegant dahin, sie überraschen mit entspannten Drehungen und Wendungen. Ganz so verhält es sich mit der Rockband namens Walrus. Schlurfige Typen, deren Songs so psychedelisch dahin driften und mit Wucht um die Kurve kommen, als schwämme das Robbentier durch ein Korallenriff. Alles so schön bunt hier. Und so angenehm verschwommen. Diese wunderbaren Weirdo-Walrosse stammen übrigens aus Halifax und spielen im Kukuun, dem Haus der Kanadier, die beim „Reeperbahn Festival“ traditionell einen großen Aufschlag hinlegen. Da dürfte gewiss einiges an Stimmung überschwappen. Und jetzt alle: „I Am The Walrus“!

Cat Clyde: Fr 21.9., 20.50 Uhr, Schulmuseum

Diese Katze hat den Blues. Und Soul. Und sie besitzt den weiten traurigen Blick, der tief ins Herz des Country hineinzuschauen versteht. In dem Poesiealbum namens Facebook gibt sie an, dass sie alte Westernfilme liebt. Und wir malen uns aus, wie sie dunkel schnurrend diese düsteren Geschichten anschaut, um sie in ihrer Seele abzulagern und später in ihre eigenen schönen Storys zu verwandeln. Dann spielt sie auf ihrer Gitarre Melodien von betörender Schlichtheit, während ihre Stimme zeitlos und facettenreich ertönt. Ein Gesang, der sich in unserer Inneres schleicht, um dort – ganz Katze – zu machen, was er will.

Milkywhale: Sa 22.9., 19.30 Uhr, Häkken

Menschen sollten viel mehr alleine in ihren Wohnungen und Häusern umher tanzen. Unbeobachtet. Albern. Ausgelassen. Sehr schön demonstriert das die junge Isländerin namens Melkorka Sigríður Magnúsdóttir in ihrem Video zu „Birds Of Paradise“, wo sie zu einem feinen, sich euphorisch steigernden Electro-Pop auf Socken durch die Räume tobt. An ihrer Seite jedoch kein milchiger Wal, wie der Name ihres Duos vermuten ließe, sondern ein träge dreinschauender Windhund. Wieso nicht? Je mehr Tiere, desto besser. Die betörenden wie beschwingten Sounds stammen von ihrem Kompagnon Árni Rúnar Hlöðversson, seines Zeichens zudem Mitglied der Band FM Belfast. Spätestens seit dem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ wissen wir ja, dass sich eine Rakete in einen Wal verwandeln kann. Vielleicht wird es bei diesem Konzert umgekehrt der Fall sein.

Mammal Hands: Sa 22.9., 23.10 Uhr, Resonanzraum

Mammal Hands – Säugetierhände. Willkommen in der Oberkategorie des Tierlichen. Und was fabrizieren sie, die Hände? Jazz. Schwelgerische, atmende, organische, sich in Schlaufen wiederholende und stets leicht variierende, sachte wachsende Musik. Quasi Evolution zum Zuhören. Saxofon, Schlagzeug und Piano sowie Keyboard bilden ein dreiköpfiges wunderschönes Übertier, das beim „Reeperbahn Festival“ im Resonanzraum des Feldstraßenbunkers in seinem entsprechenden Habitat zu betrachten ist.

Black Foxxes: Sa 22.9., 23.15 Uhr, Kaiserkeller

Sind Füchse, die sich mit zwei x schreiben, doppelt so schlau und gerissen wie andere? Mag sein. Vielleicht sind sie auch einfach nur wütender und melancholischer. Das britische Trio Black Foxxes nennt seinen Sound selbst Romantic Gloom. Und da erinnern wir uns doch flugs an all die Fabeln, die den Fuchs an und für sich umgarnen. Und an die Nachrichten, die Reineke immer häufiger bei den großen Städten sehen. Wird da das Tier menschlicher oder der Mensch tierischer? Die Black Foxxes jedenfalls sprechen und schreien mit ihrem brachialen Indierock unsere innersten Instinkte an. Fuchs, du hast den Grunge gestohlen. Gut so.

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Liebe und Revolution: Blumfeld auf Kampnagel

Mein popkulturelles Wochenende war nicht gerade ereignisarm mit dem Konzert der Beginner am Freitag sowie dem Festival „Burger Invasion“ im Molotow am Samstag. Um das Triple-B voll zu machen, folgt nun am Sonntag der ausverkaufte Auftritt von B wie Blumfeld als Abschluss des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel.

Ich habe bereits auf meiner Jukebox-Seite darüber geschrieben, wie wichtig und wegbegleitend diese Hamburger Band für mich war und ist. Und als ich mich in der großen Halle K6 umschaue, weiß ich, dass ich mit dieser biographischen Verbundenheit nicht alleine bin. Zahlreiche Fans 40 plus versammeln sich da mit diesem gewissen erwartungsvollen Blick. Die Band, 1990 gegründet, hat in Originalbesetzung zur „Love Riots Revue“ geladen.

Wird das live hinhauen nach all Jahren mit der Liebe und der Revolution, mit dem Rock und dem Pop? Wird diese Haltung, wird die Poesie Mark und Bein erschüttern oder bloß verstaubte Behauptung bleiben?

Hat das alles noch etwas zu bedeuten?

Als Jochen Distelmeyer – Sänger, Gitarrist, Ikone – die Bühne betritt, drängt sich dieses abgedroschene Goethe-Zitat in den Kopf: „Von Zeit zu Zeit seh‘ ich den Alten gern“. Weißes Sommerjackett, fedrig wehendes Haar – kann er tragen, klar. Als er dann mit seinen Kompagnons von einst – Bassist Eike Bohlken und Schlagzeuger André Rattay – zu spielen beginnt, unterstützt von Daniel Florey an Piano und Gitarre, überkommt mich kurz die Angst: Oh Gott, wird das jetzt so ein Gemucke von alten Männern? Hat das alles noch etwas zu bedeuten? Die Musik? Die eigene Geschichte?

Das Set von Blumfeld beginnt mit einer Solonummer von Distelmeyer aus dem Jahr 2009: „Einfach so“. Interessanter Move. Schön wütend zudem. Und dann, mit dem Anfang des zweiten Liedes, hat mich die Band wieder völlig gepackt. Es liegt etwas in den Akkorden, das mich abholt. Scharf und sehnsuchtsvoll. Eine alte Nummer von 1992. „Von der Unmöglichkeit Nein zu sagen ohne sich umzubringen“. Harter guter Stoff. Und für das Drama und die Dramaturgie, damit wir alle auch so richtig heftig wechselbaden in den Gefühlen, folgt aus dem selben Jahr der Song „Viel zu früh und immer wieder Liebeslieder“. Die Stimme weniger schneidend. Zarter. Ein Kissen. Ein weiches Fallen.

Weiter geht es mit Mystery und Hysteria und History

Ich bin müde vom Wochenende und froh um meinen Sitzplatz. Ich kann mich fokussieren und der Sound ist gut, wird sogar immer besser, nachdem die Fans in den Stehreihen weit vorne vehement lauteren Gesang einfordern und Jochyboy immer wieder seine Gitarren stimmt („die h-Seite“). Gut ist er drauf, dieser Typ.

„Alles chicko, alles chillaxed, schönen Urlaub gehabt?“, fragt er süffisant. Und ich überlege kurz, ob er sich diese Aneinanderreihung von Zisch-Lauten vorab zurechtgelegt hat oder ob das Lautmalerische einfach in ihm wohnt wie in anderen Menschen die Mathematik oder die Gabe zum Kochen.

Weiter geht es mit Mystery und Hysteria und History. Ab dem Stück „Weil es Liebe ist“ holt Distelmeyer den Gitarristen und Produzenten Tobias Levin auf die Bühne. Das freut mich sehr. Denn die heimlichen Stars gehören doch ab und an ins Rampenlicht. Musikbergwerker, ohne die die ganze Kunst keinen Brennstoff hätte.

Blumfeld lieferte immer schon Trost für die Überreizten

In insgesamt fünf Akten kommt die Band in diesen zwei Stunden auf die Bühne. Und ja, logisch, es gibt die klar gesetzten Höhepunkte: Distelmeyer im sexy dance alleine bei „Tausend Tränen Tief“. Die krachende Sozialisationshymne „Verstärker“ – tausendmal betanzt, tausendmal berührt. Und „Diktatur der Angepassten“ als nach wie vor hoch aktuelle Analyse zur Zeit. Doch mich zerlegt es in der Mitte des Konzerts.

„Letzte Nacht meinte meine Mutter / sie sei so müde und erledigt / und ich dachte, mir geht’s ähnlich / an den Haufen von Geschichte“, proklamiert Distelmeyer zu Beginn von „Pro Familia“. Ich kann die Lyrics im Kopf mitsingen. Und das Mantra zeigt Wirkung. Es macht spürbar, wie das Erschöpfte häufig nur ganz knapp unter der Oberfläche liegt.

Blumfeld lieferte immer schon Trost für die Überreizten und Entfremdeten, die Müden und Irritierten. Und ich muss an jene denken, die selbst solche Musik nicht retten kann. Deren Haut zu dünn ist zwischen Innen und Außen. Und das Außen zu viel und das Innen zu dunkel. Und ich fühle diese Verpflichtung, ein möglichst wahrhaftiges Leben zu leben. Und als säße die Band in meinem Kopf, spielt sie im Anschluss „Wir sind frei“. Die ultimative Aufforderung, „eine kleine Utopie“ zu wagen. Durchzuatmen. Loszugehen. Jochyboy, Du alter Tearjerker. Okey dokey. Schon verstanden.

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Acht Stunden Inspiration: „Burger Invasion“ im Molotow

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Ich liebe das Molotow. Vor allem, wenn in dem Club auf St. Pauli ein Festival stattfindet. Wenn also auf allen drei Stockwerken Bands spielen und DJs auflegen. Ich fühle mich dann immer wie in einem Pop-Zauberwürfel. Ständig wechseln die Ebenen, die Farben, der Sound. Kästchen für Kästchen, Raum für Raum, Bühne für Bühne gilt es zu erkunden. Und bei jeder Bewegung ergeben sich neue Kombinationen, andere Muster, ungewohnte Einblicke. Sehr schön ist das. Eine Art aufregende Geborgenheit.

Burger Invasion, Burger Records, Label, Festival, Molotow, Club, St. Pauli, Hamburg, Merchandise, Flyer, Records, Tapes An diesem Samstag öffnet das Molotow seine Türe für die „Burger Invasion“. Zwar gibt es im Hinterhof tatsächlich Bulettenbrötchen vom Team des nahe gelegenen Lokals Grilly Idol. Doch der Name stammt eigentlich von der 2007 gegründeten kalifornischen Plattenfirma Burger Records, die für feinen Schrammel- und Schlonzrock sowie herzöffnenden Powerpop steht. Die Hamburger Veranstalter Sebastian Tim und Timotheus Wiesmann sind Fans des Labels, das seine Musik bevorzugt auf Kassetten veröffentlicht.

Sofort muss ich daran denken, wie ich in den 80er- und 90er-Jahren mit meinen TDK-Tapes an der Stereoanlage meiner Eltern sitze, um Musik von Freunden zu überspielen, Songs aus dem Radio aufzunehmen oder Mixe zu machen und um Cover zu basteln. Die ganze Sache spricht meine nostalgische Seite an und verströmt zudem ein sehr sympathisches Flair von Do-It-Yourself-Kultur.

„Burger Invasion“, Komplizenschaften weit über die Stadtgrenzen hinaus

Sebastian Tim und Timotheus Wiesmann jedenfalls haben im Austausch mit den Burger-Records-Gründern Sean Bohrman and Lee Rickard nun zum zweiten Mal ein Programm mit lokalen und internationalen Bands zusammengestellt – eben die „Burger Invasion“. Mir gefällt es sehr gut, wie da Komplizenschaften weit über die Stadtgrenzen hinaus geknüpft werden. Ein gutes Mittel, damit die Popkultur in Hamburg nicht im provinziellen Lokalpatriotismus versandet.

Bereits draußen vor dem Club am Ende der Reeperbahn kündet ein Poster von der großen Sause: Ein Burger sendet wie ein Raumschiff in einschlägigen Science-Fiction-Filmen einen Lichtstrahl auf die Erde. Ich muss sehr lachen über dieses größenwahnsinnige wie angenehm spackige Artwork. Gut gelaunt entern wir also am Nachmittag das Molotow – um den Laden acht Stunden später wieder zu verlassen. Ein Clubbesuch als Tagwerk. Eine Schicht lang Shows und Schnacken, Menschen und Magie, Treppen auf und ab, an die Bar, aufs Klo, in den Hinterhof, Luft schnappen, Leute treffen, Gucken und Lächeln, Hören und Driften, Spüren und Tanzen.

Lichtscheues Gesindel wollen wir sein

Wir gleiten sanft hinein in die Invasion mit My Friend Peter aus Graz, die in der Skybar im zweiten Stock einen entschleunigt groovenden Pop mit hübsch verpeilter Aura spielen. Die Sonne scheint prall durch die Fenster. Unten zieht der Kiez grell vorbei.

Burger Invasion, Burger Records, Label, Festival, Molotow, Club, St. Pauli, Hamburg, Band, Juniore, France, Sixties, Rock Bei den Franzosen von Juniore im Erdgeschoss-Saal zieht dann doch jemand die Vorhänge zu. Passt auch besser zu dem sixties-inspirierten Psychedelic-Rock des Trios. Lichtscheues Gesindel wollen wir sein. Und die Band hat ohnehin ihre eigene Sonne mitgebracht. Der Keyboarder und Gitarrist trägt eine goldene Maske, die ins nachmittägliche Dunkel hinein funkelt. Die Kasseler Combo Catch As Catch Can wiederum macht im Karatekeller ohnehin vergessen, dass draußen noch Tag ist. Garagenrock in der räudigsten Ecke des Pop-Zauberwürfels. Angekommen im Ausgehmodus.

Feinripp-Remmidemmi mit Blondie-Charme

Immer weiter lassen wir uns verwirren und durchströmen von der Vielfalt, dem Krach, dem Schillernden der Musik. Toller eruptiver Gesang von der Formation Erregung Öffentlicher Erregung aus Hamburg und Berlin. Roher Rock ’n‘ Roll-Schub an nackter Haut von der Rotterdamer Band Iguana Death Cult. Und linkische Lieblichkeit mit den hyperharmonischen Popmelodien der New Yorker Cut Worms. Zudem eine einnehmende Wolke aus Hall von den Texanern Holy Wave. Hochtouriger Punkrock mit gutem Schreifaktor von Häxxan aus Tel Aviv. Und Feinripp-Remmidemmi mit Blondie-Charme der Abriss-Rock ’n‘ Roller Amyl And The Sniffers aus Australien.

Burger Invasion, Burger Records, Label, Festival, Molotow, Club, St. Pauli, Hamburg, Band, Garagerock, Rick McPhail, Frehn Hawel Eine spannende Entdeckung, die der Pop-Zauberwürfel Molotow für mich bei der „Burger Invasion“ hervorbringt: Tocotronic-Gitarrist Rick McPhail kann vorzüglich Schlagzeug spielen und präsentiert gemeinsam mit Hamburgs Frehn Hawel einen famos krachenden wie akzentuiert wütenden Garagenrock im Karatekeller. Hawels Tipp: „Nie das Handtuch vergessen bei einem Auftritt in dieser Schwitzbude!“

Fenster, eine sanft Grenzen sprengende Band

Restlos begeistert mich das Konzert von Fenster in der Skybar, eine sanft Grenzen sprengende Band aus Deutschland, den USA, Frankreich und England. Ich finde es unfassbar interessant, diesem Quartett zuzuhören, wie sie da eine Popmusik produzieren, die schwelgerisch betört und sphärisch entführt, die Tempi wechselt und Pausen lässt, in denen die eigenen Assoziationen atmen können. Das Fenster weit offen. Humorvoll, einfallsreich, wunderschön. Hinter mir stehen einige Typen, die in regelmäßigen Abständen fasziniert ein einziges Wort wiederholen: „geil“. Stimmt.

Hinzu kommt: Sängerin JJ Weihl lebt in New York. Und wenn ich mir die so heiß geliebte Stadt als Mensch vorstellen sollte, käme vermutlich solch eine eigensinnige und hoch charismatische Person dabei heraus. Wie sie dasteht mit ihrem weiß-rosa gestreiften Kleid und ihren weißen Boots und dem halb blonden Haar. Plus ihr facettenreicher Gesang – geil.

„Labskaus, Diggi!“

Aus diesem Himmel geht es dann noch einmal hinab in den Keller, zum amüsanten wie durchpustenden Abschluss dieser irrlichternden Invasion. Das Duo Swearing At Motorists aus Dayton, Ohio / Hamburg ist ein Gitarre-Schlagzeug-Inferno, das nicht nur mit wilden Songs über Pizza und Liebe besticht, sondern auch durch komödiantisches Potential. „Labskaus, Diggi!“ Diesen freudigen Ausruf von Sänger Dave Doughman möchte ich mir auf ein T-Shirt drucken lassen. Auf seiner Brust wiederum prangt ein alt vertrauter Spruch: „Ich bin neu in der Hamburger Schule“. Genau. Und es gibt Bier als Pausenbrot. Bei dieser Tages- und Nachtschicht „Burger Invasion“ im Molotow. Satt und glücklich radeln wir nach Hause.

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Hip Hop, Hamburgliebe, Historie: Beginner auf dem Großmarkt

Beginner, concert, Hamburg, Hip Hop, stage, crowd

Es gibt diese Momente auf einem Konzert, da geschieht etwas mit einem. Da verändert sich das Energie-Level. Vom Beobachten zum Machenmüssen. Vom Draufschauen zum Drinsein. Vom Kopfnicken zum Jumparound. Das passiert mal direkt am Anfang eines Konzerts, bei den ersten Tönen. Mitunter braucht es aber eine Weile, bis der Bass den Alltag aus dem Körper gepumpt hat und das Blut im Fluss der Musik pulsieren kann.

Beginner, Hip Hop, Merchandise, Ticket, Cup, Hamburg, Pop in Hamburg Das erste von zwei ausverkauften Konzerten der Hiphopper Beginner auf dem Hamburger Großmarkt (zweimal 11.000 Leute) startet sympathisch. Ein kleiner Schnack an der Fahrradgarderobe und am Eingang eine Spende für die Seenotrettung. Auf dem Gelände selbst schaue ich mir zu den letzten Reimen von Afrob aus dem Vorprogramm die Banner an, die die Bühne flankieren – eine Art Hamburg-Ode im Keith-Haring-Style. Weiß auf Schwarz tummeln sich da Füchse und Udo, Stadtwappen und Michel, das Logo von Sprayer Oz und dem Plattenladen Groove City, aber auch die ein oder andere Nachricht: „Sternbrücke bleibt!“ und „Viva la Bernie“ zum Beispiel.

Besser role model als Topmodel

Streetart-Shoutouts für eine faire Stadtkultur. Und feine Hinweise darauf, dass da eine Band zwar massiv erfolgreich ist mit zwei Nummer-eins-Alben und Platin und Bling, aber ihren Fame dann doch lieber ohne dumpfe Image-Huberei für gute Zwecke zu nutzen weiß. Ein Fuchs muss tun, was ein Fuchs tun muss. Und das bedeutet eben, sich nicht wie Teflon durch die eigene Stadt, durch unsere Welt zu bewegen. Besser role model als Topmodel.

Dementsprechend positiv eingegroovt positioniere ich mich oben in einem Doppeldeckerbus, von wo aus sich Areal und Bühne überblicken lassen. Das Schiffshupen-Intro von „Ahnma“ schiebt sich ultimativ über die Fläche. DJ Mad thront mit seinem Gerät auf einer funkelnden Pyramide. Eizi Eiz und Denyo werfen sich an die Rampe, springen fit, rappen scharf. Historie. Hamburgliebe. Humor. Der Part von Gzuz kommt vom Band. Beziehungsweise vom Publikum. Das ist textsicher bis zur letzten Silbe. Arme in der Luft. Ein vibrierendes Kraftfeld.

Mein Bus-Untersatz wankt bereits amtlich. „Bambule, yes yo“. Wir sprechsingen jedes Wort mit bei „Hammerhart“. Und ich freue mich über den optimistischen „Gustav Gans“ mit seinem tapsigen Charme. Mit tanzenden Plüschtieren bekommt man mich ja immer.

Beginner und Advanced Chemistry und Samy Deluxe

Aber es gibt diesen einen Moment, in dem es mich definitiv nach vorne zieht: Die Beginner erzählen von ihrem 2016er-Album „Advanced Chemistry“ und von der Band, nach der sie die Platte benannt haben. Von der Vorbildfunktion. Von der Bedeutung. Und dann kommen sie tatsächlich auf die Bühne, die Heidelberger Helden von damals. Und heute. „Fremd im eigenen Land“. Der Meilensteinsong für Deutschrap mit Bewusstsein. Gänsehaut galore.

Damals, Anfang der 90er-Jahre, ist mir Rapper Toni L. mit seiner schlapphütigen Zeigefinger-Art im Musikfernsehen eher auf die Nerven gegangen. Seinen Kompagnon Torch fand ich irgendwie reeller. Aber jetzt will ich das unbedingt hart feiern. Dass Advanced Chemistry Beats und Flow mit Anstand und Aussage populär gemacht haben. Dass die Beginner diese Idee fortführen. Dass sich Gestern und Heute verbinden. Dass wir achtsam und aktiv bleiben müssen. Gegen Abschottung. Für Miteinander.

Beginner, concert, Hamburg, Hip Hop, stage, crowdEs treibt mich vor die Bühne, wo ich alte Bekannte treffe und neue kennenlerne. Wo Licht und Nebel und Wumms und Worte in den Himmel flackern. Wo es anfängt zu regnen und die Leute einfach weiter tanzen. Wo es wüst ist und zugleich unglaublich entspannt. Die Haare werden nass. Die Turnschuhe verlassen den Boden. Rudeltiere ringsherum. Samy Deluxe erscheint, rappt rapide und „zerstört alles“, wie Eizi Eiz amüsiert anerkennt. Weiter geht es auf Feuerrädern durch die Nacht. „Es war einmal“. „Liebeslied“. „Danke“. Danke? Wir haben zu danken.

Mehr Hip Hop und weitere Musik aus Hamburg gibt’s in meiner Jukebox

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„Sommer in Altona“: Country in der City

"Sommer in Altona", Zirkuszelt, Pop in Hamburg, Festival, Popup Records

Ich bin immer wieder schwer beeindruckt von Menschen, die in einer Wiese nicht bloß eine Wiese sehen, sondern einen Ort, an dem Leute zusammenkommen, Musik hören, sich begegnen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Eine Wiese darf auch gerne eine Wiese bleiben und nicht jeder Platz in der Stadt muss stets einen Zweck, eine Funktion, einen Nutzen haben. Aber im Fall von „Sommer in Altona“ gefällt mir die temporäre Bespielung des Parks am Nobistor äußerst gut.

Einen Monat lang zeigt uns die Hamburger Platten-, PR- und Bookingfirma Popup Records mit ihrer (von der Stadt unterstützten) Konzertreihe, was im öffentlichen Raum möglich ist zwischen den Polen „kommerzielles Großevent“ und „Umsonst-und-Draußen“. Ein hoch sympathisches Pop-Festival direkt vor der Haustüre nämlich, für das niemand Easy-Jet-Open-Air-Hopping quer durch Europa betreiben muss. Und das auf Kooperationen in verschiedene Richtungen setzt.

PR Newman spielt Songs von dringlicher Beiläufigkeit

An diesem Abend präsentiert das Hamburger Label Devil Duck Records vier Bands aus seinem wachsenden Portfolio. Zwei Künstler spielen bei freiem Eintritt im lauschigen Biergarten, zwei Bands treten später im – ausverkauften – Zirkuszelt auf. Ein schöner Kompromiss.

Am Eingang werde ich aufgefordert, für die Alimaus zu spenden, die nahe Tagesstätte für Obdachlose. Denn der „Sommer in Altona“ möchte kein in der Nachbarschaft gelandetes Raumschiff sein, das ohne Kontakt zur Umwelt sein Spektakel aussendet. Kommunikation ist der Schlüssel.

Wie hingewürfelt stehen Biergarnituren und Liegestühle unter alten Bäumen, flankiert von Getränkestand, Käsegrill und Dixi-Klos. Die Sonne scheint milde durch die Blätter über uns, als PR Newman Songs von dringlicher Beiläufigkeit in den Abendhimmel schickt. Ein junger schmaler Typ aus Texas mit Stimme, Gitarre, Mundharmonika und Dylan’eskem Charme. Das PR in seinem Namen steht übrigens für Punkrock. Ein hübscher Beweis dafür, dass Punk nicht zwingend etwas mit Krawall und Lautstärke zu tun haben muss, sondern womöglich vielmehr mit einer gewissen ruppigen, gewitzten bis querdenkenden Attitüde. Und mit einem Gesang, der die Zuhörer fein aufzuwühlen versteht.

Jon Kenzies Laut-Leise-Spiel sorgt für tolle Dynamik

Im Anschluss stellt Devil-Duck-Chef Jörg Tresp den Briten Jon Kenzie vor, den er beim Straßenmusizieren entdeckt hat. Zur akustischen Gitarre singt Kenzie schwelgerische Songs voller Blues, Soul, Folk. Sein Gesang besitzt einen satten warmen Klang, den er wie mit einem inneren Verstärker noch einmal hoch regeln kann, was on the road ohne Mikrofon gewiss von Vorteil ist. Beim „Sommer in Altona“ sorgt sein Laut-Leise-Spiel für eine tolle Dynamik.

Ein wenig scheinen die Lauschenden ringsherum auch den Sommer zu verabschieden. Die Wetteraussichten für die kommenden Tage ist nicht so dolle, der Herbst naht. Noch einmal ohne Jacke dasitzen. Luft auf der Haut. Alles abspeichern. Die Schwangere, die an einem Baum lehnt. Die bärtigen Bikertypen, die so freundlich gucken. Die tätowierten Beine, die aus Kniestrümpfen ragen. Die Gesichter, die die Elbstrandsonne gebräunt hat. Die Wespen, die Bierbecher entern. Die Frau mit Hut und Hund, die übers Grün flaniert. Das Paar, was einfach lächelnd dasitzt.

Drinnen im Zirkuszelt dann Energiewechsel. Mehr Feier als Abend. Mit Whiskey Shivers entern fünf Musiker die Bühne, denen die Spielfreude aus jeder Pore zu tropfen scheint. Die Texaner sind so etwas wie eine Multikulti-Redneck-Band, die einen absolut famosen Mix aus Bluegrass, Hillbilly und Countrymusik spielt. Frontmann Bobby Fitzgerald, seines Zeichens Sänger und Highspeed-Virtuose an der Fiddle, ist eine ärmellose, barfüßige Turbo-Erscheinung samt Vokuhila-Frisur, die er mit größter Selbstverständlichkeit trägt. Die Songs der Whiskey Shivers rasseln und rattern mit Hochgeschwindigkeit in die kleine Arena hinein. Dauergrinsen. Dance op de deel. Es riecht nach Schweiß und Spänen.

The Dead South besticht durch herrlich räudiges Charisma

Eine perfekte Einheizung für The Dead South, dem Hauptact des Abends, zu dem noch wesentlich mehr Leute ins Zirkuszelt strömen. Diverse Fans im Publikum tragen T-Shirts der Band oder haben sich direkt den Look der Combo angeeignet, deren männliche Mitglieder in weißen Hemden mit schwarzen Hosenträgern auftreten. Banjo-Spielerin Eliza Mary Doyle wiederum erinnert in schwarzem Kleid mit roter Blume im Haar an eine Saloon-Lady.

Die Kanadier fabrizieren einen ultra coolen, grandios dreckigen und zugleich äußerst mitreißenden Sound aus Folk, Bluesgrass und Rock ’n‘ Roll. Die Band besticht durch ihr herrlich räudiges Charisma – und die ein oder andere Tanzeinlage. Doch wie die verschiedenen Saiteninstrumente von Mandoline über Cello bis Gitarre fein ineinandergreifen, bringt die Seele noch einmal auf einem anderen Level zum Schwingen. Und die Saunatemperaturen unter der Zeltkuppel lassen den Geist zusätzlich angenehm irrlichtern. Ein musikalischer Desperado-Trip.

Wieder draußen dann: atmen, abkühlen. Und schließlich abreisen. Nach Hause. Mit dem Rad.

Im Winter werde ich an dieser Wiese vorbeifahren. Und an den Sommer denken. In Altona.

Weitere Konzerte für Countrymusiclovers gibt’s bei Yeehaw Hamburg

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Dockville Festival 2018: Dream A Little Dream With Me

Dockville, Festival, Hamburg, Pop, Wilhelmsburg, Openair, music

Jedes Mal, wenn ich zu einem Festival fahre, so wie am Freitag zum nunmehr zwölften Dockville in Wilhelmsburg, frage ich mich, was mir der Besuch bringen mag. Was werde ich finden? Was treibt mich an? Die Liebe zur Musik und zu den Menschen, klar. Aber was ist mein Motor für genau diesen einzigen, nicht wiederkehrenden Tag?

Die Antwort erhalte ich, nachdem ich mein Rad bei der famosen Fahrradgarderobe abgegeben habe und Richtung Festivalgelände laufe. Auf dem Rücken der Jeansjacke einer jungen Frau vor mir steht in weiß gepinselten Lettern: „Follow Your Fucking Dreams“. Okay. Danke. Eine der schönsten und zugleich schwierigsten Aufgaben, die es im Leben zu absolvieren gilt, soll also mein Motto sein.

Art, Darko Caramello, Dockville, Festival, Hamburg, Pop, Wilhelmsburg, Openair, musicFestivals sind verdichtete Message-Boards. Alle sind auf Sendung. Mit Sprüchen. Mit Outfits. Mit Expression. Und ich, ich folge nun also meinen verdammten Träumen.

Meine erste Station ist der Auftritt von Aroma, die am frühen Nachmittag die Vorschot-Bühne eröffnen. „Ganz schön undankbar, um diese Uhrzeit zu spielen“, sagt ein Typ in Lederjacke mit Blick auf die wenigen Menschen auf dem Platz. Aber er soll eines Besseren belehrt werden. Denn mit ihrem driftenden Mix aus Electro und Indierock, mit euphorischen Ansagen und einer starken Energie ziehen die Hamburger zusehends mehr Leute an.

Als würde Aroma all diese Farben vertonen

Diese Popband ist die erste, die beim Dockville 2018 alles anfacht. Das Träumen und das Tanzen. Etwa bei dem Mädchen, das einen Regenbogen auf ihr rechtes Schienbein gemalt hat. Als würde Aroma all diese Farben vertonen. Das Nichtgreifbare. Das transparent Schimmernde. Und ich, ich ziehe weiter, auf der Suche nach dem Schatz, nicht am Ende des Regenbogens, sondern mittendrin.

Elmar Karla, art, Dockville, Festival, Pop, Hamburg, MusicIch stoße auf Kunst, die das Dockville stets zu so viel mehr macht als einem reinen Pop-Event. Installationen und Interventionen, Street-Art und Malerei ziehen feine zusätzliche Ebenen durch das Festival, die die Seele animieren und das Hirn durchpusten. Beste Voraussetzungen zum Träumen also. Die bewegliche Skulptur des Künstlers Elmar Karla macht, neben ihrem haptischen Spielspaß, auch nachdenklich. In drei drehbaren Blöcken lassen sich Kopf, Rumpf und Beine von so unterschiedlichen Figuren wie Dagobert Duck, einer Amazone und einem Roboter nach Herzenslust kombinieren, so dass gepuzzelte Geschöpfe entstehen. Geremixte Identitäten sozusagen.

Ein Gorilla speit Seifenblasen

Create Your Own God“ heißt das variable Werk. Und als ich mich so auf dem ehemaligen Industriegelände umgucke, denke ich, dass viele Besucher bereits sehr gut darin sind, ihre eigenen Gottheiten zu erschaffen. Sie haben sich Festival-Totems gebastelt, die sie hochhalten und anbeten und umtanzen als Symbole von Freiheit und Fun. Ein Gorilla speit Seifenblasen. Ein Lama glitzert. Ein Regenschirm lässt Gold regnen.

Dockville, Festival, Hamburg, Pop, Wilhelmsburg, Openair, musicSie alle versammeln sich zu einer Messe nach der anderen. Zum Beispiel zum Auftritt von The Cool Quest aus den Niederlanden, die mit Beats und Groove, Rap und Irrwitz für reichlich Wallung sorgen. Besonders angetan bin ich, dass die Band den lange nicht gehörten Hit „Gypsy Woman (She’s Homeless)“ von Crystal Waters covert. Mit einem housigen „La Da Di Ladida“ im Kopf ziehe ich weiter und denke an erste Diskothekenbesuche. Träumen bedeutet mitunter eben auch, sich zu erinnern. Also quasi rückwärts zu träumen und die Bilder dann ins Heute zu holen.

Träumen darf nicht zielgerichtet sein. Zum Glück ist es der Matrix des Dockville immanent, dass sich die Gäste in dem Festival verlieren. Am besten funktioniert das im verwunschenen Wäldchen jenseits der Butterland-Bühne, von der das Pulsen und Pochen des Hamburger DJ-Kollektivs Tisko herüber weht. Ein perfekter Herzschlag-Soundtrack, um sich auf verschlungenen Pfaden zwischen hochgewachsenem Grün zu verquatschen, zu vergucken, zu verbummeln. Ein Holunderwunderland mit Bühnen und Bars, die es zu entdecken gilt. Ein Dancefloor, der von einem Smiley bewacht wird. Ein Wohnwagen, aus dem Lakritz fließt. Funkelnde Menschen lassen sich in Hängematten nieder und fletzen sich in Astgabelungen. Alice im Dockvilleland.

Das Dockville bietet Raum, sich auszuprobieren, zu erfinden, auszuleben

Ich schaue mich um und denke: The Kids Are Alright. Sie sind bunt und divers, dick und dünn, merkwürdig und schön, groß und klein, aufgekratzt und überfordert, entspannt und neugierig. Sie tragen Wolfsmütze und Lorbeerkranz, pinke Kniestrümpfe und wüst gemusterte Overalls. Klar, die meisten besitzen einen erkennbaren Willen zur Hipness, dies aber eigen und sinnig. Und das Dockville bietet allen einen Raum, um sich auszuprobieren, zu erfinden, auszuleben. Ein Traumbeschleuniger. Ein verantwortungsvoller zudem.

Auf dem Kreativmarkt sind zwischen feinen Illustrationen und „Anti-Nazi-Stickern“ auch Stände von Pro Familia sowie für einen kostenlosen Hörtest zu finden. Auf letzteren verzichte ich, da ich das Ergebnis fürchte, und lasse mich lieber kurz in den nächsten Rave hineinziehen, der vor der Nest-Bühne zum Set des Kollektivs Fischmarkt seinen Staub aufwirbelt. Ein Stampfen und Heulen. Wie ein Rudel auf der Jagd nach Nichts. Schön.

Jakobus Durstewitz, painting, harbour, Dockville, Festival, Hamburg, Pop, Wilhelmsburg, Openair, musicTräumen heißt: loslassen. Nicht immer alles verstehen müssen. So wie bei der Grazer Band Granada, die mit verschwitztem Burschi-Charme auf der Grossschot-Bühne eine von Indierock befeuerte Party entfachen. Ich schnappe einzelne Versatzstücke auf, die nicht in Musik und Mundart untergehen: „Liebend gern bei Dir“, „Körperkultur“, „Scheiß Berlin“.

Mein Hirn versucht noch, sich eigene Geschichten zwischen diesen Worten auszudenken, als ich beim weiteren Stromern auf die Hütte von Jakobus Durstewitz stoße. Der Künstler malt die großformatigen Hafenlandschaften, die die Bühnen des Dockville farbenfroh flankieren. Während des Festivals arbeitet er live an (kleineren) Bildern. Und es ist eine kontemplative Freude, dem freundlichen Herren dabei zuzusehen, wie er besonnen Pinselstrich um Pinselstrich setzt. Leuchtend und melancholisch sind seine Hamburg-Panoramen, die er für 2019 in einem Kalender versammelt hat. Monat für Monat ein Stück Dockville-Bühne, zwölf Seiten Festival-Traum.

Chefboss schießt Blitze aus Gold mit Dancehall, Tanz und Abriss

Von dieser ruhigen Kraft tauche ich ein in eine wilde Performance. Und ich freue mich sehr, dass solche Kontraste auf so dichtem Raum möglich sind. Die Hamburger Formation Chefboss schießt Blitze aus Gold mit ihrer Show aus Dancehall, Tanz und Abriss.

Chefboss, Alice Martin, Maike Mohr, Dockville, Festival, Hamburg, Pop, Wilhelmsburg, Openair, musicAlice Martin rappt so unmittelbar, als läge ihr Herz direkt auf der Straße. Und Maike Mohrs Moves sind getanztes Scratchen: geschmeidig, zuckend, jeden Beat verkörpernd. Die Menge tobt, Handtücher kreisen. „Ich liebe diese Energie. Die gibt’s nur in Hamburg City“, ruft Alice Martin. Und dann feuert Chefboss ihren aktuellen Hit ab: „Hol dein Freak raus“!

Schon wieder so eine Message, ein Motto, ein Auftrag. Aber das soll an einem anderen Tag geschehen. Das Träumen ist gerade so schön. „Let Me Dream While My Heart Is Large“.

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Konzertreihe Knust Acoustics – ein Marktplatz für Musik

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Da, wo ich herkomme, vom Niederrhein, gehen die Leute gerne an einem festen Tag in der Woche auf den Markt, um eine Erbsensuppe zu essen, um sich zu treffen, um zu klönen. Niemand muss sich groß verabreden. Es ist klar, dass immer ein vertrautes Gesicht vor Ort sein wird. Und Neulinge werden munter in die Runde integriert.

An diese offene Atmosphäre muss ich denken, als ich mal wieder die Knust Acoustics auf dem Lattenplatz im Karoviertel besuche. Seit 2011 treten im Juni, Juli und August immer mittwochs zwischen 18 und 20 Uhr drei Bands mit reduzierten Sound-Arrangements unter freiem Himmel auf. Die Menschen kommen von ihrer Arbeit oder von Zuhause. Manche noch im weißen Bürohemd, andere im Bandshirt. Und alle mit einem Gesichtsausdruck, aus dem sich der Alltag langsam verabschiedet und sich für etwas anderes öffnet. Für Begegnung, Musik, womöglich eine kleine Verwandlung.

Alles hat seinen Platz bei den Knust Acoustics

Familien und Freundescliquen, gut eingegroovte Paare und frisch Verliebte, Musikfans und Geselligkeitssuchende lassen sich an Biergarnituren und auf Klappstühlen nieder. In den ersten Reihen sitzen die Zuhörer, die sich voll und ganz auf die Konzerte konzentrieren möchten. Hinten hocken die Quatscher, die mit guter Backgroundmusik ihren Feierabendplausch abhalten wollen. Alles hat seinen Platz bei den Knust Acoustics. Solange die Unterhaltungen nicht die Songs übertönen.

Leise ist okay“, erklärt Siebeth. Der Mann mit dem sportiven Trucker-Look ist – um im Bild zu bleiben – der Chefmarktbeschicker des Ganzen. Er ist Booker, Veranstalter, Moderator, Musiker, Netzwerker sowie Kopf und Seele der Knust Acoustics. Mit seinem hoch charmanten Format bereichert er nicht nur den Pop in Hamburg, sondern ist mittlerweile auch in den lauschigen Hof des Berliner Kesselhauses expandiert. Und wer weiß, wohin ihn die Liebe zu handgemachter Herzensmusik noch führt.

Amtlich angefüttert wird die Acoustics-Gemeinde vor Ort jedenfalls durch das Sammelalbum zur Konzertreihe. Jeden Mitwoch verteilt Siebeth Sticker, auf denen die Künstler der Saison zu sehen sind und die Fans in ein schmales Programmheft einkleben können. Eifrige Aufkleber-Tauschaktionen befriedigen nicht nur den Wunsch, ein komplettes Album vollzumachen, sondern lassen zugleich neue Kontakte entstehen. Schön.

Siebeths Acoustics-Konzept basiert übrigens auf Spenden. Doch in Hamburg hat er nach Jahren des Hutkreisens aufgrund mauer Zahlungsmoral eine Box am Eingang mit einer Spendenempfehlung von fünf Euro aufgestellt. In Berlin hingegen funktioniert das Prinzip Freiwilligkeit laut Veranstalter noch bestens.

Dass die „Arm, aber sexy“-Hauptstadt offenbar eher für Kunst zahlen mag als Pfeffersackhausen, ist an unserem Tisch direkt Thema. An diesem Abend ist eine Stunde vor Beginn bereits Hamburgs womöglich größter Musikfan am Start. Nennen wir ihn Uwe. Wir setzen uns zu ihm in die erste Reihe direkt vor der kleinen überdachten Bühne und reden, trinken, vertreiben irritierende Wespen und wünschen uns lustige Hummeln herbei. Der Platz füllt sich. Hallo, Umarmungen, Vorfreude.

Lutz Rode erinnert uns an Sänger von Jan Plewka bis Serge Gainsbourg

Das Bemerkenswerte an den Knust Acoustics ist die stilistische Bandbreite der Künstler. An diesem Mittwoch wandelt der Hamburger Phil Siemers mit fein justiertem Jazz, Soul und Pop sowie deutschsprachigen Texten auf den Spuren von Roger Cicero und Stefan Gwildis. Der Berliner Indiepop-Chansonnier Lutz Rode wiederum lässt uns mit Lonesome-Cowboy-Charme und reichlich aufgerauter Stimme an Sänger von Jan Plewka bis Serge Gainsbourg denken. Die größte Überraschung ist für mich jedoch der Auftritt von Fuck Art, Let’s Dance.

Fuck Art Let's Dance, Knust Acoustics, Band, Concert, Open Air, Festival, Club, Pop in HamburgDas Hamburger Quartett steht eigentlich für electro-rock ’n‘ rolligen Abriss in schwitzigen Clubs wie Molotow oder Uebel & Gefährlich (der Song „Übersleep“ ist unter anderem zu finden in meiner Playlist „Biggy Hamburg Pop“). Für die Knust Acoustics haben Sänger und Gitarrist Nico Cham sowie Gitarrist Romeo Sfendules jedoch einige Songs neu arrangiert.

Das Ergebnis: Zwei Akustikgitarren, die melodisch spannend ineinandergreifen. Ein Gesang, der markerschütternd schön strahlen kann. Und ganz viel Energie, die trotz des ruhigeren Settings bei uns im Publikum ankommt. Als die Zwei dann noch gemeinsam mit allen auf dem Platz singen, denke ich: Das ist dann doch besser als Erbsensuppe. Nahrung für die Seele.

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Von einem, der ankam: „Vielleicht in Hamburg“ von Die Regierung

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Vielleicht in Hamburg“. Ein solcher Songtitel klingt wie ein Versprechen, aber auch ein wenig vage. Mich jedenfalls hat er sofort angesprochen. Denn Mitte der 90er-Jahre, als ich noch nicht im Norden lebte, da war das für mich eine absolut aufregende Option: „Vielleicht in Hamburg“ auf ein Konzert gehen. „Vielleicht in Hamburg“ wohnen. „Vielleicht in Hamburg“ das gute wilde Leben finden. Hamburg war damals der Platz für mich: Pop und Subkultur, schräge Lieder und schiefe Visagen, sexuell und politisch anders denkend.

Als ich dann noch erfuhr, dass der Song eine neue Nummer von Tilman Rossmy und seiner Band die Regierung ist, lief die Erinnerungsmaschine direkt weiter auf Hochtouren: Ich war gerade nach Hamburg gezogen und saß das erste Mal im Saal 2 am Schulterblatt. Ein Freund hatte den Ort vorgeschlagen. Ich war etwas zu früh, setzte mich ans Fenster, blickte umher und sah doch tatsächlich Tilman Rosmy in der Mitte des Cafés sitzen, wie er in seinen Milchkaffee schaute. Ein freundlicher Dandy. Vielleicht ein wenig müde.

Über seltsame Entertainer und professionelle Fans

In mir breitete sich ein solch ultimatives Zuhausegefühl aus, dass ich es bis heute abrufen kann. Ich war damals, Ende der 90er, schon Fan. Tilman Rossmy war für mich der nölige Poet, der Liebeslieder von verpeilter Schönheit sang. Über Nicole, Charlotte und Corinna. Er schuf aber vor allem lakonisch rockende Studien über Existenzen jenseits der Norm. Über seltsame Entertainer und professionelle Fans, über Künstler und Idioten, über Lebefrauen und -männer. Und in Hamburg war das möglich, dass so ein toller Musiker einfach ganz ruhig neben einem im Café saß.

All diese Bilder liefen also bereits in meinem Kopfkino ab, bevor ich diesen Song gehört habe, der am 17. August 2018 offiziell als Single beim Berliner Label Staatsakt erscheint. Das ist natürlich gefährlich. Stichwort: Erwartung. Und schön. Stichwort: Vorfreude.

Und wie ist es nun, dieses „Vielleicht in Hamburg“?

Musikalisch ist „Vielleicht in Hamburg“ eine Mischung aus Singersongwriter-Charme und verhaltenem Rock mit fein eingewobenen Gitarrenmelodien. Rosmys halb bemüht ausgestoßenes „Uh Ah Uh Ah Ah“ zu Beginn wirkt eher wie ein Rock ’n‘ Roll-Zitat als wirklich ernst gemeint. Mir gefällt das Abgehangene der Nummer sehr gut. Versucht Rosmy, der Anfang August seinen 60. Geburtstag feierte, doch gar nicht erst, hyperaktiv berufsjugendlich rüberzukommen.

Die Regierung, Tilman Rossmy, Cover, Single, Vielleicht in Hamburg, Song, Pop in HamburgIn zwei markanten Episoden erzählt uns Tilman Rossmy auf knapp vier Minuten seine eigene Geschichte. Wie er vier oder fünf Akkorde auf der Volkshochschule lernte und ihn die Prognose ereilte: Damit kommt man nicht weit. „Nicht in meiner Heimatstadt, aber vielleicht in Hamburg“, antwortet er in gewohnter Sing-Sprech-Monotonie. Also zieht der Protagonist in die Hansestadt. In ein Acht-Quadratmeter-Zimmer. Im Sorgenbrecher auf dem Kiez findet er Fans und Freunde, die ihm zurufen: „Schön, dass Du jetzt hier bist“.

Und mir zerspringt kurz das Herz vor Freude, dass dieses kleine Lied genau dieses Gefühl verdichtet, angekommen zu sein an einem Ort, wo die Menschen einen womöglich ein bisschen besser verstehen als anderswo. Willkommen zuhause.

Ich muss an diesen Werbespruch eines Brauseherstellers denken: „Unser soziales Netzwerk heißt Tresen“. Rausgehen, sich treffen, austauschen, das Andere umarmen. Genau das gilt es zu tun. Immer wieder.

Vielleicht in Hamburg“ erscheint am 17. August beim Label Staatsakt.
Tilman Rossmy live mit den Flowerpornoes: 23. August, Knust.

 

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Nerds auf der Platte: „König der Möwen“ auf Kampnagel

Wir stellen uns vor, der Plattenladenbesitzer aus dem Film „High Fidelity“ (aus dem Jahr 2000) hätte einfach weitergemacht. Er ist nun älter, weniger zynisch, dafür sehr viel aufgeriebener. Er legt nicht mehr mit überheblichem Blick die neue EP einer Band auf – wissend, dass all die Musiknerds im gut gefüllten Laden die Scheibe tunlichst kaufen werden. Stattdessen kommt lediglich ein Kunde vorbei, der dann auch noch beim Umtausch bescheißt.

Die arrogante Deutungshoheit über Geschmack und Stil ist dem vehementen Zweifel gewichen, überhaupt noch etwas zu sagen zu haben. „Die neue Slime ist überraschend okay“ – solch ein Satz klingt nicht nach Oberchecker, sondern nach einem Flehen, dass das eigene pop- und subkulturelle Wissen noch etwas wert sein darf. Doch Idealismus ist längst Luxus. Und das Anfassen-Wollen, das Vor-Ort-Sein in einem realen Laden wirkt wie ein Auslaufmodell in Zeiten von Streaming, Playlisten und Internetbestellungen.

Willkommen in der Welt von Hans (Andreas Schröders), Betreiber des Plattenladens „Rillenreiter“ im Hamburger Schanzenviertel – und Hauptfigur des Musicals „König der Möwen“, das auf dem diesjährigen Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel Premiere feierte. In zwei Stunden erleben wir als Zuschauer, wie der grundgütige Vinylhöker um Existenz, Identität und Würde ringt. Das Hemd mit Hundemuster spannt über dem Bauch. Das grau umkringelte Gesicht sieht verwittert aus. Die Rechnungen stapeln sich. Der geplante Mitternachtsverkauf der „neuen Toco“ fällt aus.

Die Hängengebliebenen und die Hoffnungsvollen

Die Brechstange, mit der in dieser Inszenierung mitunter Kalauer und Moral präsentiert werden, ist nicht nur sinnbildlich vorhanden, sondern in einer Szene auch tatsächlich zu sehen: Mit ihr wird eine Kiste aufgehebelt, in der sich ein Maskottchen des Stadtmarketings befindet. Eine Skulptur, die offenbar so hässlich und albern ist, dass sie nicht das Licht der Bühne erblicken soll. Doch die Büchse der Pandora ist geöffnet und das Angebot hängt schwelend im Raum, das ach so authentische Liebhabergeschäft doch an die Touristenströme der Hafen City anzudocken. Die Minderheit als Must-have für den Mainstream.

„König der Möwen“ ist meilenweit davon entfernt, fünffach gebrochenes Avantgarde-Theater zu sein. Die Story wird – bis auf einige wenige surreale Einschübe – geradeaus erzählt und spart nicht an Stereotypen. Aber ach, möchte ich laut rufen: Es gibt sie ja alle, diese Leute, die Hängengebliebenen und die Hoffnungsvollen und die Halbgewendeten.

Andre (Daniel Hoevels) zum Beispiel, den ehemaligen Underground-Popstar, der seit zwei Jahrzehnten von seinem Rest Fame lebt und sich im „Rillenreiter“ Kaffee und die neue DJ Koze schnorrt. Oder Sanni (Kerstin König), Hans‘ junge Angestellte, für die alles „fresh“ ist – und die mitunter vernünftiger wirkt als all die gealterten Bescheidwisser. Und Katja (Eva Löbau), einst Vorzeigelinke, nun Stadtplanerin.

Nicht ständig platt, nicht dauerhaft überhöht

Irgendwo zwischen Kapitalismuskritik und feministischer Diskussion, Soap-Opera-Dialogen und Nerd-Sprech begegnet sich dieses Personal. Wirkt das mitunter zu gewollt? Ja. Wird das an manchen Stellen zu sehr ausgedehnt? Womöglich. Und passt das alles zusammen? Unbedingt. Denn: So ist es, das Leben. Nicht ständig platt, nicht dauerhaft überhöht, sondern meistens irgendwo dazwischen (Und ich persönlich freue mich sehr über Gags wie den Graffiti-Sprayer mit Lackdose-Intoleranz).

Die von Musiker Andreas Dorau, Autor Gereon Klug und Regisseur Patrick Wengenroth entwickelte Dramödie, ein Mix aus Drama und Komödie, ist ein grundsympathisches Stück mit hohem Wahrheitsgehalt und tollen Schauspielern, das wie neuzeitliches Volkstheater daherkommt. An eine Ohnsorg’sche Tür-auf-Tür-zu-Dramaturgie erinnert etwa die Eingangstüre des Plattenladens: Dieses Requisit wird auf der Bühne hin und her geschoben und sorgt für überdeutliche Entrees mit hübschem Palim-Palim-Effekt.

Mir gefällt es gut, dass sich „König der Möwen“ vielen verschiedenen Zuschauerschichten öffnet. Und das liegt nicht zuletzt an der Musik. Eine junge Popband auf Sinnsuche tritt unter wechselnden Namen und Images im „Rillenreiter“ auf. Mal flotte Soul-Kombo, mal schrille Electro-Performer, mal coole Glam-Rocker. Die Songs wandeln auf dem feinen Grat zwischen Persiflage, Zeitgeistanalyse und Hit – allen voran die schmissige Nummer „Feelingsgefühle“ (auch zu finden in meiner  Jukebox „Biggy Hamburg Pop“). Die Prekariats- und Selbstausbeutungshymne „Acht Euro am Tag“ wiederum wirkt wie eine Zusammenfassung von Hans‘ Leben. Er selbst mag dieses Lied nicht und stellt es ab. Zu viel Jammern verkauft sich eben nicht gut.

Der Soundtrack zu „König der Möwen“ ist bei Tapete Records erschienen.

 

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Watt En Schlick: Denn davon handeln wir

Da stehe ich nun nach drei Tagen Festival. Die Füße graben Kuhlen in den Strandsand. Der Kopf hängt halb im Sternenhimmel. Müde, drüber, leicht angealstert, Freunde anbei. Alles ist sanft, alles ist gut.

Das Watt En Schlick Fest an der Nordsee ist fast vorüber. Wir warten auf Tocotronic, der finale Auftritt des Wochenendes. Und dann kommt die Band auf die Bühne, die ich seit Mitte der 90er-Jahre Dutzende Male erlebt habe. Geht da noch was zwischen uns heute Abend? Schaffen wir das mit dem Draht, der Energie, einer Art von Bedeutung?

Und dann passiert sie erneut, die Verwandlung. Bei „Electric Guitar“ kurz abgetaucht ins eigene Jugendzimmer, in die Unsicherheiten und Verheißungen. Sehnsucht nach dem guten wilden Leben. Bei „Hi Freaks“ die eigene Merkwürdigkeit herausschreien. Mit „Hey Du“ das vermeintlich Fremde umarmen. Zu „Unwiederbringlich“ die Tränen laufen lassen. An Menschen denken, die nicht mehr da sind und doch ganz anwesend. Die mit einem im Sound stehen und rufen: „Die Füchse im Bau, sie kapitulieren“.

Über die Menge surft ein Mensch. Ein wilder Wirbel. Sänger Dirk von Lowtzow nimmt eines der Plüschtiere, die auf einer Box sitzen, und lässt es sprechen: Die Miesmuschel bedankt sich für 25 Jahre Tocotronic. Gleichfalls. Dafür, immer wieder bewegt zu werden. Dass das nach wie vor funktioniert.

Und genau deshalb möchte ich nun meinen Blog über Pop in Hamburg beginnen. Wegen der verwandelnden Kraft von Musik. Dass der erste Beitrag ausgerechnet außerhalb der Hansestadt spielt und Tocotronic längst keine exklusive Hamburger Band ist, zeigt jedoch bereits, dass ich das Thema nicht mit dem Gartenzaun abstecken möchte. Im Gegenteil: Grenzen sollen offen sein.

Allerdings wohne ich seit mehr als 20 Jahren in Hamburg und bin wegen der Musik hierher gezogen. Und ich liebe es, mich in der Stadt zu bewegen. In ihren Clubs und Kaschemmen. Auf den Dancefloors und neben der Spur. Und zwischen all den grandiosen verrückten Menschen, die zum Teil ihr komplettes Leben (und Sparbuch) der Liebe zu den Tönen widmen.

Ich möchte nicht nur über die Großen und Etablierten schreiben, sondern auch über jene, die (noch) unbekannt sind, die eben erst zart wachsen, die lautstark wenige überglücklich machen. Und die Schicht um Schicht hinzufügen an Dreck und Rock ’n‘ Roll, an Glitzer und Schönheit, an Verzweiflung und Euphorie, an sattem Klang und queren Gedanken. Damit die Stadt dunkel leuchten kann.

Denn davon handeln wir.

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